Welt als Körper. Thomas Erthel

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Название Welt als Körper
Автор произведения Thomas Erthel
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783772001031



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der Planet Terra“ (Sloterdijk, Weltinnenraum 15) ist gemeint. Doch obwohl die von Cosgrove genannten FdG einerseits verwendet werden, als seien sie austauschbar, tragen sie andererseits „verschiedene Resonanz“ in sich. Anders gesagt sichert die Rede vom selben ‚Planeten Terra‘ noch nicht ein geteiltes Verständnis von dieser GanzheitGanzheit in Bezug auf deren Eigenschaften. Besieht man sich zur Illustration die FdG ‚globe‘ im Kontext der jüngeren Globalisierungstheorie, so lässt sich feststellen, dass deren Etymologie sowohl auf ‚Kugel‘ als auch auf ‚Klumpen‘ zurückverfolgt werden kann (vgl. Nancy 14). Wer ‚globe‘ sagt, kann also äußerst verschiedene Vorstellungen von der Ganzheit verstanden wissen wollen und dies gilt genauso für andere FdG:

      So wie ‚Abendstern‘ und ‚Morgenstern‘ die gleiche Bedeutung besitzen (auf die man am einfachsten mit dem Wort ‚Venus‘ referiert), ihr Sinn, also die „Art des Gegebenseins des Bezeichneten“, sich jedoch unterscheidet, so besitzen auch ‚Erde‘ und ‚Welt‘ in vielen Kontexten die gleiche Bedeutung, während die Unterschiede ihres Sinnes durchaus beträchtlich sind. ‚Sinn‘ und ‚Bedeutung‘ entsprechen einander also nicht. (Stockhammer, „Welt“ 51)

      So besteht die Gefahr einer „Verwechslung zwischen Sinn und Bedeutung, also zwischen der Funktion des Wortes, etwas zu bedeuten und dabei gleichzeitig einen Sinn zu evozieren, und derjenigen, diesen Vorgang unter Ausschaltung des Sinns auf eine Bedeutung zurückzuführen (zu vereindeutigen).“ (Stockhammer, „Welt“ 52) Missverständnisse, oder genauer (und problematischer), scheinbare ‚Verständnisse‘, sind so vorprogrammiert, da angenommen wird, lediglich mit unterschiedlichen Wörtern ‚vom Selben‘ zu sprechen. Entgegen dieser Annahme kann eine nuancierte Analyse von ‚Welt‘, ‚Erde‘, ‚Globus‘ etc. als Figuren einen differenzierten Blick auf GanzheitGanzheit ermöglichen. Dabei soll stets die von Cosgrove beschriebene Spannung zwischen der Verwendung der Figuren in ihrer (vermeintlichen) ‚Austauschbarkeit‘ einerseits und deren ‚verschiedenen Resonanzen‘ andererseits mitgedacht werden.

      Der zu untersuchende Zeitraum (frühes 18. bis Mitte 19. Jahrhundert) wurde gewählt, da er für das Themenfeld der GanzheitGanzheit einen äußerst bewegten darstellt. Zur Illustration hierfür kann auf Globalisierungstheorien verwiesen werden, die für diesen Zeitabschnitt Prozesse ‚beschleunigter Verflechtung‘ beschreiben.9 Die Prozesse selbst sind dabei zu großem Teil kolonialer Natur. Man denke etwa, diesen Zeitraum betreffend, an die Intensivierung des britischen Sklavenhandels nach 1713 (der die Dominanz der französischen Kolonialmacht in diesem Bereich abzulösen beginnt), den Siebenjährigen Krieg (1756–1763), der aufgrund der Ausdehnung seiner – aus der Konkurrenz zwischen den Kolonialmächten England und Frankreich hervorgehenden – Konfliktherde auch als ‚Welt-Krieg‘ beschrieben wird, sowie neben dem englischen und dem französischen an den amerikanischen Imperialismus, der sich im 19. Jahrhundert zu formieren beginnt – wobei dieser auf die ‚Öffnung‘ Japans für den Welt-HandelWelt-Handel (Welt-Markt) drängt. Auf alle genannten Kontexte wird im Rahmen der Analyse der drei literarischen Haupttexte genauer eingegangen.

      Diese und andere Vorgänge haben, wie es Niels Petersson und Jürgen Osterhammel in Geschichte der GlobalisierungGlobalisierung ausführen, ab der Mitte des 19. Jahrhundert19. Jahrhundert (Welt-System)s eine erste erdumfassende Verflechtung hervorgebracht, d.h. einen „funktionierenden Weltmarkt und ungehinderten Kapitalverkehr, Wanderungsbewegungen, multinationale Konzerne, internationale Arbeitsteilung und ein Weltwährungssystem“ (15). Diesen Befund teilen sie hinsichtlich der Einschätzung der räumlichen Ausdehnung mit Wallerstein: „It [das moderne Welt-SystemWelt-System; T.E.] has been in existence for some five hundred years and has expanded from its initial locus (parts of Europe plus parts of the Americas) to incorporate by the nineteenth century the entire globe in its orbit, becoming the only historical system on the planet.“ (Universalism 52) Im 19. Jahrhundert also beginnen diese Zusammenhänge, wie sie die gerade zitierten Komposita „Weltmarkt“, „Weltwährung“ sowie das „world-system“ beschreiben (Hervorhebungen T.E.),10 und welche Teil der europäischen ExpansionExpansion sind, die gesamte Ausdehnung der Erde einzuschließen.11 Dem atlantischen Raum kommt dabei eine Sonderrolle zu: „En effet, entre les XIVe et XIXe siècles, l’horizon spatial de l’Europe s’élargit considérablement. L’Atlantique, graduellement, devient l’épicentre d’une nouvelle concaténation des mondes, le lieu d’où émerge une nouvelle conscience planétaire.“ (Mbembe 28) Die genannten Prozesse erzeugen also ein zunehmendes Bewusstsein („conscience“) vom Ganzen als einem geschlossenen Zusammenhang: „Globalization as a concept refers to both the compression of the world and the intensification of consciousness of the world as a whole. The processes and actions to which the concept of globalization now refers to have been proceeding, with some interruptions, for many centuries“ (Robertson, Globalization 8).12 Die so über den Lauf von Jahrhunderten hervorgebrachte EinheitEinheit eines Zusammenhangs zeichnet sich weiter durch den Einschluss von AsymmetrieAsymmetrie (des Welt-Systems) aus; Eric Hayot schreibt (‚world‘ als Verb verwendend): „to world is to enclose, but also to exclude“ (40). Die GanzheitGanzheit ist damit, wie Franco Moretti es mit Bezug auf Wallerstein formuliert, „one […] and unequal“ („World-Systems“ 70). Sie schließt also, wie diese Beschreibungen deutlich machen, eine große Spannung in sich ein (vgl. hierzu genauer II.1.1.4). Wie zu zeigen ist, zieht Wallersteins Terminologie, auf die ich mich in weiten Teilen stütze, ihre Stärke vor allem aus ihrem autoreflexiven Umgang mit der FdG ‚world‘. Denn ausgehend von den Ausführungen Wallersteins zu seiner Verwendung dieser FdG lässt sich der expandierende Charakter des Welt-Systems, sowie die Tatsache, dass dieses nur eine von vielen möglichen Welten darstellt, besonders klar nachvollziehen (vgl. hierzu II.1.3).

      GanzheitGanzheit wird im genannten Zeitraum in ihrem Gehalt also wesentlich neu bestimmt – ein Vorgang, der von den untersuchten literarischen Texten mitgestaltet und reflektiert wird. Insofern dieser Prozess vielschichtig, komplex und voller Spannungen ist, kann er nicht ohne erheblichen Aufwand abgebildet werden. Die zu belegende Kernthese besagt dementsprechend, dass die untersuchten literarischen Texte das vielschichtige, unübersichtliche – weil stark raumgreifende – und stellenweise unsichtbare Geschehen mittels der Verschränkung der Darstellung von Ganzheit mit der Darstellung von Körpern dennoch ins Bild zu rücken in der Lage sind.

      Meine Forschungsarbeit für das vorliegende Buch fragte von Beginn an nach Analoga zu den Modellen von Staatskörpern (wie etwa demjenigen in Thomas Hobbes LeviathanLeviathan (Text und Titelkupfer)), die jedoch größere (d.h. interkontinentale bis hin zu globale) Einheiten oder Prozesse zur Darstellung bringen (vgl. II.2.4). Das Modell des Staatskörpers erwies sich nicht nur aufgrund des Zeitpunktes der Veröffentlichung von Hobbes Leviathan 1651 (und damit im Vorfeld des untersuchten Zeitraums) als besonders relevant (vgl. Abschnitt III.2.4), sondern der StaatskörperStaatskörper (body politic) dient vor allem aufgrund seiner Funktion als HypotyposeHypotypose – d.h., dass er einer GanzheitGanzheit eine sinnliche Anschauung gibt, die sie ohne ihn nicht hätte – den hiesigen Untersuchungen als Leitschnur,13 ausgehend von dem oben umrissenen Befund, dass sich die Ganzheit (auch und gerade im Wandel historischer Prozesse) nicht ohne Weiteres anschaulich machen lässt (vgl. II.2). So soll sowohl das Dilemma der Darstellung von Gemeinschaften – nämlich, dass „das ‚Ganze‘ der Ganzheit, sinnlich nicht wahrnehmbar“ (Koschorke et al. 58) ist –, als auch die Ergebnisse der Forschung zu diesem Thema, den hiesigen Untersuchungen Orientierung geben. Darüber hinaus beziehen sich die untersuchten literarischen Texte mitunter explizit auf die Tradition des Staatskörpers und testen (teilweise satirisch) die mögliche Übertragung dieser Tradition auf deutlich größere Zusammenhänge, wie sie von FdG evoziert werden. Der Staatskörper ist dem hiesigen Vorhaben somit ein doppelter Bezugspunkt: einerseits, insofern sich hier auf die Forschungen zum Staatskörper wiederholt bezogen wird, und andererseits, indem das Aufgreifen der Tradition des Staatskörpers durch literarische Texte untersucht wird. Die Tatsache, dass die Idee des Staatskörpers bei Hobbes koloniale Wurzeln hat, spielt dabei ebenfalls eine zentrale Rolle (vgl. III.2.4.1).

      Aus dieser Perspektive lässt sich eine Gruppe von hochgradig einflussreichen literarischen Texten beschreiben, welche Körper auf eine Art inszenieren, die auf