Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule. Doris Kocher

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Jahrgangsstufe abnimmt (vgl. Kapitel 4), was vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Strukturwandels, der nicht nur umfassende Kompetenzen, sondern auch eine erhöhte und anhaltende Bildungsmotivation verlangt, äußerst problematisch ist. So vertreten Schober und Spiel, zwei Bildungspsychologinnen mit Schwerpunkt „Lebenslanges Lernen“ an der Universität Wien, die Meinung, dass die Schule „derzeit offenbar nur in begrenztem Umfang zur Förderung jener Kompetenzen und Haltungen“ beiträgt, die Schülerinnen und Schüler auf lebenslanges Lernen vorbereiten (Schober/Spiel 2004, 210). Sie verweisen dabei auf zentrale Befunde ihrer Studien, die sich beispielsweise weitgehend auch mit Vollmeyer (2009) decken:22

       Kinder „beginnen ihre Schulkarriere mit durchaus positiven motivationalen Ausgangsbedingungen“ (Schober/Spiel 2004, 210), doch leider nimmt das Interesse an Schule und schulischem Lernen mit zunehmender Klassenstufe ab. Dies steht im Widerspruch zu der Tatsache, dass die Bildungswege für alle länger und anstrengender geworden sind, so dass im Hinblick auf das Lerninteresse eigentlich eine gute Ausdauer erforderlich wäre.

       Schülerinnen und Schüler haben grundsätzlich Spaß am Lernen, wenn sie Sinn darin erfahren, und wenn sie Kompetenzempfinden, soziale Eingebundenheit, Selbststeuerung und die Berücksichtigung eigener Interessen erleben (Ebd.). Allerdings lassen diese förderlichen Kontextbedingungen in der Realität offensichtlich zu wünschen übrig.

       Klassische geschlechtsspezifische Muster sind nach wie vor bestimmend – vor allem in bestimmten Fächern.23 Mädchen bevorzugen eher kooperative Lernformen, die jedoch im Schulalltag eher wenig praktiziert werden. Sie haben trotz besserer Schulleistungen, wie diverse OECD-Studien zeigen, ein sehr viel niedrigeres Selbstbewusstsein als Jungen (Hurrelmann/Bründel 2007, 119). Dieser Befund wird auch in der DESI-Studie (DESI, Hrsg. 2008) sowie im OECD-Bildungsbericht 2015 (OECD 2015) bestätigt.

       Insbesondere ältere Schülerinnen und Schüler messen Erfolge weniger am eigenen Fortschritt und gehen häufig davon aus, „dass die eigenen Fähigkeiten (...) weitgehend stabil und nicht beeinflussbar“ sind (Schober/Spiel 2004, 206). Oft fehlt es also am Selbstvertrauen, was hinsichtlich der eigenen Leistungsfähigkeit fatale Folgen hat.

       Lehrkräfte sehen die motivationale Situation der Lernenden „meist nur mittelmäßig positiv bzw. mit Blick auf die Ziele und die Steuerung des Lernens sogar eher ungünstig“ (Ebd., 210).

       Lehrkräfte erachten ihren Anteil am Zustandekommen von Erfolgen oder Misserfolgen der Lernenden als eher gering, was zur Folge hat, dass sie keine Möglichkeit sehen, deren Lernmotivation zu verändern und sich somit eine eigene Handlungsunfähigkeit zuschreiben. In der Tat bestätigte PISA, dass sich deutsche Schülerinnen und Schüler beim Lernen „durch ihre Lehrer eher nicht unterstützt fühlen“ (Sacher 2005, 29). Deutschland nahm hier im internationalen Vergleich Platz 28 ein (Ebd.).

       „Viele Lehrkräfte denken nicht, dass ihre Schüler(innen) gut mit Misserfolgen umgehen können“ (Schober/Spiel 2004, 211). Diese Kompetenz ist jedoch von zentraler Bedeutung für lebenslanges Lernen.

       Und: „Lehrkräfte sehen derzeit nur wenige Möglichkeiten der Schule, die Kompetenzen für Lebenslanges Lernen zu vermitteln“ (Ebd.).

      Aus der Quelle der ersten beiden PISA-Studien schöpfend, sieht Konrad Schröder (2005) auch im Hinblick auf den Fremdsprachenunterricht eindeutige Warnsignale, wenn man nämlich die Befragungsergebnisse der Kontexterhebung betrachtet: „Die Einstellungen zum Lernen, das fachbezogene Interesse, das Leseinteresse, das Interesse an Lern- und Arbeits-Software, die Schuldisziplin, die Leistungserwartungen der Lehrer und ihr Interesse am Lernfortschritt ihrer Schüler sind allesamt unterdurchschnittlich ausgeprägt“ (Ebd., 40f.).

      Im Rahmen der DESI-Studie wurde nachgewiesen, dass sich auch im Fach Englisch „zwischen Beginn und Ende der neunten Jahrgangsstufe (...) eine signifikante Abnahme beim Lerninteresse und – vor allem im Bildungsgang Hauptschule – noch stärker bei der Testmotivation“ zeigt (Helmke u.a. 2008b, 248).24 Man kommt zu dem Schluss, dass sich ein „das Lerninteresse fördernder Unterricht“ letztendlich „auch in der Leistungsbilanz positiv“ niederschlägt (Ebd., 254). Dieser Befund, auch wenn er nicht wirklich etwas Unerwartetes zutage gebracht, sondern lediglich einen allseits bekannten Verdacht bestätigt hat, wirft hinsichtlich der vielen im Englischunterricht vernachlässigten Potenziale einige Fragen auf, insbesondere wenn es um die Lebens- und Zukunftschancen der jungen Menschen geht, die zunehmend auf die Beherrschung des Englischen als lingua franca sowie diverser interkultureller Kompetenzen in der multikulturellen, globalen und medienbestimmten Gesellschaft angewiesen sind. Aus meiner Sicht könnte der Storyline Approach im Umgang mit den obigen Problemen eine gute Basis bilden: Ob bzw. inwiefern sich Storyline-Projekte positiv auf Motivation sowie Lern- und Arbeitsverhalten auswirken, sollen meine Fallstudien zeigen (vgl. Teil B).

      1.6 Lebenslanges Lernen: Welche Kompetenzen soll die Schule vermitteln?

      Imagination is more important than knowledge (Albert Einstein)

      Das Aufwachsen in einer Gesellschaft, die sich vor allem durch Schnelllebigkeit, Leistung, Wettbewerb und Globalisierung auszeichnet, stellt auf vielen Ebenen neue Anforderungen an die Kinder und Jugendlichen, aber auch an die Erwachsenen jeden Alters. Da die Verteilung von Informationen immer schneller und leichter erfolgt und das erlangte Wissen immer schneller veraltet, benötigen sie Fähigkeiten und Fertigkeiten, um in der Gesellschaft zurechtzukommen und um ihr Wissen ständig zu aktualisieren. Es geht dabei jedoch nicht mehr so sehr um die Ansammlung von (Fakten-)Wissen im Sinne eines Vorratsspeichers, sondern um die Ordnung und Bewertung von eindringenden Informationsmassen nach Prioritäten, Aktualität und Verwertbarkeit. „Lebenslanges Lernen“ – so heißt das allgegenwärtige Schlagwort und neue Bildungskonzept – scheint der Schlüssel zum Erfolg zu sein, um den Herausforderungen der heutigen Zeit konstruktiv begegnen und nicht zuletzt auch, um die EU-Erweiterung realisieren (Bachmann 2004) und stabilisieren zu können. Wer aus „der vernetzten Gesellschaft der Zukunft“ (Dewe/Weber 2007, 9) nicht ausgeschlossen werden möchte, denn Wissen erzeugt gleichzeitig auch Nichtwissen, darf sich der „Norm zur Flexibilität – sichergestellt durch lebenslanges Lernen“ (Ebd., 9) nicht entziehen, warnt man.

      Nachfolgend wird das Konzept des lebenslangen Lernens näher erläutert und begründet. Anschließend werden einige allgemeine sowie fachliche Kompetenzen aufgeführt, die die Schule vermitteln soll(te), um den Lernenden den Weg in die Zukunft zu ebnen. Zum Schluss werden einige Problemfelder näher beleuchtet, die sich in diesem Zusammenhang auftun und gelöst werden müssen, wenn sich unsere Gesellschaft und unser Bildungssystem inklusive Fremdsprachenunterricht weiterentwickeln möchten.

      1.6.1 Lebenslanges Lernen: Lernen für das Leben

      Die Europäische Union soll laut Europarat „zum wettbewerbfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt [werden] – einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erreichen“ (Bachmann 2004, 157, im Original Kursivschrift). Diesem hehren Anspruch steht die Tatsache gegenüber, dass heute eine beträchtliche Anzahl von Jugendlichen die Schule ohne Abschluss verlässt (vgl. Kapitel 1.3) und angeblich rund 20 % der Schulabgängerinnen bzw. -abgänger „gerade mal auf Grundschulniveau lesen, schreiben und rechnen“1 können – so Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, im Juni 2008 – und das zu einer Zeit, in der der Begriff „lebenslanges Lernen“ intensiv die öffentliche Rhetorik bestimmt und an jeder Ecke damit geworben wird, dass Bildung die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit sei und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft bestimme. Die Diskrepanz zwischen Vision und Status quo ist deutlich und muss an dieser Stelle nicht näher erläutert werden.

      Unter lebenslangem Lernen versteht man „die Gesamtheit allen formalen, nicht-formalen und informellen Lernens über den gesamten Lebenszyklus eines Menschen hinweg“ (Luther 2004, 219). Eine etwas konkretere Definition liefert Günther Dohmen (2001, 186, Zit. nach Lenz 2004a, 31f.): „Lebenslanges Lernen meint das Aufnehmen, Erschließen, Deuten und Einordnen von Informationen, Eindrücken, Erfahrungen