Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule. Doris Kocher

Читать онлайн.



Скачать книгу

sind dabei „überdurchschnittlich häufig vertreten“ (ABB, Hrsg. 2012, 9). Eine frühe Sprachförderung für Kinder mit nicht deutscher Familiensprache wird deshalb noch immer dringend empfohlen (Ebd.; Stein/Stummbaum 2011, 216).6 Im Übrigen hat die DESI-Studie7 (DESI-Konsortium, Hrsg. 2008; nachfolgend: DESI) gezeigt, dass auch die Lesekompetenz im Fremdsprachenunterricht gefördert werden muss (Eisenmann 2012, 90).

      Die „Ausschöpfung der Begabungsreserven“ (Altrichter/Hauser 2007, 5) scheint heute wieder eine Renaissance zu erleben, aber nicht allein aus ethischen, moralischen oder sozialen Gründen, sondern schlicht und ergreifend aus demographischen und den damit verbundenen finanziellen Sorgen, denn es geht um die Sicherung der zukünftigen Rentenzahlungen und unseren Wohlstand, die im Zuge des globalisierten Wettbewerbs und der schrumpfenden Schülerpopulation gefährdet sind. Ähnliche Befürchtungen hatte man übrigens bereits Mitte des letzten Jahrhunderts. Der „PISA-Schock“ kann quasi als Nachfolger des früheren „Sputnik-Schocks“ betrachtet werden, denn in der unmittelbaren Nachkriegszeit und in den 1950er Jahren war offensichtlich geworden, dass die Bildungsbeteiligung in Deutschland stark an die soziale Herkunft gebunden ist. Dieser Befund führte damals zu diversen Reformmaßnahmen und setzte unter anderem eine breit angelegte Bildungsexpansion in Bewegung, um eine angeblich drohende „Bildungskatastrophe“ (Picht 1964) aufzuhalten sowie wirtschaftliche und politische Nachteile zu vermeiden. Geißler (1994) beschreibt zwei Paradoxe der damals initiierten Bildungsexpansion: nämlich die Aufwertung (Upgrading) und gleichzeitige Entwertung (Inflationierung) der Bildungsabschlüsse, was beim Wettbewerb um Arbeitsplätze und damit verbundene Lebenschancen eine „vertikale Verdrängung“ (Geißler 2011, 281, im Original Fettdruck) zur Folge hatte. Die Bildungsexpansion verbesserte zwar im Sinne der „Umschichtung nach oben“ (Ebd., 278, im Original Fettdruck) die Bildungschancen insgesamt, verstärkte aber gleichzeitig die soziale Ungleichheit auf dem Weg zu höheren Bildungsniveaus.8

      Der damals ersehnte „Fahrstuhl-Effekt“ ist also ausgeblieben, stattdessen ist die Konkurrenz um Lebenschancen über Bildungsabschlüsse für viele wesentlich länger und anstrengender geworden. Die letzten Shell Jugendstudien haben gezeigt, dass es bis heute nicht gelungen ist, „soziale Ungleichheit beruhend auf der Herkunft der Jugendlichen über die Schule auszugleichen. Vielmehr zementiert Schule mit ihrer Funktion der Zuweisung von Bildungskarrieren solche sozialen Unterschiede“ (Shell Deutschland Holding, Hrsg. 2010, 80; nachfolgend: Shell). Fest steht: Für den Statuserhalt kann der erworbene Bildungstitel nur „durch die Bereitschaft zum ‘Lebenslangen Lernen’ in seinem Wert erhalten werden“ (Ebd., 2010, 71).

      Erfreulicherweise profitieren von der Bildungsexpansion insbesondere immer mehr Mädchen und junge Frauen, die zumindest im Bereich der Schulbildung die Jungen sogar überholt haben.9 Allerdings ist dieser Bildungsaufstieg „keine Garantie für ein Aufholen von Frauen im späteren Berufsleben“ (Shell, Hrsg. 2006, 68), denn nach wie vor existieren bei der Wahl von Studienfächern oder Ausbildungsberufen die altbekannten Rollenmuster und auch hinsichtlich der Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen existieren „erhebliche Unterschiede“ (ABB, Hrsg. 2008, 17): Frauen sind zwar immer häufiger erwerbstätig, allerdings wegen der Kindererziehung vielfach nur in Teilzeit (ABB, Hrsg. 2012, 5). Außerdem werden Frauen trotz gleicher Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt noch immer „deutlich niedriger als Männer bezahlt“ (Shell, Hrsg. 2010, 74). Daran hat sich bis heute nichts geändert!

      Soziale Disparitäten im deutschen Bildungssystem entstehen primär bei den Übergangsentscheidungen von der Grundschule in die Sekundarstufe (Baumert/Köller 2005; Shell, Hrsg. 2010; 2015). Trotz vielfältiger Bemühungen in den vergangenen Jahren bestätigen diverse Studien, dass „in Deutschland die Koppelung zwischen sozialer Herkunft und Kompetenz [noch immer] zu stark“ ist (PISA, Hrsg. 2007, 30) und dass diese hierzulande „nach wie vor stärker ausgeprägt ist als in anderen Staaten“ (ABB, Hrsg. 2008, 15). In der 16. Shell Jugendstudie wurde belegt, dass Deutschland unter den OECD-Ländern das Land ist, „in dem der schulische Erfolg am stärksten vom sozialen Status der Eltern abhängt“ (Shell, Hrsg. 2010, 72). Im Bildungsbericht 2014 wird moniert, dass „trotz leichter Verbesserung (...) weiterhin eine starke soziale Ungleichheit bei der Bildungsbeteiligung bestehen [bleibt]“ (ABB, Hrsg. 2014, 6). Dies wird auch in der 17. Shell Jugendstudie bestätigt (Shell, Hrsg. 2015, 66ff.). Von einer Chancengleichheit sind wir also noch weit entfernt. Darüber hinaus wird das kognitive und motivationale Potenzial der Lernenden bedauerlicherweise „nur unzureichend ausgeschöpft“ (Stein/Stummbaum 2011, 209).

      Nach Auswertung der PISA-Studie aus dem Jahr 2006 kam man zu dem vielsagenden Schluss, dass es sich offensichtlich auszahlt, „gründlich relevante Bedingungen zu untersuchen und Neues zu wagen“ (PISA, Hrsg. 2007, 30). Die vorliegende Arbeit kann vielleicht einen Beitrag dazu leisten. Die diversen Befunde sollten allerdings Anlass sein, nicht nur die Bildungspolitik, sondern auch die Familien- und Sozialpolitik auf den Prüfstand zu stellen (Sacher 2005, 49), denn die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist noch immer ein Problem und wird durch ein Betreuungsgeld sicher nicht gelöst. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte nach der Veröffentlichung des nationalen Bildungsberichts im Juni 2008 die Bildungspolitik zur Chefsache erklärt und die „Bildungsrepublik Deutschland“10 ausgerufen. Man darf also (weiterhin) gespannt sein!

      1.4 Heterogenität in Schule und Unterricht: Dilemma oder Chance?

      Der Sinn von Freiheit ist ja schließlich Differenz (Winfried Kretschmann)

      In den vergangenen Jahren sind – maßgeblich initiiert durch die enttäuschenden Ergebnisse der PISA-Studien – eine Reihe an Publikationen zum Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht erschienen, obwohl dieses Thema in der bildungspolitischen und schulpädagogischen Diskussion alles andere als neu ist, denn schon im ausgehenden 18. Jahrhundert beklagte Johann Friedrich Herbart (1776-1841), Verfasser der ersten Allgemeinen Pädagogik, „die Verschiedenheit der Köpfe“ als Hauptproblem des Unterrichts (Tillmann/Wischer 2006, 44), wohingegen viele Ansätze aus der Reformpädagogik genau diese Verschiedenheit zu nutzen und zu fördern versuch(t)en. Dennoch hat in Deutschland die Ausrichtung des Unterrichts auf die „Mittelköpfe“ seit Ernst Christian Trapp (1745-1810) eine lange Tradition, und Lernende, „die in ihrem Entwicklungs- und Kenntnisstand außerhalb dieses Bereichs liegen, laufen Gefahr, zu ‘Problemfällen’ zu werden“ (Tillmann 2004, 7).

      Auch Wenning (2013) diskutiert die Frage, ob die zunehmende Thematisierung von Heterogenität „nur eine Mode ist [oder] ein Symptom für eine bestimmte Reaktionsform auf (gesellschaftliche) Abweichungen darstellt“ (Ebd., 128), und ob die festgestellte Heterogenität schon vorhanden oder in der Schule erst konstruiert bzw. produziert wird (Ebd., 134ff.). Die Beiträge in Budde (Hrsg.) (2013) beschäftigen sich mit der (berechtigten) Frage der (Re-)Produktion von Heterogenität in der Schule.1

      Fakt ist, dass in Fachkreisen derzeit intensiv diskutiert wird, ob Heterogenität als Dilemma und Lernhindernis oder als Chance und Bereicherung bewertet werden soll.2 Auch Fragen hinsichtlich Chancengleichheit, individueller Förderung, Möglichkeiten der Binnendifferenzierung, Koedukation3, Hochbegabtenförderung4, Umgang mit Kindern aus Migrantenfamilien oder Möglichkeiten der Integration bzw. Inklusion von behinderten Kindern5 tauchen in diesem Zusammenhang immer wieder auf. Meist bezieht man sich bei dem uneinheitlich verwendeten Begriff „Heterogenität“ allerdings auf kognitive bzw. entsprechende leistungsbezogene Unterschiede in einzelnen Fächern und blendet andere Merkmale weitgehend aus.6 Doch wie heterogen bzw. homogen sind Lerngruppen im deutschen Schulsystem eigentlich?

      Obgleich in Deutschland Kinder und Jugendliche schon immer unterschiedliche Voraussetzungen und Bedürfnisse in die Klassenzimmer mitgebracht haben und es diesbezüglich auch schon in der Vergangenheit Diskussionen in den Erziehungswissenschaften gab, erstaunt hier umso mehr, „dass das deutsche Schulsystem nach wie vor von der paradigmatischen Idealvorstellung einer homogenen Gruppe, die ohne störende Einflüsse von innen und von außen im Lernen vorwärts kommen soll, bestimmt wird“ (Boller u.a. 2007, 12). Erschwerend kommt hinzu, dass vielfach noch immer von einem Schülerbild ausgegangen wird, „das längst nicht mehr allein der Wirklichkeit an unseren Schulen entspricht: deutschsprachig, mit christlichem Hintergrund, aus intakter Familie“ (Kluge 2003, 89). Divergenz wird als störend und somit negativ empfunden. Wenning (2013, 149) kritisiert zu Recht „einen, bewusst oder