Название | Schweizerspiegel |
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Автор произведения | Meinrad Inglin |
Жанр | Языкознание |
Серия | Meinrad Inglin: Gesammelte Werke in zehn Banden. Neuausgabe |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783857919954 |
«Jaa … es ist wegen des Kommandowechsels», begann Ammann nach kurzem Zögern in einem mißlaunigen Ton. «Ich kann nicht für Hartmann eintreten … Es wird noch ein anderes Regimentskommando frei, und außerdem werden zwei Bataillonskommandanten befördert, von denen mir der eine, Meister, genau bekannt ist … ich hatte ihn damals schon als Kompagniekommandanten in meinem Bataillon und möchte ihn jetzt für das Regiment haben.»
«Was hast du gegen Hartmann?»
«Nichts Besonderes, aber er ist nicht mein Mann, obwohl er mein Schwiegersohn ist. Außerdem ist er unbeliebt.»
«Bei den Liberalen?»
Ammann schob mit gelassen verurteilender Miene die Unterlippe vor, ohne zu antworten; er kannte Boßharts Sticheleien gegen das Parteiwesen und gewisse andere Erscheinungen des politischen Lebens zu gut, um darauf einzugehen.
«Hartmann kann nicht ewig auf ein Kommando warten», erklärte Boßhart, ohne sich zu regen, «und Meister kommt vorläufig zum Divisionsstab. Den andern Herrn haben wir untertänigst der betreffenden hohen Kantonsregierung zur Verfügung zu stellen. Befehl von Bern. Nächstens werden die Regierungsräte ihre Truppen selber führen. Sonst noch etwas?»
«Nein!» antwortete Ammann mit militärischer Schärfe, obwohl er über den laufenden Wiederholungskurs und den gleich darauf beginnenden seines andern Regiments noch einiges zu fragen und zu melden hatte. Er nahm Abschied, knapp und kühl wie ein ungerecht behandelter junger Hauptmann.
«Immer derselbe!» dachte er, während er mit erzwungenem Gleichmut das Haus verließ. «Er bringt es nicht fertig, mit seinesgleichen auf eine menschenwürdige Art zu verkehren. Ein unausstehlicher Kerl, und wenn er noch einmal so tüchtig und noch einmal so gerecht wäre!»
Er schlug sich die Angelegenheit samt dem Divisionär aus dem Kopf und dachte auf dem Heimweg an andere unerledigte Dinge, so wie sie ihm eben einfielen, und es war ein ganzer Schwarm. Obwohl er seine Anwaltspraxis aufgegeben hatte, führte er ein sehr tätiges Leben. Parlamentstagungen in Bern, Fraktions- und Kommissionsberatungen, parteipolitische Aktionen, Verwaltungsratssitzungen, Brigadesorgen und taktische Kurse nahmen ihn fortwährend in Anspruch.
Indes er nun an einen seiner Fraktionskollegen dachte, trat ihm aber plötzlich die brutale Gestalt des Divisionärs wieder vor Augen. Jener Kollege hatte eines fröhlichen Abends scherzhafterweise angedeutet, mit einem Divisionär als Schwager sei es leicht, militärisch vorwärtszukommen. Er lächelte bitter bei diesem Gedanken. Als ob Boßhart ihn jemals ernstlich begünstigt hätte! Das Gegenteil wäre leichter zu beweisen gewesen. Nein, der Oberstbrigadier Ammann hatte alles sich selber zu verdanken, seiner eigenen Energie, seiner Intelligenz, seiner Fähigkeit zu klaren Dispositionen, seiner glücklichen Hand und schließlich, warum nicht, auch seinem menschlichen und bürgerlichen Ansehen. Dabei war er kein so ruppiger Kerl geworden, sondern ein menschenfreundlicher, demokratischer Mann geblieben, der seine Untergebenen achtete. Solche Männer hatte die Schweizer Armee nötig. Man konnte die hohen Führerstellen nicht ausschließlich Berufsoffizieren überlassen.
Mit diesem Boßhart hatte es freilich eine eigene Bewandtnis. Er besaß nichts von jenem Instruktorendünkel, in dem sich ein paar jüngere Herren gefielen, er gebärdete sich nicht einmal preußisch, wie Hartmann mit seiner Potsdamer Dienstzeit. Wenn er in diesem Sinne wenigstens ein Preuße gewesen wäre! Aber er war etwas ganz anderes, es ließ sich schwer begreifen was, und er besaß eine unheimliche Autorität. Sicher war nur, daß ihm jedes humane Gefühl abging, nicht zu reden von Leutseligkeit oder gar von Gemütlichkeit, obwohl er auch kein Asket war, sondern im Gegenteil gern gut aß, sogar schwere Mengen und, wenn es darauf ankam, ohne zu wanken den ganzen Divisionsstab unter den Tisch trank.
Ammann konnte diesen Mann nicht verstehen, er hatte ihn nie verstanden. «Er ist ein Unmensch, ein Scheusal!» dachte er und betrat verärgert sein schönes Haus.
6
Paul war endlich heimgekehrt, von der Mutter herzlich empfangen, vom Vater in einem kühlen, vorläufigen Tone kurz begrüßt, und jetzt trat er seit langer Zeit zum erstenmal wieder gemeinsam mit den Eltern zum Mittagessen an. Er war etwas kleiner als Fred, doch ebenso schlank, und glich in der Form seines intelligenten, magern Gesichtes am ehesten der Mutter; nur Severin, der Älteste, besaß Vaters Züge, während Fred mit seinem Knabengesicht überhaupt niemandem glich. Einigermaßen auffallend an Paul war seine müde Haltung, die auch in seiner Miene zum Ausdruck kam, doch konnte man im ersten Augenblick zweifeln, ob diese Müdigkeit echt oder gespielt war; sie hing kaum mit diesem gesunden, geschmeidigen Körper zusammen, war aber freilich echt und wurde nur vielleicht ein wenig unterstrichen. Mit lässigen Bewegungen nahm er am Tische Platz und ließ sich von Mama Suppe in den Teller schöpfen.
«Das ist ja gar nichts, da, noch einen halben Löffel voll!» sagte Frau Barbara liebevoll aufbegehrend, als er ihr den Teller entzog. «Du siehst ja aus, als ob du hättest hungern müssen. Hier wird jetzt wieder gegessen!» Sie sprach lebhaft und viel, und sie war entschlossen, die Spannung zwischen Vater und Sohn während des Essens entladen zu helfen, damit die beiden nicht am Ende unter vier Augen erst recht alles verdarben.
Paul erwartete die Auseinandersetzung ohne Angst, aber mit einem unbehaglichen Gefühl, und auch er wünschte sie eben jetzt herbei. Er hatte sicher damit gerechnet, zu Hause auf diese dicke Luft zu stoßen, sie gehörte zum Bilde des Vaters, in dessen Umgebung er nicht frei atmen zu können meinte. Es war die träge Luft eines engen Raumes, die von satten Bürgern ängstlich vor jedem frischen Zuge bewahrt wurde, die Luft seines Landes. Mama dagegen ragte für ihn über diesen Dunstkreis hinaus ins Menschliche, Mütterliche; er verehrte sie schweigend, er liebte sie, und dankbar spürte er jetzt ihren Beistand.
Ammann aß mit unfreundlicher Miene schweigend seine Suppe und vermied alles, was die Lage vorzeitig hätte entspannen können. Er wollte den eigenmächtigen jungen Herrn gleich nach dem Essen vornehmen und ihm gründlich die Meinung sagen. Dies war ihm nun fast ebenso peinlich wie seinem Sohn, und als seine Frau mit wenigen Worten die faule Sache angriff, ging er wider seinen eigenen Vorsatz darauf ein.
«Wir haben dich übrigens schon längst erwartet», begann Frau Barbara sehr entschieden. «Du hättest etwas früher heimkommen dürfen … Warum hast du nur so lange gewartet?»
Jetzt blickte Ammann mit streng forschender Miene seinem Sohn zum erstenmal voll ins Gesicht.
Paul machte eine müde Kopfbewegung, hob ein wenig die Achseln und sagte: «Ach …!» Das war alles. Er hätte leicht ein Dutzend glaubwürdiger Entschuldigungen finden können, aber es widerstrebte ihm, sich zu verstellen.
Der Vater antwortete nach kurzem Zögern mit einem kargen, aber scharfen Verweis und verharrte in seiner geladenen Haltung.
«Wenn du dich wenigstens für die Lehrstelle angemeldet hättest!» fuhr die Mutter fort. «Papa hat sich alle Mühe gegeben …»
Paul blickte die Mutter mit einem Ausdruck an, der ihm eigentümlich war, mit einem gequälten Lächeln, das um Schonung bat und zugleich offenbarte, wie nebensächlich oder gar langweilig ihm diese ganze Geschichte vorkam. «Ich kann doch nicht als Einpauker beginnen», sagte er leise. «Das ist widerwärtig … diese Schnellbleichen … Ich habe ja nichts gegen eine Anstellung, aber …» Jetzt log er doch, er hatte sehr viel dagegen; im selben Augenblick wurde ihm das bewußt, und er verstummte.
Die Mutter machte noch ein paar flüchtige Bemerkungen über die Notwendigkeit, daß man heutzutage halt schließlich einen Beruf ausüben und seinen Lebensunterhalt verdienen müsse; plötzlich aber gab sie dem Gespräch eine familiäre Wendung und drängte ihrem Manne sowohl wie Paul mit derart vertraulichen Zusprüchen noch einen Bissen vom Fleischgericht auf, als ob die verstimmende Angelegenheit ihre wirklichen Beziehungen gar nicht zu berühren vermöchte.
Indessen war Ammann nicht gewillt, es dabei bewenden zu lassen; er hielt den Trumpf, den er gegen den widerspenstigen jungen Herrn auszuspielen hatte, noch in der Hand. Sofort nach dem Essen erhob er sich und sagte leichthin, als ob ihm das nun eben so einfiele: «Am nächsten Montag beginnt dann übrigens noch ein Wiederholungskurs. Du wirst vom Kreiskommando ein persönliches Aufgebot dazu erhalten.»