Das Lachen meines Vaters. Urs Schaub

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Название Das Lachen meines Vaters
Автор произведения Urs Schaub
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038550020



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wenn sie schlecht war.

      Die Erfindung des Computers mag der Welt grossen Segen gebracht haben: Für meinen Vater war es eine Katastrophe. Seine Arbeit wurde nicht mehr gebraucht – Computer ersetzten seine manuellen Kont-roll- und Steuertätigkeiten. Man brauchte ihn nicht mehr in den heiligen Labors. Er wurde gnädig nicht gekündigt und in die Fabrikbewachung versetzt. Eine Arbeit, die er zutiefst hasste. Er verkroch sich immer mehr in seine Kellerwerkstatt, wurde mürrisch, unzufrieden und verdrossen. Das Lachen war ihm gründlich vergangen.

      Er rettete sich in die Idee einer frühen Pensionierung und verschob alle Erwartungen an ein besseres Leben in diesen kommenden Lebensabschnitt. Der grosse Tag kam – es änderte nichts. Hans verkroch sich immer mehr in seine mürrische Schale. Nicht mal ein fröhliches Enkelkind mochte seine Rüstung zu durchbrechen. Er sprach immer weniger und hustete umso mehr – ein dramatischer, hemmungsloser Husten dröhnte am Morgen aus dem Schlafzimmer, setzte sich ins Badezimmer fort und begleitete jeden seiner Schritte bis in die tiefe Nacht. Zum Arzt wollte er nicht. Bis er nicht mehr schlucken konnte und ins Spital musste. Man öffnete seine Brust und stellte fest, dass der Krebs ihn schon restlos ausfüllte. Zwei Tage später war Hans tot.

      Der Husten gab jetzt Ruhe. Stille trat ein.

      Als Hans mutterseelenallein auf dem Friedhof aufgebahrt war, konnte er gegen Mittag endlich loslassen, eine tiefe Entspannung durchfloss seinen Körper, und ein buddhahaftes, ein himmlisches Lächeln lag auf seinem Gesicht. Am frühen Nachmittag hatte sich sein seliges Friedensgesicht in ein unverschämtes, freches Lachen verwandelt, das Hans sich zu seinen Lebzeiten nie gestattet hätte.

      Um vier Uhr war das Lachen meines Vaters gänzlich erloschen.

       Die Frau am Fenster

      Sie ist eine zierliche Frau. Flink und leichtfüssig erledigt sie noch im hohen Alter ihre täglichen Angelegenheiten. In ihrer Hand die obligate Einkaufstasche aus gummiertem Textilgewebe. Zusammenfaltbar – mit Druckknopf.

      Hellblaue Augen in einem Gesicht voller Falten. Gerade Nase über schmalem Mund. Ihre Lippen erstaunlich rot. Schneeweisses Haar, nicht allzu streng nach hinten gebürstet, in einen kleinen Dutt zusammengefasst.

      Betrachtet man den Dutt genau, sieht man, dass es sich um eine kleine Schnecke handelt, die von unzähligen Haarnadeln zusammengehalten wird. Im Sommer befreit sie mit den Nadeln Kirschen von ihren Steinen. Die Steine fliegen nur so, die Kirschen auch. Und der Saft spritzt wie dunkles Blut über ihre schmalen Hände.

      Manchmal darf ich ihre Haare bürsten. Dazu muss ich mich auf einen Stuhl stellen. Es ist ein hartes Stück Arbeit. Hundert Bürstenstriche müssen es sein.

      Solange sie lebt, vollzieht sie jeden Morgen dieses Ritual. Immer die gleichen Handgriffe, immer dieselbe Frisur. Es gibt keine Variation.

      In ihrer Küche gibt es eine magische Biskuitdose, die gut gefüllt ist, egal wie oft Kinderhände sie leeren. Im Wohnzimmer einen Fernseher. Im Schlafzimmer einen Heiland als Hirte, in Öl.

      Und sie nimmt mich regelmässig mit, auf den Hof.

      Sie heisst Elise, aber ich darf sie nicht so nennen.

      Ihr Mann ist verschollen, also zieht sie ihre beiden Töchter alleine auf. Ein halbes Leben schon arbeitet sie bei einer reichen Familie. Als man sie eines Tages nicht mehr braucht, wird sie verabschiedet. Keine Pension. Keine Abfindung. Sie beklagt sich nicht.

      Sie glaubt an Gott.

      Krank ist sie nie, kein einziges Mal.

      Einmal ist sie unvernünftig. Zwei junge Männer kämpfen auf offener Strasse miteinander. Sie geht schlichtend dazwischen. Sie ist achtzig. Schliesslich hören die beiden Männer auf, sie aber liegt mit gebrochenem Becken am Boden.

      Seltsame Eigenarten hat sie. Zum Beispiel isst sie keine Schokolade. Sie wolle sich ihren Mund nicht schmutzig machen.

      Und niemals besteigt sie einen Zug.

      Auto ja. Zug nein.

      Wir lassen uns auf den Hof chauffieren. Von dem Onkel mit dem Auto.

      Er besitzt einen Ford Taunus siebzehn M. Jeden Samstag wäscht und poliert er ihn auf Hochglanz.

      Die Fahrt führt uns von der Stadt weg, in ein enges Tal. Die Strasse folgt einem sich wild schlängelnden Bach. Haben wir die Passhöhe bezwungen, ohne dass der Motor des Ford Taunus siebzehn M kocht, rollen wir ein anderes Tal hinunter. Wenn der Motor kocht, müssen wir eine Pause einlegen. Dann wird sie nervös, weil wir zu spät zum Mittagessen kommen. Unpünktlichsein kann sie nicht ertragen.

      Einmal kommt uns unmittelbar vor dem Zenit des Passes ein rollender Autoreifen entgegen. Plötzlich ist er da. Vor Schreck fährt mein Onkel in den Strassengraben. Der Reifen verschwindet, ich schaue ihm durch das Rückfenster nach.

      Zum Entsetzen meiner Grossmutter flucht der Onkel. Ich merke mir die Wörter.

      Wir erfahren nie, woher der Reifen kam. Der Onkel beruhigt sich erst, als er sieht, dass sein Schmuckstück keinen Kratzer abbekommen hat. Beim scharfen Bremsen ist einzig das gelbe Kissen mit der gestickten Autonummer nach vorne geflogen.

      Mich beschäftigt der einsame Reifen noch lange. Ich stelle mir vor, er würde nirgends anstossen und immer weiter abwärts rollen, den Rhein entlang, bis zum Meer. Danach würde der Reifen gemütlich über den Ozean schwimmen.

      Ich würde das Meer auch gerne sehen.

      Ich liege auf dem Rücksitz, als ob ich schlafen würde. Ich tue das oft. Dann reden die Erwachsenen.

      Die Strasse führt durch ein Dorf, das für mich lange Zeit ein Ort des Schreckens bleibt.

      Ich höre den Onkel von einer Frau erzählen, die ihren Mann mit einem grossen Küchenmesser aufgeschlitzt hat. Die Wohnung sei voller Blut gewesen. Und jetzt büsse sie hier im Gefängnis, inmitten anderer Schlächterfrauen ihre Tat, hoffentlich bis an ihr Lebensende.

      Jedes Mal, wenn wir durch diesen Ort fahren, stelle ich mir das Gefängnis vor. Mit lauter Schlächterfrauen, alle haben ihre Männer aufgeschlitzt und Wohnungen voller Blut hinterlassen. Haben die auch Kinder?

      Alle Frauen, die ich kenne, sind zart und leise. Mit Händen, die sich nicht zum Aufschlitzen von Männern eignen.

      Ich stelle mir mächtige Frauen vor, mit Oberarmen wie Äste. Gummischürzen um aufgedunsene Bäuche, scharfe Messer in groben Händen. Riesige Brüste unter blutverschmierten Gesichtern. Die verfolgen mich dann prompt einige Tage bis in den Schlaf.

      Elise mag solche Geschichten gar nicht. Der Onkel schon. Sie schüttelt bloss den Kopf. Er wiederholt dann die Geschichte, weil er denkt, sie habe es nicht begriffen. Beim zweiten Mal schüttelt sie nicht mehr den Kopf. Sie schaut einfach zum Fenster hinaus.

      Meistens sind die Fahrten aber stumm. Sie spricht sowieso nicht viel. Der Onkel heftet seine Augen auf die Strasse. Der Verkehr nimmt seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Er ist stolz auf seine Fahrkunst.

      Er ist ein miserabler Autofahrer. Ständig ruckelt und kratzt es beim Schalten. Nie kann er das Steuer ruhig halten. Hin und her drippeln nervös seine Hände, auch auf gerader Strasse. Als müsse er uns durch ein vermintes Feld fahren.

      Am liebsten liege ich auf dem Rücksitz. Oder ich lege mein Kinn auf die Lehne des Vordersitzes und fahre. Kuppeln. Schalten. Blinken. Und Gas geben!

      Ich fahre viel, viel schneller als mein Onkel.

      Wenn ich an Grossmutter denke, sehe ich sie auf einem Stuhl am Fenster sitzen. Der Stuhl steht etwa ein Meter vom Fenster weg, in einem Winkel von 45 Grad. Angegraute Tüllvorhänge hängen vor dem Fenster, zugezogen. Sie sitzt ganz still. Ihre Hände liegen im Schoss, die Fingerspitzen berühren sich leicht. Durch den Vorhang erscheint die Aussenwelt aufgelöst. Ohne Konturen. Entrückt.

      Ein Schwarz-Weiss-Foto, das zu lange belichtet worden ist.

      Und