Reportagen 1+2. Niklaus Meienberg

Читать онлайн.
Название Reportagen 1+2
Автор произведения Niklaus Meienberg
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038551591



Скачать книгу

stáhlen ín der Schweiz/über 1000 wéisse Büstenhálter. Zwei Weísse stáhlen in der Schwárz/über 1000 gélbe Féderhálter. Frau biss im Liebesrausch zu – Übersack im Spital. Kurze Sätze. Ein Gedanke pro Satz. Zwei Gedanken pro BLICK. Keine warme Luft. emd befiehlt: Hosen runter. Übersack befiehlt: Schnäbi an die Luft. Wolfisberg warnt die Wölfe: Offensive kann tödlich sein. Wölfe warnen Wolfisberg. Defensive kann möglich sein. D's Hürate u ds Boue het no mänge groue. BLICK-Leser finden die schönsten Hausinschriften, wie spürt eigentlich der Mann, dass die Frou zum Orgasmus kommt. Die Anti-Schmerz-Kapsel Melabon. Beide wollten ausweichen – Frontalkollision mitten auf der Wiese. Lügt Frau Kopp? Liebe Marta. Orgasmus u ds Boue het no kene groue. 5jähriger Übersack geriet in Kreissäge – tot. Eis im Pool – so kühlt Julio Übersack für besondere Gäste das Wasser. Witwe Sally: Schweres Leben ohne Peter Übersack. Knecht Sämi – ein Schicksal, wie man es von Gotthelf kennt, Gotthelf kennt, Gotthelf kennt. Auch ich nickte auf der Todesstrecke ein, Gottvater soll mein Zeuge sein. Liebe Marta, lieber Peter, Turi Honegger schlackert mit den Eselsohren. Karibik zum Superpreis, ab 1090.– und voller Kuoni-Vorteile. Lausanne holt Milani aus der Wüste zurück. Mikrogenitalis? Sofort starke und bleibende Vergrösserung ihres Penis durch Vakuum-Wundergerät, morgen ist es zu spät. Spiritus-Anlage im Gotteshaus.

      *

      So schwirrt die Lyrik der Schwirr-und-Schlag-Zeilen jeden Tag dem Leser an den Kopf, so stampft ihn die After-Poesie in Grund und Boden, so knockt sie ihn out. Der Leser dankt: er kauft, frisst und vergisst. Dann kauft er wieder. Uebersax und seine Crew sind die einzigen erfolgreichen Lyriker der deutschen Schweiz (Lyrik-Grafiker oder Grafik-Lyriker). Und kann man sich vorstellen, dass Alfred Döblin, wäre der BLICK damals schon greifbar gewesen, in seinem «Berlin Alexanderplatz» BLICK-Schlagzeilen montiert hätte, um den Eindruck des Überprallen, der Sättigung und der zischenden Modernität zu fabrizieren. Der BLICK ist das konsequenteste Gesamtkunstwerk an unsern Kiosken. Alles ist in eins gekehrt. Die Schranken zwischen Sex und Politik, Panzerbeschaffung und Unterhöschen, Kleinkram und Weltereignis, Wirtschaft und Hormonen werden niedergerissen, geografisch und zeitlich weit entfernte und logisch nicht verknüpfte Ereignisse oder Nicht-Ereignisse mit der schnellen Klaue des BLICK-Redaktors von den Philippinen, aber auch von Affoltern am Albis herbeigefetzt, in die gleiche Spalte geknallt, als Continuum aufbereitet und serviert. Alles ist austauschbar wiederholbar umkehrbar. Alles ist mixbar. Die ästhetische Form ist die des anonymen Gesamtkunstwerks, wie bei der BILD-Zeitung:

      «Das formale Modell der BILD-Zeitung ist radikal modern. Dieses Modell ist das Kunstwerk der Avant-Garde. Nicht nur die emanzipatorischen Wissenschaften, von der Psychoanalyse bis zur Kritischen Theorie, hat BILD enteignet, sondern auch die Künste des zwanzigsten Jahrhunderts. BILD ist der alltäglich gewordene Bruch mit jeder tradierten Sprache und mit jeder tradierten Form, es ist Collage, Montage, Assemblage, es ist das objet trouvé und die écriture automatique, Bewusstseins- und Bewusstlosigkeitsstrom, Poesie ohne Poesie, es ist die ästhetische Zertrümmerung des Ästhetischen, die Aufhebung der Kunst, die ästhetische Summa unserer Zivilisation» (Hans Magnus Enzensberger).

      BLICK ist Avantgarde; allerdings. Die seriösen Zeitungsmacher schnöden über ihn – um ihn dann verstohlen zu imitieren. Die «Zwölfte Seite» des «Tages-Anzeigers» ist ein blasses Plagiat des strotzenden BLICK, mit dümmlich-verschämten Prominentenstorys: «(j)et cetera», human touch und Klatsch. Nur ein bisschen braver. Die Freitags-Beilage namens ZÜRI-TIP ist auf dem besten Weg, ein Luxus-Blick zu werden. Sie kommt nur etwas gespreizter daher; und der Rest der Zeitung wird auch bald Farbe kriegen. Dank der wunderbaren neuen Druckerei. Keine Zeitung, vom «Walliser Boten» bis zum «ST. GALLER TAGBLATT», die nicht von der BLICK-Grafik beeinflusst wäre, kaum ein Redaktor, der nicht Elemente der BLICK-Sprache bewusst oder unbewusst in sein Vokabular aufnimmt (und manchmal verschreckt registriert, wie weit es mit ihm gekommen ist). Eine Ausnahme: die NZZ, welche vorläufig noch dem Mahlstrom widersteht. (Sie haben richtig gelesen, Bü., dieses ist ein Compliment, aber une fois n'est pas coutume.)

      *

      Uebersax. Wie er leibt und lebt und Faxen macht. Der harte Knaller, der permanent «Miezen» sagt statt «Frauen» (jedenfalls wenn er mit Männern redet). Er macht eine Zeitung für das Volk, gehört aber zu den Reichen. Er zitiert die Volkstümlichkeit herbei – synthetisch. Er lebt gediegen, mit Porsche-Villa-Ferienhaus-in-Spanien, Jahresgehalt rund 240000, er vermittelt die Welt von oben nach unten; gibt aber auch nach oben die Volksstimmung weiter. Eigentlich wäre er ein Intellektueller, ein Akademiker ist er nicht, Studium abgebrochen. Er ist gescheit genug, um den BLICK nicht ernst zu nehmen. Zirkus Uebersax. Ein Schnelldenker, Sofortverwurster, Stachanow des Zynismus. Persönlich von kultivierter Wurstigkeit, Wendigkeit, er glitscht dem Interviewer leicht durch die Finger, der quicke Ringier-Aal. Der Mann lebt in Harmonie mit seinem Ideal: dem Zynismus. Er behauptet nicht, der blick habe einen «Informationsauftrag» oder die Presse müsse «die vierte Gewalt im Staat» sein, sondern nur: Der blick wolle gefallen und solle gekauft werden und müsse unterhalten. Er heuchelt ein bisschen weniger als andere. Ihm ist wohl in seiner Haut, ausser wenn man ihn etwas allzu stark drauf haut, dann sagt er: «Wollen Sie mir Lektionen in Boulevard-Journalismus geben?» (Nicht: in Journalismus»; – Journalismus schlechthin und B-Journalismus haben in seiner Optik soviel miteinander zu tun wie ein Trottinett mit einem Porsche). Damit schmettert er jede Kritik ab. Er liest andere Zeitungen oft lieber als den blick, könnte aber jetzt keine andere Zeitung mehr machen. Er zieht mir den Speck durch den Mund, indem er seine Begeisterung für die Papst-Reportage, die in der WOZ erschienen ist, Juni 1984 (vgl. Band 2), offenbart – «ein Meisterstück». Ich kann das Compliment aber wirklich nicht erwidern, die BLICK-Papst-Reportagen, bzw. der Hofklatsch, Polizeiklatsch, pseudoreligiöse Blähungen, war langweilig, nicht informativ, dümmer und päpstlicher als erlaubt, nicht mal nach BLICK-Kriterien akzeptabel, aber, «wir müssen auf die religiösen Gefühle der Leser Rücksicht nehmen», sagt der Atheist Uebersax, der gebenedeite Zyniker, «es gibt nie so viele Lämpen wie beim Verletzen der religiösen Gefühle», und Lämpen will er nicht, und meine Papst-Reportage hätte er nicht gedruckt. Er will majoritär schreiben und schreiben lassen, obwohl er zur Minorität der Aufgeklärten und Privilegierten gehört. Gleichwohl ist «Minorität» für ihn ein Schimpfwort …

      Das tönt fast ein bisschen voltairianisch.

      Er saugt die aggressive Kritik mit gierigen Ohren auf. Er wird an diesem Abend gern ein bisschen gepfitzt, das ist eine nette Abwechslung in seinem Herrendasein. Heute nacht oder nie. Der 3. absolute Herrscher über das BLICK-Grossraumbüro regiert ohne Zimmerlinde und Stöcklein, aber mit eiserner Hand. Er kann sich als einziger in seine persönliche Bürohöhle zurückziehen, sein Redaktorenvolk ist überblickbar und hat keine Schlupfwinkel. Dort hinten links sitzt Marta. Grüss Gott Marta. Weiter hinten sitzt der Sport. Herr Englund, der Vize, hat keine Kompetenzen, ausser diejenigen, den BLICK in Uebersaxens Abwesenheit genau so zu machen wie der Chef. Er wagt es nicht, mir das Grossraumbüro in Uebersaxens Abwesenheit zu zeigen. Englund ist ein Unterdrückter, aber ein Fleissiger. Sehr modisch seine Hosen. Er ist immer fröhlich.

      *

      Enzensberger:

      «BILD wird gelesen nicht obwohl, sondern weil es von nichts handelt, jeden Inhalt liquidiert, weder Vergangenheit noch Zukunft kennt, alle historischen, moralischen Kategorien zertrümmert, nicht obwohl, sondern weil es droht, quatscht, ängstigt, schweinigelt, hetzt, leeres Stroh drischt, geifert, tröstet, manipuliert, verklärt, lügt, blödelt, vernichtet. Gerade dieser unveränderliche, alltägliche Terror verschafft dem Leser den paradoxen Genuss, den er mit jedem Süchtigen teilt und der sich von der bewusst erlebten Erniedrigung, die mit ihm verbunden ist, gar nicht trennen lässt. Die Tatsache, dass BILD prinzipiell nicht datierbar ist, dass es sich selbst permanent wiederholt, führt nicht zur Langeweile, sondern zur Beruhigung. Bei seinem jahrzehntelangen Frühstück mit BILD wiegt sich der Leser in der Gewissheit, dass alles so weitergeht, dass nichts etwas macht oder, was auf dasselbe hinausläuft, dass das Nichts nichts macht.»

      So dick wie BILD treibt es BLICK noch nicht, das Land ist ja auch kleiner, man muss vorläufig noch ein bisschen dünner auftragen. Immer die richtige Dosis! Aber die Tendenz läuft manchmal Richtung BILD. Wenn die Tamilen noch mehr Rabatz machen, wenn die Minoritäten sich ungebärdig aufführen wie damals im brennenden Züri – «Wir hätten die