Reportagen 1+2. Niklaus Meienberg

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Название Reportagen 1+2
Автор произведения Niklaus Meienberg
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038551591



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Debatte, war der Redaktion von ihren Chefen mit dem eisernen Besen der Chefarroganz abgewöhnt worden, als einfacher Schweizer möchte ich beinahe sagen: mit deutscher Grosshans-Arroganz. Und erst im Mai 1983 wurde dann doch rebelliert, zum erstenmal seit dem Hinauswurf Bissingers (1978), und es durfte eine Woche lang gegen zwei ehemalige Chefen, Koch & Schmidt, die nicht mehr regierten, und gegen zwei zukünftige, Scholl-Latour & Gross, die noch nicht regierten, gemotzt werden.

      Von Toten nur Gutes, und auf Ambulanzen soll man nicht schiessen; ich weiss.

      *

      Ist es hämisch, sich über die Methoden dieser Chefredaktion jetzt, nachdem Schmidt und Koch abgesetzt sind, zu äussern? Schwieriger war es damals während der sogenannten Heftkritik an einem Freitag im letzten November (immer am Freitag ist Heftkritik beim STERN, das neu erschienene Heft wird von einem Mitglied der Redaktion oder von einem speziell eingeflogenen Prominenten, Lothar Späth z.B. oder Intendant Stolte vom zdf, kritisiert). An jenem Freitag war ich mit der Heftkritik betraut und gedachte, nicht aus heroischen Motiven, sondern, weil ich aus meinem Magen keine Geschwürgrube machen wollte, als einfacher Schweizer meine Eindrücke mitzuteilen (Heidi bei Fam. Sesemann). Im betreffenden Heft war u.a. ein Interview mit dem spanischen Ministerpräsidenten, an dem Koch, der Redakteur Bindernagel, Fotograf Lebeck, eine Dolmetscherin und ich mitgewirkt hatten. Ich erzählte der sehr zahlreich erschienenen Redaktion, etwa 100 Leute, Koch & Schmidt inklusive, dass wir mit einem Lear-Jet, Kosten 18'000 Mark, nach Madrid geflogen waren (Unruhe bei den weniger gut bezahlten, zum Sparen angehaltenen Kollegen). Das Interview war von Willy, wie Koch sagte, ANGELEIERT worden; ist natürlich Willy Brandt damit gemeint. Mit González hätte man spanisch oder französisch reden können, Koch konnte weder noch, darum eine teure Dolmetscherin. Der Lear-Jet war auch unabdingbar; Chefen haben bei solchen Reisen ein Anrecht darauf. Um 7 Uhr waren wir auf dem Flughafen verabredet, Koch am Vorabend: «Bitte pünktlich.» Koch war dann um 7.30 Uhr zur Stelle, die andern pünktlich. Wegen dieser Verspätung und weil wir viel Gegenwind hatten und weil das falsche Lear-Jet-Modell gechartert worden war, verpassten wir den Termin in Madrid um eine halbe Stunde. Die Sekretärin von González: «Zu spät, nichts mehr zu machen.» Koch zu Bindernagel: «Erklären Sie ihr, dass wir eigens einen Lear-Jet gechartert haben. Und rufen Sie doch Willy nochmals an, er soll intervenieren.» Ein bisschen bedeppert gingen wir in die nächste Taverne, Koch zu Bindernagel: «Reservieren Sie doch im Restaurant XY einen Tisch für später, dort gibt es die besten Spanferkel.» Nachdem González, evtl. unter Druck von Willy, ein Einsehen hatte, konnte doch noch interviewt werden. Koch hatte, selber unvorbereitet, im Lear-Jet die Fragen studiert, welche Bindernagel und ich präpariert hatten. Koch zu Bindernagel: «Haben Sie was dagegen, wenn ich Ihre ersten vier Fragen stelle?» Bindernagel: «Nein.» Koch stellte, die Dolmetscherin dolmetschte: Ohne Dolmetscherin hätten wir zweimal soviel Zeit für das Gespräch gehabt. Die Spanferkel waren dann besser als das Interview.

      Ich fand es ganz natürlich, der Redaktionsversammlung, im Rahmen der Heftkritik, diesen Vorgang zu erläutern. Es wurde ziemlich still dabei, manche Kollegen sahen mich entsetzt an, Koch rutschte unruhig hin und her – und nach meinem Vortrag meldete sich ein einziger, der diese interessanten Interview- und Flugbräuche kritisieren wollte. Der Mann wurde von Koch barsch zum Schweigen gebracht. Nach der Heftkritik kamen zahlreiche Kolleginnen und Kollegen in mein Büro und gratulierten; droben in der Konferenz hatten sie geschwiegen.

      *

      Ach, es war eine schöne Aufstandswoche, damals im Mai 1983, und auch ich habe einige Tage lang gemeint, die Redaktion sei zu sich selbst gekommen: zu ihrem Bewusstsein. Waren nicht alle Ressortchefs, einer nach dem andern, aufgestanden, und hatten sie nicht beteuert, Gross und Scholl-Latour (im Hause Schmoll-Lamour genannt) kämen sozusagen nur über ihre Leiche ins Haus? Unterdessen sitzt Gross ganz oben im Konzern, in der Nähe von Gottvater Mohn, und Scholl-Latour ist Chefredakteur (unterdessen, 1985, auch schon wieder nicht mehr), und keiner von den Ressortchefs ist eine Leiche, ganz im Gegenteil. Es war eine Revolution der deutschen Art (Bitte Rasen nicht betreten). Einige von den ganz grossen Rebellen haben sich seither finanziell verbessert und prächtige Verträge mit der neuen Hierarchie ausgehandelt. Ich persönlich gestehe, dass ich darüber schwer hinwegkomme, unter den Aufgestiegenen sind solche, die man früher respektieren konnte. Die Saugkraft dieses Betriebs ist enorm, und wohin soll man, wenn man beim STERN gewesen ist, als wieder zum STERN? Wo garniert man so tüchtig, wo kann man sich so bedeutend vorkommen, wo hat man als Redakteur schon fast ein Ministergefühl und als Chefredakteur eine schimmernde Staatspräsidentenaura? Man ist nicht ungestraft bei der «grössten und besten Illustrierten der Welt» (wie Foto-Chefredakteur Gillhausen einmal sagte).

      *

      Wer zum STERN geht weiss, dass ihn keine Konfirmandenschule erwartet. Als Gillhausen mich anheuerte, war ich auf Einiges gefasst: Ellenbogenmanieren, rauhe Sitten, harte Konkurrenz im Haus. Aber totale Unterwürfigkeit? Kasernenhofton? Blinde Autoritätsgläubigkeit? Permanentes Austricksen der Kollegen? Kann sich die kühnste Phantasie nicht ausmalen. Hätte mir einer 1982 gesagt: Bald wird das Blatt gefälschte Hitler-Tagebücher publizieren, dann wäre er ausgelacht worden.

      *

      «Durch alle Stockwerke des Redaktionsgebäudes war immer das Murren und Schimpfen über die Selbstherrlichkeit der Chefs zu hören, aber es hatte nicht mehr Bedeutung als die Raunzereien der Soldaten im Krieg – sie kämpfen doch –, und die STERN-Leute haben niemals eine Nummer ausfallen lassen – auch im Mai 1983 sind sie vor dieser Möglichkeit entsetzt zurückgeschreckt.» Da hat Kuby schon wieder recht; leider. Im November 1982, ich war zur Vorbereitung auf den Pariser Korrespondentenposten im Mutterhaus an der Alster eingeliefert worden, habe ich den STERN täglich so erlebt. Diese geballten Fäuste! (im Sack). Diese unbändigen Wütchen! (als Geschwür in der Magengrube). In jedem Betrieb wird gegen die Hierarchie gemotzt, aber soviel Hohn für die Chefen (in ihrer Abwesenheit) und soviel Strammstehen (in ihrer Anwesenheit) habe ich nirgendwo sonst erlebt. Respekt empfand man nur für Gillhausen. Und zugleich soviel Desinteresse für das Gesamtprodukt, für den STERN als Ganzes – «weil es jedem von ihnen letzten Endes Wurst ist, woraus die ‹Mischung› besteht, solange sein eigenes Produkt angemessen präsentiert wird» (Kuby). Niemand, auch keine von den engagierten Frauen, fühlt sich betupft oder gar mitverantwortlich, wenn wieder eine nackte Zwetschge aufs Titelblatt kommt (welche immer kommen, wenn die Auflage ein bisschen sinkt). «Da kann man nichts machen, wir haben da gar nichts zu bestimmen», hiess es jeweils, «das Titelbild wird allein von der Chefredaktion ausgewählt.» Niemand fühlte sich betroffen, wenn wieder einmal der Kollege X oder Y in der Redaktionskonferenz perfid zusammengestaucht wurde, von oben. Der STERN kam mir vor wie ein Haifischaquarium, wo jeder nach dem fettesten Brocken und jeder nach jedem schnappt und wo die Haifische sich in Sardinen verwandeln, sobald die obersten Chef-Haifische erscheinen. Über die unsägliche Bachmeier-Serie (eine Mörderin wurde glorifiziert, der STERN spielte Justiz, griff in ein schwebendes Verfahren ein) haben alle intelligenten Kollegen gestöhnt, aber auch da «konnte man nichts machen», man hatte eben der Bachmeier, so hiess es, 100'000 Mark hingeblättert für die Exklusivität ihrer Lebensbeichte, die sie dem Journalisten G. flüsterte (der sich selbst als «Edelfeder» bezeichnet). Überhaupt der Checkbuch-Journalismus: Man ist nicht einseitig, alle politischen Strömungen werden berücksichtigt, Carter, Hitler, Caroline von Monaco, russische Dissidenten. Carter hat für ein (sehr mittelmässiges) Interview, das der STERN mit dem pensionierten Präsidenten machte, 125'000 Mark gekriegt, das heisst, damit sicherte sich der STERN das Alleinabdrucksrecht von Carters Memoiren im deutschen Sprachraum: Auf welchen Abdruck der STERN sodann verzichtete, weil man ja schon ein Exklusivinterview hatte … Für alle andern deutschsprachigen Zeitungen waren die Memoiren damit blockiert. Man nennt das beim STERN: Den Markt leerkaufen. Ein anderer interner Fachausdruck heisst: WITWEN SCHÜTTELN. Damit ist jene Taktik gemeint, welche den Angehörigen von Katastrophen-Opfern, z.B. nach dem Massaker auf dem Oktoberfest in München, Fotos und Personalien der Opfer entlockt, wenn nötig mit Geld. Siehe auch den internen Fachausdruck: SÄRGE ÖFFNEN.

      Als Breschnjew starb, wurde beim Dissidenten Sinjawski in Paris ein kurzer Nachruf bestellt (für 10'000 Francs), in dringender Nachtarbeit von einer Kollegin aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt: und anschliessend nicht gedruckt, weil man gleichzeitig bei Kopelew einen Nachruf bestellt hatte, der gedruckt wurde.

      Zwei