Eingeäschert. Doug Johnstone

Читать онлайн.
Название Eingeäschert
Автор произведения Doug Johnstone
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948392437



Скачать книгу

begann seinen Tribut zu fordern. Als Teenager ging sie auf Distanz, zog bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu Hause aus, studierte Journalismus, arbeitete, verliebte sich in Craig, bekam Hannah, ließ sich von Craig scheiden und hielt sich die ganze Zeit so weit wie möglich fern vom Tod.

      Jetzt aber war der Tod wieder Teil ihres Lebens.

      Sie schaute sich um. Hohe Eichen und Kiefern säumten die hintere Mauer des Gartens und versperrten den Nachbarn die Sicht. Links von ihr befand sich die offene Garage mit dem darin parkenden silbernen Leichenwagen, daneben die Werkstatt und der Einbalsamierungsraum. Diese Räume grenzten an das Haupthaus hinter ihr, das große, dreigeschossige viktorianische Anwesen, das seit hundert Jahren das Familienhaus der Skelfs war. Die ganze Zeit über hatte es gleichzeitig das Bestattungsunternehmen beherbergt und die letzten zehn Jahre auch noch eine Detektei, wobei die Firmen das Erdgeschoss in Beschlag nahmen, während die Familie auf den beiden Stockwerken darüber wohnte.

      Rechts von Jenny raschelte etwas im Gebüsch, und dann kam Schrödinger aus dem Grünzeug getappt. Schrödinger war Dorothys letzter Streuner, ein rötlich-braun getigerter Kater mit dem drahtigen Körper eines Straßenkämpfers und der Ausstrahlung eines extrem ausgeprägten Selbstbewusstseins. Der Name war Hannahs Idee gewesen, und dabei war es geblieben. Als er näher kam, sah Jenny etwas in seinem Maul. Ein Vogel, rote, weiße und schwarze Kleckse im Gesicht, gelbe unter dem Flügel. Ein Stieglitz.

      Normalerweise kam Schrödinger nie in Jennys Nähe, war sie hier doch eine Fremde, aber jetzt ging er an den anderen vorbei und legte ihr den Finken vor die Füße. Der Kater sah kurz zu dem Feuer hinüber, das Jims Körper umhüllte, ihm die Energie aussaugte, dann schlenderte er zurück ins Gebüsch.

      Jenny senkte ihren Blick zu dem Stieglitz, dessen Brust und Kehle blutverschmiert waren.

      Noch ein toter Körper, den man entsorgen musste.

      Sie hob ihn auf und warf ihn auf den Scheiterhaufen, sah zu, wie sein Gefieder in Flammen aufging. Sie wischte das Blut des Vogels an ihrer Jeans ab und atmete tief durch.

       2

       JENNY

      Dorothy hob ihr Glas. »Auf Jim.«

      Die drei Frauen stießen miteinander an und tranken in kleinen Schlucken Highland Park. Jenny spürte beim Schlucken das Brennen. Normalerweise trank sie jeden halbwegs anständigen Gin, aber Dad liebte Whisky, und das hier war für ihn. Sie stellte ihr Glas auf den Küchentisch und fuhr mit einem Finger über die Maserung der Eiche, dachte an die Tausende von Mahlzeiten, die sie als Kind hier gegessen hatte.

      Dorothy trank einen Schluck Whisky und spielte mit einer Tonschale in der Mitte des Tischs, die Hannah in der Grundschule gemacht hatte, die mit den Yin- und Yang-Symbolen. Sie hatte die Schale für Dorothy gemacht, schon damals an Omas Weltsicht interessiert, an der Balance und den inneren Zusammenhängen der Welt. In der Schale befand sich ein heruntergebranntes Teelicht, und Jenny musste an ihren Dad im Garten denken, der noch vor sich hin schwelte, während sie hier oben saßen. Sie trank einen weiteren Schluck.

      Archie war noch unten und kümmerte sich um das Feuer. Als er anfing, mit dem Schürhaken an Jims Körper herumzufuhrwerken, hatten sich die drei Frauen nach oben in die Küche zurückgezogen, während Indy sich davonstahl, um die Rezeption zu besetzen. Der Empfang war für beide Firmen da, das Bestattungsunternehmen und die Detektei, jede mit einer eigenen Telefonnummer, aber beide erreichten dasselbe Telefon.

      Jenny sah sich in der großen Wohnküche um. Sie saßen an dem alten Tisch neben dem normalen Zeug einer Küche – Herd, Kühlgefrierkombination, Schränke – an zweien der Wände. Die angrenzende Wand besaß zwei große Erkerfenster mit Blick auf den Bruntsfield Links. Von hier konnte Jenny die Zinnen von Edinburgh Castle geradeaus und die Kuppe von Arthur’s Seat auf der rechten Seite sehen. Dazwischen lag der von Bäumen gesäumte Park, den ein stetiger Strom von Studenten und Schulkindern von Bruntsfield nach Marchmont und zurück durchquerte.

      Auf der letzten Wand des Raums hingen große Weißwandtafeln. Am oberen Rand der einen stand in fetten Buchstaben »BU«, auf der anderen »PD«. Die Küche diente auch als eine Art Gefechtsstand, von dem aus beide Unternehmen in den letzten zehn Jahren geleitet worden waren, seit Jim alle mit der Ankündigung überrascht hatte, dass er beabsichtige, seine Aktivitäten vom Geschäft mit dem Tod auf Privatermittlungen auszudehnen. Vielleicht überraschte es ja nicht jeden. Dorothy zuckte nicht mit der Wimper, aber Jenny hatte Probleme damit, es zu begreifen, und Jim wich all ihren Fragen aus.

      Auf der Tafel des Bestattungsunternehmens war derzeit mehr los. Vier Namen waren mit schwarzem Stift unter »BU« geschrieben worden: Gina O’Donnell, John Duggan, Arthur Ford und Ursula Bonetti, alles in Dorothys ordentlicher Handschrift. Unter den Namen standen jeweils verschiedene Details. Wo die Leiche abzuholen war und ob das schon erledigt war, also stand unter einem Namen zum Beispiel RIE für das Royal Infirmary of Edinburgh in Little France, unter einem anderen hieß es Marie Curie für das Hospiz in Frogston, beim Dritten war es die städtische Leichenhalle. Die Leichenhalle bedeutete, dass die Polizei beteiligt und eine Obduktion durchgeführt worden war. Jenny war überrascht, dass sie sich an all das erinnerte, obwohl sie nie etwas mit dem Geschäft zu tun gehabt hatte und seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr hier lebte.

      Unter den Angaben zum Abholen jeder Leiche standen Uhrzeit, Datum und Ort der Beerdigung, eine Vielzahl an Kirchen, Friedhöfen und Krematorien verteilt über die ganze Stadt. Zum einen das Warriston Crematorium, zum anderen das Morningside Crematorium. Es gab weitere Kürzel für jeden Gottesdienst, wie viele Fahrzeuge benötigt wurden, wer der Zelebrant war, um welche Art von Gottesdienst es sich handelte. An der Wand neben dem Whiteboard hing ein großer Stadtplan von Edinburgh, übersät mit verschiedenfarbigen Nadeln. Eine Karte der Toten dieser Stadt. Jenny stellte sich das Muster vor, das sich ergab, wenn man all diese Punkte miteinander verbinden würde.

      Die Tafel der Detektei war im Vergleich ziemlich leer. Sie war auch weniger klar strukturiert, erinnerte ein wenig an die Tafeln in Kriminalfilmen, allerdings ohne die Fotos verstümmelter Frauen mit roten Verbindungslinien zu Serienkillern oder mutmaßlichen Terroristen. Stattdessen stand ganz oben ein Name, Jacob Glassman, direkt darunter ein weiterer Name, Susan Raymond. Dazu Gekritzel in Jims Handschrift, das Jenny nicht entziffern konnte. Sie starrte auf die Schrift, ein Faden, der ihren Dad mit einer Welt verband, die sich nun ohne ihn weiterdrehte. Vor dem Fenster kickten Schulkinder mit einem Fußball, eine alte Frau ging mit ihrem Dackel Gassi, zwei Radfahrer in Rennbekleidung schossen über den Weg zu den Meadows, und keiner von ihnen wusste von dem Mann, der im Garten unten zu Asche zerbröselte. Ihr Dad, für immer unersetzlich.

      »Ich glaub’s einfach nicht, dass Grandpa tot ist«, sagte Hannah. Sie hielt ihr Glas an die Brust. Sie trank nicht viel, was Jenny freute. Die Einstellung gegenüber Alkohol in Schottland hatte sich seit ihrer Jugend sehr verändert. Als Teenager schmuggelte Jenny Halbliterflaschen hinaus auf die Links, um mit ihren Kumpeln zu trinken, ohne dass Dorothy und Jim davon etwas mitbekamen. Der Alkohol hatte Spuren in ihren Adern hinterlassen. Kein Problem, so würde sie es nicht nennen, aber der Alkohol war so etwas wie die Hintergrundbeleuchtung ihres Lebens, eine Spur davon in allem.

      Sie trank ihren Highland Park aus und schenkte sich und Dorothy nach.

      »Ich weiß«, sagte sie.

      Dorothy atmete durch die Nase ein und durch den Mund aus, ein wohlüberlegter Ablauf nach jahrzehntelangem Yoga.

      »Er hatte ein gutes Leben«, sagte sie, wobei nach all den Jahren immer noch ein Hauch ihres kalifornischen Akzents vorhanden war.

      »Ich bin noch nicht so weit, ihn gehen zu lassen«, sagte Jenny.

      Dorothy lehnte sich zurück, und ihr Stuhl knarrte. »Können wir wohl nichts gegen tun.«

      Jenny schüttelte den Kopf und nippte an ihrem Whisky.

      »Was sollte das alles überhaupt?«, fragte sie und neigte ihr Glas zur Tür.

      »Was meinst du?«, fragte Dorothy.

      »Das menschliche