Название | Gott im Hotel |
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Автор произведения | Platsch Anna |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948177966 |
Passt ja. Mechthild die Nahe. Die in ihrer Zeit vom Heiligen Geist spricht, wie wir heute wohl von einem sich weitenden Bewusstsein. Alles, was sie schrieb, strömte aus dieser EINEN Lichtquelle, ist wie eine Zwiesprache zwischen der Seele und Gott in Einheit – wenn ich scheine, so musst du leuchten, wenn ich fließe, so musst du tosen, wenn du aber liebst, so werden wir zwei eines, und wenn wir zwei eines sind, so kann niemals mehr Trennung geschehen, sondern ein lustvolles Harren wohnt zwischen uns beiden.
Ich bin hier zur Hochzeit des jungen Liebespaars, und die Sehende fällt in mein Innerstes mit der großen, zeitlosen Hochzeit. Mit Worten höchster Intensität, mit Leuchten und Tosen und dem Vibrieren im Harren.
Und dem Lustvollen. Sie singt vom Eros der Mystik. Was dazu führte, dass die Kirchenmänner sie eines irdischen Geliebten verdächtigten und ihre ganze Gotteserfahrung infrage stellten. Sie konnten sie nicht verstehen. Wer weiß, welche Fantasien der eine oder andere hatte – während sie vom Ungetrennten, vom Heimlichsten aller Geliebten sang.
Mechthild verließ mit vierundzwanzig Jahren ihr adliges Elternhaus und schloss sich den Magdeburger Beginen an, um sich ganz ihrem spirituellen Weg zu widmen. Dazu gehörte für sie auch, sich um die Armen zu kümmern. Und das Elend der Bevölkerung war groß, da muss man sich schon hinzulangen getrauen. Wer bei Gott eintaucht, wird beim Mitmenschen auftauchen.
Und es bedeutete auch – ihrer inneren Wahrheit verpflichtet – ihre Wahrnehmung von Formen der ausufernden Verweltlichung des Klerus kritisch zu benennen.
… die Worte, die niemand gehört hat.
Doch sie findet überraschenderweise einen Unterstützer aus kirchlichen Kreisen in jener für Frauen so gefährlichen Zeit. Ohne Hilfe, ohne jemanden, der die größere Wahrheit in ihren Schriften sehen konnte, wäre sie sicher der Ketzerei angeklagt worden. Sie konnte gar nicht anders als sprechen – die Seele –je stiller sie schweigt, desto lauter ruft sie.
Sie wird vom Klerus angefeindet und bedroht; eine Frau, und mag sie noch so adlig sein, die ohne theologische Ausbildung, ohne Lateinkenntnisse, in Volkssprache, so kühn von ihren spirituellen Erfahrungen schreibt – das geht nicht. Wär ich ein gelehrter geistlicher Mann, du würdest ewige Verherrlichung dafür empfangen. Stattdessen wird sie belehrt, dass, wenn sie nicht davon absähe zu schreiben, es – immerhin nur das Buch, nicht sie – in Flammen aufgehen würde.
Gott beruhigt sie – die Wahrheit kann niemand verbrennen. Dieses Buch, das heute nicht nur als literarischer Edelstein erscheint, war das erste mystische Werk in unserem Kulturraum, noch vor den Schriften Meister Eckharts, mit dem sie voranging, den so unebenen Weg gebahnt hat – mit der einzigen Vollmacht, die sie hatte, dem göttlichen Auftrag.
Vielleicht ist die Zeit endlich reif dafür, dass die unmittelbare Quelle der Mystikerinnen – es kommen ja noch viele nach ihr, hier und in ferneren Ländern – die Basis für uns Frauen werden, den Boden harter, patriarchaler Strukturen zu erweichen mit dem aus dem Innersten geborenen Mut, der viel tieferen, existenziellen Befreiung, der Liebe. Ohne die nichts milde wird.
Mich packt ihre Radikalität, Jahrhunderte vor Merton, dieses bedingungslose Folgen, dieses sich ganz, vollkommen auf DAS Beziehen. Ein Leben im Namenlosen als höchste Priorität, durch alle Anfechtungen hindurch, der äußeren, der inneren. Natürlich begegnete auch sie der Dunkelheit der Seele, der inneren Wüste. … du sollst das Nichts lieben, war die innere Antwort.
Wie kann ich es lieben, das verschlossene Herz?
Meine Pein ist tiefer als der Abgrund, mein Herzleid ist weiter als die Welt, meine Furcht ist größer als die Berge, meine Sehnsucht reicht höher als die Sterne. In diesen Dingen kann ich dich nirgends finden.
Ist ihre Antwort.
Die ich auf Erden zu mir herziehe, denen tut der Zug sehr weh.
Ist die Antwort.
Ich stelle mir meinen mahagonifarbenen Stuhl in die Sonne auf dem kleinen Balkon und ziehe mit meinem Laptop auf den Knien durch meine und Mechthilds Seelenräume. Mein Herz fließt wieder, versinkt, versingt sich in den Liebesworten. Da Gott sich nicht mehr halten konnte, erschuf er die Seele und gab sich ihr in großer Lieb zu eigen.
Und führt diese Seele mit Gewalt in die heilige, wahre Erkenntnis ein.
Ich liebe diese Gewalt. Ich sehne mich nach dieser Gewalt.
Ich sehne mich nach der Sicherheit der Seele, nach der großen Zunge der Gottheit, nach dem Erkennen der unaussprechlichen Ordnung, nach der Berührung des heiligen Geistes mit seiner fließenden Flut.
Was hat diese Frau für eine Poesie. Und ich fließe in ihr, mit dem Blick auf die Rhododendren in Purpur, Weiß und Violett.
Die durchsichtige Klarheit und ethische Kraft Mechthilds, ihre tiefsten Erfahrungen, aus denen sie spricht in einer Modernität, nimmt mir auch Jahrzehnte nach meiner ersten Begegnung mit ihr den Atem.
Alle, die dieses Buch verstehen wollen, müssen es neunmal lesen. Neun Stufen der Seele, neun Stufen des Bewusstseins. Jedes Mal neu.
Diese Worte bergen so eine zeitlose Dynamik, die Übersetzung bräuchten in eine Zeit aus Jetzt, getragen von den Wellen der Evolution, unversehrt-zeitlos, hoch modern. Um die Suchenden des zweiten Jahrtausends den feinen Duft der Worte aus fließendem Licht ahnen zu lassen.
Der Herr sagt: dieses Buch wird beständig unerschüttert bleiben und du mögest dieses Buch behüten vor verlogener Aufmerksamkeit.
Mich erschüttert es. Jetzt, heute, 800 Jahre später.
Gott hatte recht.
Mit etwas wackligen Knien wühle ich aus meinem Koffer das Kleid für die hiesige Hochzeit heraus, leicht flatternd in der Synchronizität des Lebens aus innerer und äußerer Hochzeit.
Im Bad lege ich etwas Farbe über mein verweintes Gesicht, eine heilige Aufmerksamkeit sollen wir für uns selber haben. Wobei vermutlich das Überschminken nicht so genau damit gemeint war …
Ich lege meinen Schmuck an. Wie die Braut im Hohen Lied, dessen Sprache sich Mechthild in ihrer Kühnheit bediente, die Braut, die heute nicht ich bin, es der Jungen überlasse; oder es immer war, schon immer, seit ich hier bin. Braut mein ganzes Leben.
Der Schmuck ist eine Kette meiner verstorbenen Mutter, für meinen Neffen, dass auch etwas seiner geliebten Großmutter bei seinem großen Fest dabei ist, die Ahnin auch mitträgt.
Nicht nur, weil die Beine noch zittern, sondern auch aus dem Spaß an hohen Absätzen hänge ich mich elegant in den Arm meines hiesigen Bräutigams, durchschreite die weichen Teppiche, die verbauten Flure und trete in den blendenden Pfingstsonntag im Park.
Es wird ein Fest einer besonderen Liebe. Die beiden haben die Schritte ihrer Rituale sehr sacht gestaltet, mit vielen kleinen Details, kein Moment der Begegnung geht in der Form unter. Immer ist dieses feine Band zwischen den beiden und die Achtsamkeit der sie Begleitenden zu spüren.
Dahinter die Worte, die niemand gehört hat.
Am nächsten Morgen, noch immer im Hotel, kommt mein anderer Neffe zum Frühstück. Es ist ein Vergnügen, weil ich diese Felder von Spannung liebe, Altes – Neues, Brüche, Aufbrechendes. Dieser junge, wilde, begabte Künstlerkerl in diesem Grandhotel-Frühstücksraum. Wir lachen sogar laut. Mindestmaß an Kühnheit.
Und steige in den Zug nach Hause, setze mich in mein kleines Gärtchen unter die Sonne eines späten Nachmittags, betrachte ganz neu meine zwei mageren Rhododendren. In einer frostigen Aprilnacht waren die Blüten erfroren – und jetzt entdecke ich voll Staunen drei kleine, frische Nachblühende. Ganz weich, mit friedsanftenem Herzen, lese ich weiter, jetzt im alten Buch meiner ersten Begegnung mit seinen leicht vergilbten, rau gewordenen Seiten.
Alle deine Fußspuren sind gezählt, schreibt Mechthild. Sie war sehr krank am Ende ihres Lebens und zog sich – der Anfeindungen müde – in das Kloster