Die Seele im Unterzucker. Mica Scholten

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Название Die Seele im Unterzucker
Автор произведения Mica Scholten
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991072393



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einer Stechhilfe einen Stich in die Fingerkuppe zu machen und anhand eines Blutstropfens via Blutzuckermessgerät herauszufinden, wie hoch mein Blutzuckerwert war. Idealwerte liegen in etwa zwischen 80 und 160 mg/dl (Stand von vor rund 20 Jahren, heute ist jener Aspekt noch eine Spur strenger geworden und man sagt sogar teilweise bereits zwischen 70 und 140 mg/dl). Wobei es hier im Gesamtbild noch vielerlei mehr Feinheiten zu beachten gibt. Nüchtern-Wert, vor-dem-Essen, nach-dem-Essen, Schlafenszeit, nachts etc.

      In Bruchstücken erinnere ich mich noch immer an jene Zeit. Meine Mutter blieb die ganze Zeit über an meiner Seite und schlief auf einer Klappliege neben meinem Krankenbett. Ein weiteres Kind bewohnte ebenfalls mit seiner Mutter das Zimmer, wir verstanden uns sehr gut mit den beiden. Die Ärzte und Schwestern waren alle sehr lieb zu mir, obwohl ich gelegentlich aufgrund der neuen Situation auch etwas mürrisch agierte. Aber ich schätze, das ist mir nicht allzu übel zu nehmen. Ständige Stiche in die Fingerkuppen und in den Bauch sind für ein fast 4-jähriges Kind alles andere als ein Zuckerschlecken. Wortwörtlich, haha!

      Alle paar Stunden musste von nun an mein Zuckerwert bestimmt werden, damit meine Insulintherapie perfekt eingestellt werden konnte. Sogar in den nächtlichen Stunden ging zwischenzeitlich die Türe auf. Eine Nachtschwester kam herein, desinfizierte meinen Finger und versetzte mir einen Piekser um meinen Wert zu bestimmen. Anhand dieser Maßnahme wurde die Dosis meines Basalinsulins, (welches den Bedarf unabhängig vom Essen abdeckt), optimal angepasst. Das war eine sehr nervige und mitunter auch schmerzhafte Prozedur. Ganz besonders dann, wenn immer ein anderer Finger zum Pieksen ausgewählt wurde. An unberührten und frischen Stellen schmerzten die Stiche um einiges mehr als an jenen Fingern, welche bereits eine kleine Hornhaut aufgrund der Stiche gebildet hatten.

      Mithilfe eines sehr lustig gemachten Hörspiels für Kinder, welches ich damals auf meinem Walkman rauf und runter hörte, begann ich mein neues Handicap allmählich zu begreifen. Durch die lustig untermalten Lieder darin lernte ich sogar schon frühzeitig einige Fachbegriffe bezüglich der Zuckerkrankheit kennen und ansatzweise verstehen.

      Wer noch etwas mehr Hintergrundwissen über Diabetes Typ 1 sammeln möchte, liest dieses Kapitel zu Ende. Wen es so gar nicht interessiert, der springt einfach über zum nächsten …

      Folgende Begriffe sollten jeder Diabetiker und auch deren nächste Angehörige kennen:

      Hypoglykämie (Hypo) = Unterzuckerung

      Hyperglykämie (Hyper) = Überzuckerung

      Basalinsulin = langwirksames Insulin, welches über mehrere Stunden den täglichen Insulinbedarf unabhängig vom Essen abdeckt

      Bolusinsulin = kurzwirksames Mahlzeiten- und Korrekturinsulin

      BE = Broteinheit (10–12 g Kohlenhydrate) zur Berechnung des benötigten Insulins. Als altbewährte Faustformel der intensivierten Insulintherapie gilt: Eine Einheit pro BE! Das variiert jedoch ein bisschen von Person zu Person.

      Beispiel: 1 mittelgroßer Apfel oder 1 Scheibe Toastbrot haben jeweils 1 BE. Wenn ich nun zum Frühstück 2 Scheiben Toast gegessen habe, musste ich mit 2 Einheiten Bolusinsulin korrigieren. War Käse oder Wurst auf dem Brot, musste dies nicht berücksichtigt werden, da diese keine Kohlenhydrate, sondern nur Fett und Eiweiß enthalten. Anders sah es bei Marmelade oder Nutella aus. 25 g davon, eine weitere BE. Und so weiter und so fort. Hinzu kommt die Tatsache, dass der Körper in den Morgenstunden einen höheren Bedarf an Insulin hat als in den Mittags- und Abendstunden. Alles Feinheiten, welche man für eine perfekte Therapie berücksichtigen muss.

      Für einen Diabetiker gilt ernährungstechnisch dasselbe wie für einen „Nicht-Diabetiker!

      Diese Weisheit, welche bereits mein damaliges Kinderhörspiel besagte, bestätigt sich bis heute. Erst vor kurzem hörte ich sie erneut in meiner letzten Diabetiker-Schulung. Um Folgeerkrankungen vorzubeugen muss ein chronisch kranker Mensch mit Diabetes stets doppelt so sehr auf der Hut sein wie ein gesunder Mensch. Aber auch jenem würde es natürlich alles andere als schaden, sich in puncto Ernährung an ein ähnliches Schema zu halten. In diesem Sinne gilt so mancher disziplinierte Diabetiker mit gesunder Ernährungsweise sogar als Vorbild. Die einfachsten Regeln dürften wohl nahezu bekannt sein.

       Regelmäßig frisches Obst und Gemüse.

       Die täglichen Mahlzeiten (besser sind mehrere kleine über den Tag verteilt als riesige Portionen) wenn möglich immer zu denselben Uhrzeiten einnehmen.

       Gesunde und lang sättigende Kohlenhydrate mit wenig Zucker.

       Keine großen Portionen vor dem Schlafengehen (bringt den Zuckerspiegel in der Nacht unnötig aus dem Gleichgewicht und sorgt für zu hohe Blutzuckerwerte am Morgen).

       Zuckerhaltige Getränke nur in Maßen (auch mit Light-Getränken nicht übertreiben, da die Zuckeraustauschstoffe nicht gerade das Maß aller Dinge sind) Am besten sind Wasser und Tee.

       Regelmäßig Bewegung und Sport.

      Injiziert sich ein Diabetiker mehr Insulin als nötig, so verfällt er in eine Unterzuckerung (Hypoglykämie).

      Auch dies variiert wieder individuell von Person zu Person. Der eine merkt bereits bei einem Zuckerwert von 80 mg/dl typische Symptome, der andere wiederum erst ab 50 mg/dl oder sogar weniger.

      Die typischen Symptome hierbei sind vorübergehende Seh- und Konzentrationsstörungen, Heißhunger, zitternde Beine, Schwitzen, Krämpfe, Panikattacken, Aggressivität, übertriebene Albernheit, Verwirrung bis hin zur Bewusstlosigkeit (meist bei extremer Unterzuckerung, auch „schwerer Hypo“ genannt). Auch von diesen wechselnden Begleiterscheinungen kann ich als langjähriger Diabetiker mittlerweile ein Lied singen.

      Im Falle einer Bewusstlosigkeit ist Hilfe von anderen Personen unerlässlich. Es sollte Traubenzucker oder ein recht schnell wirkendes Getränk wie Apfelsaft oder Cola verabreicht werden, um das Bewusstsein des Diabetikers so schnell wie möglich wiederherzustellen. Ist dies nicht mehr möglich, so darf auf keinen Fall gewaltsam gehandelt werden. Es besteht Erstickungsgefahr!

      Bei jeder Unterzuckerung ist der ganze Körper massiver Belastung und Stress ausgesetzt. Die Leber (welche unter anderem Fett- und Zuckerreserven im Körper abspeichert) schüttet in diesem Zustand vermehrt Zucker aus, um den ganzen Kreislauf am Leben zu erhalten. Aus diesem Grunde ist es praktisch unmöglich, an einer Unterzuckerung direkt zu versterben. Reagiert man jedoch nicht rechtzeitig, so nimmt man langfristig teilweise irreparable Schäden in Kauf (Gehirnzellen sterben ab, Muskulatur und Nerven leiden darunter etc.). Deshalb: Unterzuckerungen gilt es konstant zu vermeiden! Lieber ein kleines bisschen zu hoch, als öfters oder sogar konstant zu tief.

      Ganz zu schweigen von den äußeren Einflüssen und Gefahren, wenn man nicht mehr Herr über Körper und Sinne ist. Wie zum Beispiel im Straßenverker.

      Ein Unterzucker kann in gewisser Weise einem Vollrausch gleichgesetzt werden. An Unterzuckerungen in meiner frühesten Kindheit erinnere ich mich teilweise.

      Der Hba1C – eine Art Zwischenzeugnis der Diabetiker

      Alle 3 Monate heißt es für den gut koordinierten Diabetiker zum Arzt gehen und den Hba1C (Langzeitblutzuckerwert) bestimmen zu lassen. Jener liegt im besten Fall zwischen 4 und 6. Wobei auch hier zu sagen gilt, dass es sich dabei um einen Richtwert handelt, der von Diabetiker zu Diabetiker variiert. Ein gesunder Mensch hält sich auf natürlichem Wege automatisch in diesem Bereich, die wenigstens Typ 1-Diabetiker schaffen es wohl dauerhaft, auf dieser Ebene zu verbleiben. Blutzuckerschwankungen lassen sich bei diesem Krankheitsbild in der Praxis niemals vollständig vermeiden. So viele Faktoren beeinflussen ihn. Nicht nur die Essensmenge und die darauf abgestimmte Insulindosis bestimmen die Werte. Außerdem tun es Dinge wie Stress, Krankheiten, Bewegung, anspruchsvolle körperliche Aktivität, Adrenalin, psychische Faktoren, Alkohol und Nikotin, sonstige Begleiterkrankungen etc.

      Der Hba1C widerspiegelt den gehaltenen Blutzuckerspiegel der vergangenen 3–4 Monate quasi als Durchschnitt. Er setzt sich zusammen aus den „normalen“, sowie den zu hohen und zu tiefen Werten und ergibt so die Gesamtsumme.

      Er wird beim Termin mit dem behandelnden Diabetologen gründlich besprochen, sowie das Blutzuckertagebuch