Die Seele im Unterzucker. Mica Scholten

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Название Die Seele im Unterzucker
Автор произведения Mica Scholten
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991072393



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mochte. Er war ihr absoluter Liebling, meine Großeltern hatten im Gesamtbild ein sehr großes Herz für Tiere aller Art. Auch Vögel, Igel und Wildkatzen wurden regelmäßig mit Futter im Garten versorgt. Ich schätze, dass ich meine bedingungslose Liebe zu Tieren zum Großteil ihnen zu verdanken habe.

      Worauf ich mich als Kind immer am meisten freute, waren die Schützenfest- und Jahrmarktbesuche mit meinen Eltern. Mein Vater war ein leidenschaftlicher Fahrgeschäft-Abenteurer, keine Fahrt war ihm zu wild.

      Ab einem gewissen Alter bereitete es auch mir die größte Freude, an den aufregenden Fahrten teilzunehmen. Meine allererste Fahrt verlief mit dem Schnee-Express. Zuerst hatte ich Bedenken, doch als diese Hürde überwunden war, konnte ich von den Fahrten nie mehr genug bekommen. Nach dem Schnee-Express folgten erste Fahrten mit der Achterbahn, dem Break Dancer (bis heute mein Lieblingsfahrgeschäft), dem drehenden Oktopus und vielen mehr. Hierbei fällt mir ein, dass ich stets wahnsinnig enttäuscht und frustriert darüber war, dass ich einige Bahnen damals noch nicht fahren durfte, da man für diese eine Körpergröße von mindestens 1,40 m haben musste. Ich fühlte mich diskriminiert und ausgeschlossen. Dass es sich nur um eine Vorsichtsmaßnahme handelte, kam mir nicht in den Sinn. Natürlich wollte ich ALLE aufregenden Fahrgeschäfte sofort ausprobieren, ganz besonders die angebetete Überschlagbahn Top Spin, welche mein Vater schon häufiger bestiegen war. Anfangs leider noch ohne mich.

      Mein Vater war von Natur aus ein sehr lebhafter Mensch. Er pflegte viele Freund- und Bekanntschaften, mit welchen regelmäßig etwas unternommen wurde. Er war unter anderem Mitglied bei den Segelfliegern, in einem Kochclub und auch gern gesehener Kamerad beim Stammtisch, zu welchem ich ihn in Kindertagen gelegentlich begleiten durfte.

      Zu Weihnachten und Geburtstagen waren die Tische für mich prall gefüllt mit diversen Geschenken in Form von Spielsachen, Geld, Gutschriften und Kleidung. Nicht nur meine expliziten Kinderwünsche wurden erfüllt, sondern auch stets dafür gesorgt, dass es mir anderweitig an nichts fehlte.

      Zu Ostern wurden liebevolle Nester zusammengestellt, welche ich jedes Jahr am Ostersonntag in den frühen Morgenstunden suchen durfte. Das war ein jährliches Highlight für mich, wie es wohl für die meisten Kinder eines darstellt. Ich erinnere mich noch heute an die unendliche Vorfreude auf die ersehnte Suche, als ob es gestern gewesen wäre. Wie ich morgens in die Betten meiner Eltern kletterte, hibbelig wartete, bis jene sich endlich „erbarmten“ aufzustehen und die aufregende Suche beginnen konnte. Ostern mochte ich dank der stets so aufregend gestalteten Suche immer am liebsten. Sogar noch lieber als Geburtstage und Weihnachten, obwohl es da meist die „größeren“ Geschenke zu erwarten gab. An Ostern überwiegten doch meist die Süßigkeiten.

      Ich war von der Konfirmation katholisch. Als Kind war ich lange sehr gläubig, betete sogar eine Zeit lang jeden Abend das Vater-Unser und redete mit Jesus. Ich erzählte ihm von meinem Tag und teilte ihm meine sonstigen Kindersorgen mit. Ich bat ihn um Frieden und Gesundheit in der Welt und ganz besonders darum, dass es allen Tieren gut gehen sollte. Im Grunde spielte das Thema Religion niemals eine größere Rolle in meiner Familie. Wir gingen nicht jeden Sonntag – ja eigentlich so gut wie gar nie – in die Kirche. Noch nicht mal zu Weihnachten oder zu Ostern. Das Einzige, an das ich mich konkret erinnere, ist, dass am Karfreitag kein Fleisch gegessen wurde. Meist kochte mein Vater ein Gericht mit Fisch.

      Geschichten aus der Bibel kannte ich aus dem Kindergarten und auch von zuhause zur Genüge. Am liebsten mochte ich die Noah-Geschichte, weil die vielen Tiere überleben durften und alle „bösen“ Menschen ausradiert wurden. Die Welt wurde für einen Neustart präpariert. Keine üble Idee, oder?

      Mein Kopf war schon sehr früh mit viel Fantasie gefüllt. Durch Kinderserien, Hörspiele, Geschichten und Bücher inspiriert, erfand ich sehr viele eigene Geschichten. Diese spielte ich nicht nur mit meinen Spielfiguren über viele Stunden nach, sondern zeichnete auch sehr viel in Form von Bildern und Comics. Malen zählte zu den größten Hobbys meiner Kindheit. Gelegentlich zeichne ich noch heute.

      Meine Mutter meinte einmal zu mir, dass sie persönlich eine wesentlich strengere Kindheit hatte als ich. Es wurden mitunter die besten Noten und die nötige Begeisterung für Virtuosität erwartet, da meine Großeltern mütterlicherseits beide sehr musikalisch waren bzw. sind. Beide unterrichteten sogar als Lehrer Musik, spielten ausgezeichnet Klavier und waren auch sonst sehr belesen in klassischer Musik. Zu meinem Geburtstag war es üblich, dass ich jedes Mal per Telefon ein Ständchen mit dem Klavier von meiner Omi bekam. Ich bewunderte meine Oma für ihre musikalische Begabung und hörte sehr gerne zu. Dieses Talent hatte sie natürlich auch an meine Mutter weitergegeben, welche ihre virtuosen Fähigkeiten später unter anderem sehr gut bei ihrer Arbeit im Kindergarten einbringen konnte, wenn sie mit den Kindern Lieder sang oder für Aufführungen probte. Ich bin sicher, dass es meine Mutter zu einer großen Pianistin gebracht hätte, wenn sie diesen Weg weiter verfolgt hätte.

      Und trotzdem schwor sich meine Mutter schon in Kindertagen, ihren eigenen Kindern eines Tages jene Erwartungen zu ersparen. Weder Druck in der Schule zu machen noch das gezielte Erlernen eines Instruments. Dass die Kinder vor 40–50 Jahren noch „strenger“ und anders erzogen wurden, ist kein Geheimnis. Auch mein Vater wuchs in Bezug auf Disziplin und Gehorsam deutlich strenger auf als ich.

      Was Bestrafung und Disziplin anging, erhielt auch ich gelegentlich mal eine „Backpfeife“, wurde aber nie wirklich verhauen, wie es bei anderen Kindern der Fall ist. Hin und wieder gab es mal Fernsehverbot, allerdings schaffte ich es meist regelmäßig so lange zu nerven, bis ich vor Ablauf der Frist wieder gucken durfte.

      Meine Großeltern väterlicherseits waren deutlich anders gestrickt als meine Verwandtschaft in Thüringen. Extrem konservativ, traditioneller und viel mehr darauf bedacht, „was denn die Nachbarn denken könnten“.

      Nachdem sich herausgestellt hatte, dass ich „unterwegs“ war, drängten meine Großeltern väterlicherseits meine Mutter und meinen Vater zur Heirat. Wie sähe dies denn sonst in der Gesellschaft aus? Und außerdem müsse das Kind doch IHREN Familiennamen tragen! Meine Mutter (welche noch niemals die Nerven für ewig lange Diskussionen hatte), fügte sich am Ende und ließ den stolzen Vorzeigebürgern ihren Willen. Einem solch konservativen Druck wäre ich persönlich wohl niemals nachgekommen. Schließlich hat doch jeder ein Recht auf ein frei gewähltes Leben.

      Alles in allem hatte ich eine sehr schöne und unbeschwerte frühe Kindheit, welche ich nicht mehr missen möchte!

      Diagnose: Diabetes Typ 1

      Im Sommer 1996 sollte meine bis dato recht unbeschwerte Kindheit zum ersten Mal im Leben auf eine harte Probe gestellt werden. Wir waren gerade im Urlaub bei meiner Oma in Thüringen, so wie jedes Jahr in den Sommerferien. Erzählungen zufolge begann ich nachts wieder ins Bett zu machen. Und das, obwohl ich schon seit einiger Zeit die Nächte über trockengestellt war. Begleitet wurde dieser Zustand von verstärktem Durstgefühl und leichter Abgeschlagenheit.

      Die Symptome erweckten bei meiner Mutter einen Verdacht, da sie einige Zeit zuvor schon einmal einen Fachartikel darüber gelesen hatte. Geistesgegenwärtig führte sie einen Keton Test mittels eines Urinstreifens durch, welcher eindeutig positiv ausfiel.

      Wir fuhren einige Tage früher als geplant nach Hause und zusammen mit meiner Mutter ging es auf die Kinderstation, wo ihr befürchteter Verdacht eindeutig bestätigt wurde. Diabetes mellitus Typ 1. Eine unheilbare Autoimmunerkrankung, bei welcher die körpereigene Bauchspeicheldrüse die Produktion von Insulin nach und nach vollkommen einstellt, weil sie fälschlicherweise von Antikörpern angegriffen wird und somit die aufgenommenen Kohlenhydrate nicht mehr verwerten kann. Die Folge: Der Blutzuckerspiegel steigt durch den nicht aufgenommenen Zucker aus Nahrung und Getränken ins Unendliche an. Der Zucker kommt ohne das lebenswichtige Hormon Insulin nicht mehr in Zellen und Muskeln, und verbleibt somit direkt im Blut. Irgendwann kommt es zu einer Ketoazidose, ein lebensgefährlicher Zustand mit übersäuertem Blut, welcher ohne die Zufuhr von Insulin schon bald tödlich endet. Durch vermehrtes Trinken versucht nun der Körper, das völlig überzuckerte Blut weitestgehend zu reinigen und scheidet den Zuckerüberschuss auf diesem Wege über die Nieren aus. Das erklärte meinen starken Durst und den erhöhten Harndrang, welcher nachts aus eigener Kraft nicht mehr zurückzuhalten war. Meine Nieren verlangten