Blindlings ins Glück. Ria Hellichten

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Название Blindlings ins Glück
Автор произведения Ria Hellichten
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783827184108



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kühl. Ein schwacher, beißender Geruch nach Putzmittel lag noch in der Luft. Jeden Donnerstag kam seine Haushaltshilfe, Milena Kowalski, und auch in den letzten Wochen hatte sie in seiner Wohnung nach dem Rechten gesehen und ab und zu Staub gewischt. Johnny zog die Wohnungstür hinter sich zu, stellte die Transportbox des Katers auf dem Parkett ab und öffnete den Reißverschluss.

      Er holte tief Luft und versuchte, unter dem künstlichen Zitronenduft noch etwas anderes, Vertrautes auszumachen, das ihm zeigen würde, dass er zu Hause war. Aber die beruhigende Gewissheit blieb aus. Bis auf das sanfte Tapsen der Katzenpfoten auf dem Holz lag das Appartement vollkommen still da. Johnny streckte die Arme schräg nach vorne aus und tastete sich zum Wohnzimmer vor. Er wollte sich gerade auf sein Sofa fallen lassen, als das schrille Klingeln des Telefons den Raum erfüllte.

      Johnny zuckte zusammen und fühlte, wie sein Puls einen unangenehmen Sprung machte. Wahrscheinlich war das seine Mutter, die wissen wollte, ob er tatsächlich heil angekommen war. Er versuchte, das Geräusch zu ignorieren, aber eigentlich hatte er das Bedürfnis, mit einem anderen Menschen zu sprechen – um sich davon zu überzeugen, dass er trotz der Zeit, die er eingepfercht in der Plattenbauwohnung verbracht hatte, immer noch bei Verstand war.

      Unentschlossen zog Johnny das iPhone aus der Hosentasche. Er könnte seinen Kumpel Dirk anrufen, aber ihm war nicht danach, zu erklären, was in den letzten Wochen passiert war. Nein, er sehnte sich einfach nach einer belanglosen Unterhaltung. Johnny zögerte kurz, dann sagte er: „Siri, ruf Babsi an.“

      Es klingelte ganze zehn Mal, ehe sie ranging. „Babsi! Wieso dauert das denn so lange? Wie läuft es in der Firma und … wie geht es Ihnen sonst so?“

      „Sind Sie noch im Krankenhaus? Was sagen die Ärzte?“, fragte sie zurück.

      „Nein, ich bin zu Hause. Den Rest erzähle ich Ihnen lieber persönlich. Kommen Sie vorbei? Ich bestelle uns auch eine Pizza.“ Er musste zwar dringend wieder auf seine Ernährung achten, vor allem jetzt, wo er keine Möglichkeit mehr hatte, joggen zu gehen, aber das konnte auch bis morgen warten.

      „Ich hatte für heute Abend schon andere Pläne.“

      „Sagen Sie bloß, Ihr Verlobter hat was dagegen?“

      Babsi schwieg.

      Johnny unterdrückte ein verärgertes Schnauben. Die Lust, sich mit seiner Assistentin zu streiten, war ihm plötzlich vergangen. „Okay. Halten Sie mich auf dem Laufenden, wenn es etwas Neues im Büro gibt, ja? Ich soll noch ein paar Tage zu Hause bleiben, aber vielleicht schaue ich trotzdem mal vorbei.“

      Babsi atmete lange aus. „Diavolo oder Speciale?“

      „Was?“

      „Ihre Pizza. Ich komme sowieso bei Domino’s vorbei, wenn ich zu Ihnen fahre.“

      „Oh, ach so. Speciale in dem Fall. Und eine Flasche Wein, wir wollen es uns doch gemütlich machen.“

      Babsi legte auf, dabei musste sie doch wissen, dass er sowieso niemals das Gesöff vom Pizzabäcker trinken würde, oder?

      Eine Dreiviertelstunde später klingelte es an seiner Tür. Johnny drückte die Taste an der Freisprechanlage und lauschte, bis Schritte auf der Treppe erklangen.

      „Hallo“, sagte sie und zwängte sich mit den zwei Pizzakartons an ihm vorbei.

      „Sie finden den Weg ja selbst“, erwiderte er halb im Scherz und legte eine Hand auf ihre Schulter, um ihr ins Wohnzimmer zu folgen. Es tat gut, dass sie nicht so an ihm herumzerrte wie seine Mutter, die ihn wie einen leblosen Gegenstand hin- und hergeschoben hatte, wenn er ihr im Weg stand. Johnny konnte hören, wie Babsi sich auf sein Ledersofa plumpsen ließ.

      „Trinken wir was zusammen?“

      „Wein habe ich nicht mitgebracht, aber ich kann Ihnen ein Glas Wasser holen.“

      „Von mir aus“, antwortete Johnny. „Geschirr steht in der Küche, bedienen Sie sich.“

      Babsi ging aus dem Zimmer. Er hörte, wie sie mit den Gläsern hantierte und das Wasser in die Spüle plätscherte, dann kam sie wieder herein.

      „Und ziehen Sie doch die Schuhe aus.“

      „Wie bitte?“

      „Die ruinieren das Parkett.“ Er versuchte, ein empörtes Gesicht zu machen, aber weil er ihre Reaktion nicht beobachten konnte, kam er sich dabei vor wie ein Clown.

      Babsi stellte die Gläser auf dem Couchtisch ab, schob den Pizzakarton weiter zu ihm herüber und öffnete ihn mit einem leisen Rascheln. „Bitte schön, guten Appetit. Ist schon geschnitten.“

      „Danke.“ Johnny tastete nach dem Karton, aus dem ein herrlicher Duft zu ihm herüberwaberte, aber als seine Finger auf die Pappe stießen, hielt er inne. Während der Zeit bei seiner Mutter hatte er meist allein im Kinderzimmer gegessen und sich eingeredet, das läge an ihrer schlecht bekömmlichen Gesellschaft. Aber jetzt wurde Johnny klar, dass es ihm schlicht unangenehm war, vor anderen Leuten zu essen.

      „Warum haben Sie es sich anders überlegt, Babsi?“, fragte er, um die Stille zu überbrücken. Noch im selben Moment wurde ihm bewusst, dass er die Antwort eigentlich gar nicht hören wollte. Er tastete suchend mit den Fingern nach seinem Getränk.

      Babsi stellte ihr Wasserglas ab. „Weil Ihr Leben plötzlich auf den Kopf gestellt worden ist. Sie haben niemanden, der für Sie da ist, und ich habe kein Herz aus Stein.“

      Johnny schluckte mühsam. Ihre Worte trafen ihn, weil sie wahr waren. Trotzdem: Er war schon lange allein gewesen. Und Einsamkeit hatte ihm noch nie etwas ausgemacht. Nur hilflos sein, das wollte er ganz sicher nicht. „Und was sagt Ihr Verlobter dazu?“, hakte er nach und nahm das Wasser entgegen, das sie ihm hingeschoben hatte, sodass das kühle Glas sein Handgelenk streifte.

      „Er sieht es nicht gern, aber Job ist Job.“

      „Hm.“ Johnny nahm vorsichtig mit beiden Händen ein Pizzastück aus dem Karton. „Er wird sich schon daran gewöhnen, wenn Sie in Zukunft häufiger hier sind. Wie ist Ihre Pizza? Hawaii, würde ich wetten.“ Natürlich wusste er, dass sie Vegetarierin war.

      Babsi schwieg und rutschte auf dem Sofa herum. Er konnte hören, wie ihre nackten Beine auf dem Leder quietschten. Im Büro trug sie immer Strümpfe und irgendwie fand er den Gedanken befremdlich, dass sie überhaupt etwas anderes tragen sollte als Rock und Blazer, selbst in ihrer Freizeit.

      „Was soll das heißen: Ich werde öfter hier sein?“, fragte Babsi in einem Tonfall, der ihn an ein trotziges Kind erinnerte. Er hatte plötzlich große Lust, sie aufzuziehen wie früher, aber er konnte es sich nicht erlauben, sie gleich wieder zu vergraulen. Denn der Einfall, der ihm gerade eben gekommen war, war brillant. Johnny hob beschwichtigend die Hand. „Nicht das, was Sie wieder denken. Ich werde Ihnen ein vollkommen seriöses Angebot machen. Eines, das Sie nicht –“

      „Kommen Sie zur Sache, bitte.“

      Er seufzte. „Schon gut. Sie schaffen es auch immer, die Stimmung zu ruinieren.“ Er hätte einige bunte Scheine darauf gewettet, dass sie jetzt die Augen verdrehte. „Also, Sie wissen ja, dass ich Sie schätze. Sie leisten hervorragende Arbeit, sind immer zuverlässig und akkurat.“ Plötzlich war er wieder ganz der Personalchef, selbst in der Jogginghose und dem ausgeleierten T-Shirt. „Aber … solange ich noch zu Hause bin – und das dürften zumindest noch ein, zwei Wochen sein –, gibt es im Büro nicht viel für Sie zu tun. Hier könnte ich Sie besser gebrauchen. Für ein paar alltägliche Dinge, als private Assistentin sozusagen.“ Jetzt schwang in seiner Stimme kein Sarkasmus mehr mit. So könnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Babsi würde ihm bei täglichen Erledigungen behilflich sein und ihn gleichzeitig über alles informieren, was in der Firma vor sich ging.

      „Sie wollen in ein oder zwei Wochen wieder ins Büro kommen?“, fragte sie. Die Skepsis in ihrer Stimme versetzte ihm einen Stich.

      „Ja. Wieso denn nicht?“

      „Na ja – ich … es … “ Babsi verstummte.

      Bildete er sich