666 Der Tod des Hexers. Micha Krämer

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Название 666 Der Tod des Hexers
Автор произведения Micha Krämer
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783827184085



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waren wir. Oben an der roten Kapelle hat es gebrannt“, berichtete er, ließ sich nun auf die Bank neben der Kuhstalltür sinken, hob die halb volle Wodkaflasche, die dort noch immer stand, gegen das Licht und schüttelte den Kopf.

      „Die Kapelle hat gebrannt?“, hakte Selina unbeirrt weiter nach.

      „Nein, nicht die Kapelle. Jemand hat nur ein paar Meter entfernt einen Holzpolder angezündet … da lag sogar noch einer drauf“, berichtete er und verzog angewidert das Gesicht.

      „Wie, da lag noch einer drauf?“, kam Sarika Selina zuvor.

      Kapitel 4

      Sonntag, 8. August 2021, 16:55 Uhr

      Betzdorf/Villa Schmitz

      Als Thomas Nina zu Hause absetzte, war es beinahe schon fünf Uhr nachmittags. Die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel und stach unerbittlich.

      „Wir sehen uns dann morgen früh im Büro“, verabschiedete sie sich, warf die Wagentüre zu und sah dem roten Porsche hinterher, wie er langsam vom Hof rollte, während sie zum Haus ging. Entfernt hörte sie Kindergeschrei und -gejohle. Dann ein Platschen. Sie bog deshalb vor der Haustüre ab und nahm den Weg, der um das Haus herum in den großen Garten hinter dem Anwesen führte. Der Garten der 80er-Jahre-Villa grenzte direkt an den Wald. Doch da, wo bis vor einem Jahr noch große dunkle Fichten gewesen waren, erstreckte sich nun über eine Fläche von mehreren Fußballfeldern eine mondähnliche, braungraue Wüstenlandschaft, aus der lediglich noch die Stümpfe der toten Bäume ragten. Zwei trockene Sommer und Tausende kleiner Borkenkäfer hatten den fast hundertjährigen Bäumen den Todesstoß verpasst. Den Rest hatte eine riesige Erntemaschine erledigt. Innerhalb von zwei Tagen war der Wald verschwunden. Wahrlich ein Jammer. So wie hier sah es fast überall im Westerwald aus. Kahlflächen und abgestorbene Bäume, wohin das Auge reichte. Fast dekadent mutete da der große Pool an, der sich an die Terrasse der Villa anschloss und in dem der kleine Matteo gerade mit einem Platscher nur knapp neben seiner Schwester Chiara landete. Nina war schon froh, dass die Zwillinge mittlerweile schwimmen konnten. Dennoch achteten sie und Klaus peinlichst darauf, dass die beiden nicht unbeaufsichtigt im und um den Pool herum spielten. Von Klaus war allerdings weit und breit nichts zu sehen, und die einzige Erwachsene, die das Planschen hätte beaufsichtigen können, schien zu schlafen. Sarika lag, lediglich mit einem Bikini bekleidet, bäuchlings auf einer der Liegen und sonnte sich. Ihr Blick war zur Seite gerichtet. Wegen der großen Sonnenbrille konnte Nina nicht wirklich sehen, ob die Augen des großen und ausgesprochen hübschen Mädchens geöffnet oder geschlossen waren.

      Nina setzte sich auf die Liege neben sie und betrachtete die Achtzehnjährige einen Moment. Die ansonsten sehr helle Haut des Mädchens schimmerte bereits rötlich. Besonders die rechte Schulter, die nicht von den langen, dunklen Haaren bedeckt war, sah beängstigend aus. Das war bereits ein ausgewachsener Sonnenbrand.

      „Sarika? Hallo, Liebes …“, flüsterte Nina und stupste sie mit dem Finger an. Doch außer einem Grunzen, welches sogar irgendwie recht lustig klang, und einem Zucken kam da nichts. Sie musste wohl ein wenig rabiater werden.

      „Sarika, aufwachen“, sagte sie nun etwas lauter, rüttelte an dem Mädchen und zog ihr mit der anderen Hand die Sonnenbrille ab. Sarika schreckte auf und hielt sich die Hand vor die Augen, um sie vor der Sonne zu schützen.

      „Was … wie?“, fragte sie und starrte Nina ziemlich verpeilt an.

      „Du, Sari … Ich will ja nicht meckern, aber findest du das ’ne tolle Idee, hier halb nackig in der prallen Sonne zu pennen?“, musste Nina jetzt mal die besserwisserische Stiefmutter raushängen lassen.

      „Ähm, wieso … stört’s dich?“, fragte das Mädchen verdattert.

      „Nee, eigentlich nicht. Aber du solltest dich entweder in den Schatten legen oder dir was anziehen. Du siehst nämlich schon aus wie ein gekochter Hummer“, erklärte Nina den Grund ihrer Sorge. Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie nun zum Beckenrand und begrüßte die planschenden Zwillinge mit jeweils einem dicken Schmatzer.

      „Ohh, die Frau Hauptkommissarin beehrt uns mit ihrem Besuch“, hörte sie Klaus von der Terrassentüre her rufen.

      Klang da eine Spur Vorwurf mit? War der sauer, weil sie wieder einmal am Wochenende bei der Arbeit gewesen war? Dem Gesichtsausdruck nach nicht. Vielleicht war es mehr ihr schlechtes Gewissen, das sie das glauben ließ. Sie sah kurz zu Sarika, die aufgestanden war und sich vom Beckenrand ins Wasser gleiten ließ. Das fast zu erwartende Zischen, wie wenn man glühendes Eisen ins Wasser tauchte, blieb aus. Dennoch sah der Rücken ihrer Stieftochter nicht wirklich gesund aus.

      „Ich zieh mich schnell um und komm dann zu euch in den Pool“, beschloss Nina und ging zu Klaus, der immer noch in der geöffneten Türe zum Wohnzimmer auf sie wartete.

      „Magst du nicht erst mal was essen?“, fragte Klaus, als sie sich an ihm vorbeizwängte und ihm einen Kuss auf den Mund drückte.

      „Ähm, ja, was gibt es denn?“, erkundigte sie sich, da sie außer den trockenen Keksen vorhin im Besprechungsraum der Wache noch nichts gegessen hatte.

      „Vanillewaffeln mit heißen Kirschen und Schlagsahne“, antwortete er.

      „Hui, ihr lebt hier nicht schlecht, wenn ich mal nicht zu Hause bin“, fand sie und folgte ihm dann in die Küche.

      Als sie Minuten später zurückkam, war Sarika nicht mehr im Pool. Auf dem Tisch neben der Liege, auf der sie vorhin geschlafen hatte, lag aber noch immer ihr Handy. Vermutlich würde sie also gleich wiederkommen. Es gab noch einiges zu klären. Ninas Gedanken waren noch immer bei der Arbeit. Sie konnte, wenn sie einen Fall wie diesen bearbeitete, nicht einfach nach Hause fahren und dann in den Privatmodus wechseln. Noch dazu, wenn jemand aus ihrem unmittelbaren Umfeld in die Sache involviert war. Dass Sarika irgendetwas mit dem Tod von Fabrice zu tun haben könnte, wollte Nina nicht glauben. Zum Ersten, weil sie ihrer Stieftochter eine solche Tat nicht zutraute, und des Weiteren war die Reaktion, als Nina ihr am Morgen von dem eventuellen Ableben von Fabrice berichtete, ziemlich eindeutig gewesen. Sie glaubte Sarika mittlerweile so gut zu kennen, dass sie merkte, wenn das Mädchen sie anflunkerte. Ihre Reaktion auf die Todesnachricht war echt gewesen. Das änderte allerdings nichts an der Tatsache, dass sie und Sarika Redebedarf hatten. Klaus hatte Nina vorhin in der Küche von Sarikas blutverschmierter Jacke berichtet, die morgens im Flur gelegen und die er mit in die Waschmaschine geworfen hatte. Sarika hatte Klaus gegenüber erwähnt, dass das Blut von Fabrice stamme. Wie es schien, hatte die Band sich am Abend auf der Fete von ihrem Sänger getrennt. Oder er von ihnen. So genau wusste Klaus das nicht. Nina hingegen wollte es genau wissen. Sie brauchte, um in dem Fall weiterzukommen, jede Antwort und alle Informationen, die sie kriegen konnte.

      Bei dem Teamgespräch vorhin auf der Wache hatte Thomas etwas gesagt, das Nina zwar ihm gegenüber als Unfug bezeichnet hatte, das ihr aber dennoch zu denken gab. In dem Video, in dem Fabrice zugab, ein Hexer oder Zauberer zu sein, hatte er die vier Mädels aus seiner Band ebenfalls der Hexerei bezichtigt. Vermutlich nur dummes Geschwätz. Thomas glaubte jedoch zu wissen, dass es bei den mittelalterlichen Hexenprozessen übliche Praxis gewesen sei, den Delinquenten die Namen der anderen vermeindlichen Hexen und Ketzer zu entlocken, um diesen dann ebenfalls den Prozess zu machen. Thomas war davon überzeugt, dass die Mädchen in Gefahr waren. Nina wollte das nicht glauben, dennoch ging es ihr aber auch nicht aus dem Kopf. Was, wenn Sarika das nächste Opfer sein könnte? Sie mussten diesen Irren, falls es ihn gab, finden, bevor er erneut tötete. Heikes These, die Tat sei nur eine Inszenierung, um vom wahren Motiv abzulenken, wollte Nina nicht ausschließen, hielt sie aber dennoch für den Holzweg.

      Als Thomas die Haustüre aufschloss, roch er es bereits. Alexandra hatte gebacken. Doch wie es schien, war niemand zu Hause. Noch nicht einmal die beiden Wuffis Alba und Oscar begrüßten ihn wie sonst. Das Haus war komplett verlassen und wirkte wie ausgestorben. Er ging ins Wohnzimmer und sah durch den Erker hinaus in den Garten. Keine Spur von den Kindern, den Hunden oder seiner Liebsten. Er bemerkte das offen stehende Gartentürchen, durch das man in das Naturschutzgebiet gelangte, das direkt an sein Grundstück