666 Der Tod des Hexers. Micha Krämer

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Название 666 Der Tod des Hexers
Автор произведения Micha Krämer
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783827184085



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und zwei Hunden in einem schicken Eigenheim wohnte, hieß das ja noch lange nicht, dass der Punk tief in ihrem Herzen nicht mehr existierte. Punk hatte nichts mit grünen Haaren und all dem Äußerlichen zu tun. Punk war man im Herzen und im Kopf.

      Nachdem Thomas ihr vorhin über die Nachrichtenapp mitgeteilt hatte, dass er nicht zum Frühstück käme und es heute vermutlich, obwohl es Sonntag war, länger dauern könnte, hatte sie mit Leah und Linus alleine gefrühstückt.

      Die Idee, im Anschluss gemeinsam Kekse zu backen, hatte Leah gehabt. Und so kam es, dass sie nun mit den beiden in der Küche stand und den Teig zubereitete. Schokokekse für die Kinder und Thomas und Schoko- Hanf-Kekse, nach einem selbst ausgedachten Rezept, für sie selbst.

      Wenn der Herr Polizist im Hause schon mal nicht da war, konnte sie die Zeit auch direkt sinnvoll nutzen und Dinge tun, die er nicht mitbekommen wollte. Zwar wusste Thomas, dass sie gelegentlich wegen ihrer ADHS Cannabis konsumierte, den sie selbst im Gewächshaus zwischen den Paprika und Tomaten zog, doch es war auch ein Thema, über das sie nicht sprachen. Im Übrigen das einzige. Ansonsten würde sie ihre Ehe als sehr harmonisch bezeichnen. Im Gegensatz zu vielen anderen Paaren sprachen sie miteinander und erzählten sich alles. Außer über die Hanfpflanzen im Gewächshaus. Die waren zwar da, doch Thomas übersah die Dinger einfach und erwähnte sie mit keinem Wort.

      Alexandra würde sich nicht als drogensüchtig bezeichnen. Nein, davon war sie weit entfernt. Dennoch brauchte sie gelegentlich einen Joint, um sich zu erden, wenn die Pferde einmal wieder mit ihr durchgingen. Schon als Kind hatte ihr Papa sie immer „mein Zappelinchen“ genannt. Der Kinderpsycho, zu dem ihre Eltern sie damals schleppten, hatte es nicht so nett ausgedrückt, sondern ihr ohne zu zögern die volle Dosis Ritalin verschrieben. Kinder mit Energieüberschuss, zu vielen Flausen im Kopf und abseits der Norm passten eben einfach nicht ins Bild der gutbürgerlichen spießigen Gesellschaft. Medikamente nahm sie schon lange nicht mehr. Die einzige Medizin, die sie sich gelegentlich gönnte, war eben die, die sie selbst anbaute.

      „Hey, das sieht ja echt super aus mit den bunten Streuseln“, lobte sie ihre Tochter, die gerade reichlich von den bunten Zuckerstreuseln auf die in Herzform ausgestochenen Teigrohlinge streute.

      „Ich kann bei deinen Medizinkeksen auch welche draufmachen“, schlug Leah vor.

      „Nein, mein Schatz, die Streusel machen wir doch deshalb drauf, dass wir die Kekse nicht aus Versehen mal vertauschen. Wir machen die Kinderkekse in Herzform mit bunten Streuseln und die Erwachsenenkekse mit der Medizin drin als Monde ohne Streusel, damit wir sie nicht verwechseln können“, erklärte sie ihrer Tochter noch einmal den Sinn hinter dem Ganzen.

      „Ich würde das niemals nehmen. Onkel Klaus sagt, von Drogen wird man doof im Kopf“, fand Linus und verzog angewidert das Gesicht. Der Junge kam eindeutig ein bisschen zu sehr nach Thomas, obwohl der in Wahrheit gar nicht dessen leiblicher Vater war. Aber auch dies war gut so, wie es war. Nicht auszudenken, wenn der Junge nach seinem biologischen Erzeuger käme. Der Typ war ein Fehlgriff auf der ganzen Linie gewesen.

      Alexandra zählte die von Linus ausgestochenen und von Leah verzierten Kekse auf dem Backblech. Neunundzwanzig. Das war nicht gut.

      „Da fehlt noch einer“, stellte sie fest.

      „Häh?“, antwortete Linus und klang dabei ebenfalls wieder wie Thomas.

      „Weil es doch immer eine gerade Zahl sein muss“, erklärte sie ihm.

      „Wieso das?“, verstand ihr Sohn nicht.

      Bevor sie antworten konnte, tat Leah es bereits.

      „Weil durch ungerade Dinge das Universum aus dem Gleichgewicht gerät.“

      Linus sah zwischen Leah und Alexandra hin und her.

      „Ihr spinnt, oder?“

      Alexandra schüttelte den Kopf, während Leah einen der ungebackenen Kekse vom Blech nahm und ihn roh aß.

      Ja, es konnte ein Spleen von Alexandra sein. Aber sie mochte es eben nicht, wenn Dinge unsymmetrisch oder ungerade waren. Vor allem, wenn sie malte, war dies ein wichtiger Aspekt. Punk hin oder her.

      „Gut, Leah, jetzt passt es wieder“, lobte Alexandra ihre Kleine daher und schob das Backblech in den Ofen.

      „Mama, du solltest echt weniger von dem Zeug nehmen“, fand Linus derweil und ging dann kopfschüttelnd hinaus.

      Alexandra blickte zu Leah, die mit den Schultern zuckte.

      „Der wird mal genauso ein Spießer wie Papa“, stellte die Kleine fest und klang dabei so altklug, dass Alexandra unweigerlich in lautes Gelächter ausbrach.

      Sarika wollte jetzt unmöglich nach Hause fahren und sich alleine in ihrem Zimmer verkriechen. Sie konnte doch nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen, wenn gerade einer ihrer Freunde gestorben war. Wobei Freund ja nun nicht das richtige Wort war. Gestern in der Nacht hätte sie ihm am liebsten noch den Tod gewünscht oder ihm selbst den Hals umdrehen können. Aber jetzt, wo es so aussah, als sei Fabrice tatsächlich nicht mehr da, tat er ihr leid. Mehr noch. Sie hatte ein richtig schlechtes Gewissen. Sarikas Freundeskreis war überschaubar. Zu den Leuten, mit denen sie damals in Düsseldorf noch abgehangen hatte, hatte sie keinerlei Kontakte mehr. Alle Brücken zu ihrem früheren Leben waren nach dem plötzlichen und viel zu frühen Tod ihrer Mutter abgebrochen. Zwar besaß sie immer noch ein Haus in der Stadt am Rhein, und auch ihre Großeltern wohnten dort, doch es zog sie nichts mehr dorthin. Die Entscheidung, Düsseldorf hinter sich zu lassen und zu ihrem Vater und dessen Familie zu ziehen, hatte sie noch keinen Tag bereut. Auch die neue Schule, in der sie im Frühjahr das Abitur ablegen würde, war okay. Sie hatte eine Menge neue Menschen kennengelernt. Nette Leute … aber auch Idioten. Die gab es überall. Was ihr fehlte, war eine richtige Freundin oder ein Freund. Jemand, mit dem sie über alles reden konnte. Nicht jeder, den man gut kannte, war ein Freund oder eine Freundin fürs Leben.

      Die Einzige, die ihr gerade einfiel und die dem, was man eine Freundin nannte, am nächsten kam, war Selina Marksdorf, ihre Klassenkameradin und die Bassistin der Band.

      Sarika hat Glück. Selina schien zu Hause zu sein. Zumindest stand ihr Twingo auf dem Hof vor dem ehemaligen Kuhstall, in dem die Freundin wohnte und in dem sie gestern Abend noch gefeiert hatten. Die Spuren des nächtlichen Gelages waren noch immer allgegenwärtig. Rund um die Feuerschale, die sich direkt hinter dem Twingo auf dem Kopfsteinpflaster befand, lagen gut und gerne ein Dutzend leere Bier- und Weinflaschen. Auf der urigen Bank direkt neben dem Eingang zum Kuhstall stand noch immer die Wodkaflasche. Auf dem Boden davor leere Pappbecher und Zigarettenkippen. Die Türe war nur angelehnt. Dass Selina bereits wach war, stand außer Frage, da Sarika am Morgen, nach der Entdeckung des Videos, ja bereits mit der Freundin telefoniert hatte.

      Sie klopfte gegen den Türstock und trat ein. Der ehemalige Stall war alt, die Wände dick, mit eher winzigen Fenstern. Es gab fast keinerlei Wände in dem riesigen Raum, alles war offen. Die Gewölbedecke ruhte auf mehreren alten Steinsäulen, wie man sie aus Kirchen oder Klöstern kannte. Nur eben etwas niedriger, wie in einem Keller. Der einzige abgetrennte Raum war das Bad im hinteren Bereich, von wo aus Sarika das Rauschen und Plätschern von Wasser vernahm. Irgendwer duschte da gerade. Selina war es nicht. Die stand nämlich mit Kopfhörern auf den Ohren an der Anrichte der Küchenzeile und goss sich Kaffee in eine Tasse.

      „Selina?“, rief Sarika.

      Die Angesprochene reagierte nicht. Gegen den Sound aus den Kopfhörern schien Sarikas Stimme keine Chance zu haben.

      In dem Moment, als Sarika noch überlegte, wie sie sich bemerkbar machen konnte, drehte Selina sich um und zuckte sofort erschrocken zusammen.

      „Fuck … Sari … Mensch, hast du mich erschreckt“, stieß Selina aus, riss sich mit der Linken den Kopfhörer von den Ohren, während sie versuchte, mit der Rechten den Kaffeebecher auszutarieren. Was nicht wirklich funktionierte, da doch einiges auf dem Boden landete.

      „Sorry, die Türe war auf und du hast nichts gehört … ich wisch das eben