Die Golfgesellschaft. Chris Reisinger

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Название Die Golfgesellschaft
Автор произведения Chris Reisinger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783903861862



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Gäste – nicht ahnend, welche Knicker golfspielende Pensionisten sein können. Alle 3 Golfplätze rund um den Attersee – es ist der größte Binnensee Österreichs – sind nach 2000 entstanden. Dass Golf sowas wie Anti-Free-Style ist – ein Sport, der sich neben Regeln sogar Etikette ins Stammbuch schreibt oder bis vor kurzem ins Stammbuch geschrieben hat – dämpft jugendliche Interessen gewaltig.

      Oft beflügelt Angebot die Nachfrage, doch das vermehrte Angebot an Golfplätzen konnte den Gesamttrend nicht umkehren und so setzte ein für Golfclubs bedrohlicher Wettbewerb schon mit ihrer Eröffnung ein. Die vormals hohen Einschreibgebühren waren nicht mehr zu halten, sogenannte „Billigclubs“ leiteten einen Preiskampf ein, der die finanzielle Hürde für fast jedermann/-frau einzureißen schien. Dennoch ging die Zahl der aktiven Spieler in Österreich im letzten Jahrzehnt (bis zum Coronajahr 2020) zurück. Die Generation Free Style hat andere Pläne. Die Likes, die ein Jugendlicher mit einem Selfie von sich auf dem Grün erzielen kann, sind überschaubar.

      Ein paralleler soziologischer Blickwinkel stellt sich erfreulicherweise günstiger für den Golfsport dar. Das ist nämlich jener der gesellschaftlichen Erwartungshaltung. So wie wir uns im Übergang von der Moderne zur Postmoderne befinden, so beobachten wir auch einen Übergang von der Disziplinar- zur Leistungsgesellschaft. Die Disziplinargesellschaft erwartet von ihren Bewohnern, dass sie eine ihnen zugedachte – manchmal von den Eltern ausgedachte – Rolle annehmen, unauffällig und brav einen Beitrag zum großen Ganzen leisten. Das Modalverb, das sie beherrscht, ist Nicht-Dürfen. Wir sind brave Schüler und anständige Bürger mit gebührendem Respekt für die Obrigkeit. Die Umgebung war geprägt von Verbotsschildern aller Art, „Das Betreten des Rasens ist nicht gestattet“. Der Lohn war sichtbare und erlebbare Wohlstandsverbreitung – für fast alle.

      Die aufkeimende Leistungsgesellschaft entledigt sich dieser Negativität des „Nicht-Dürfens“ und das entgrenzte Können wird das positive Leitmotiv.

      Ab einem bestimmten Punkt stößt die Disziplinartechnik bzw. das Negativschema des Verbots an ihre Grenzen. Zur Steigerung der Produktivität wird das Paradigma der Disziplinierung durch das Positivschema des Könnens ersetzt. „Yes, we can“ ist der Anfang, der in dem Imperativ „Jetzt kommt es nur mehr auf deine Performance an“ gipfelt. Die Bewohner der Leistungsgesellschaft werden zu Unternehmern ihrer selbst, sie bringen und definieren ihre eigene Performance. Sie wollen dem Nimbus der Generation der Erben entkommen, sie wollen ihr „eigenes Ding“.

      Dass damit neue Verwerfungen einhergehen, ist ein zweites. Der deutsch koreanische Schriftsteller Byung-Chul Han ist ein empfehlenswerter Meister für die exzellente Beschreibung dieser soziologischen Analysen.

      Für Golfer ist die auf sich selbst projizierte Performance das tägliche Brot. Wir stehen auf Tee 1 und wissen „Jetzt kommt es nur mehr auf deine Performance an“. Aber wir wissen auch, dass damit eine selbstauferlegte Erwartung einhergeht und nicht wenige zittrige Knie haben. Nicht jeder Schlag beschreibt unser Potenzial. Und wir wissen auch, wie schnell wir unter diesem Druck zusammenbrechen können. Ich habe schon Golfer erlebt, die sich nach 2 Fehlschlägen auf Bahn 1 psychologisch und mental für die restliche Runde nicht mehr erholt haben. Diesem Dilemma und den damit verbundenen Phänomenen oder gar Ängsten werden wir uns in diesem Buch an verschiedenen Stellen widmen. Und etwas auch dem Clubleben danach, wo nach dem Abfallen des Drucks auf der Runde die „normalen“ Charaktereigenschaften wieder zurückkehren und wo Tratsch und Klatsch die Basiszutaten für das Zwischenmenschliche bilden.

      2.

      Golf ist ein Spiel, ein Schönes –

       Einstieg in den Sport

      Golf ist ein Einzelsport, der in Kleingruppen gespielt wird.

       Die einzelnen Spieler versuchen auf begrenzten Spielbahnen einen Golfball mit verschiedenen Golfschlägern mit möglichst wenig Schlägen in ein Loch zu schlagen.

      Das ist alles – bei jedem Wetter, fast.

      Mittlerweile ist der Einstieg in den Golfsport hierzulande fast ein Spaziergang. Ganz grob braucht man Folgendes:

      1 einen guten Willen,

      2 eine Platzreife,

      3 ein Schlägerset samt Zubehör plus Golfbälle,

      4 einen Golfclub samt Golfplatz.

      Mit großer Faszination höre ich mir gerne Geschichten an, wie die vielen Spielpartner, die ich im Laufe der Zeit kennengelernt habe, ihren Einstieg gefunden haben, denn auf Grund der beschriebenen späten Verbreitung von Golfplätzen im Alpenraum haben sich die meisten erst im Erwachsenenalter über verschiedene Wege, Bekannte oder Freunde dem Sport zugewandt. Der Golfer von Kindesbeinen an ist hier eher selten.

      Da sich meine eigene Geschichte auch am Rande des Allgemeinen bewegt, sei sie hier beispielhaft zum Besten gegeben und brüskiert somit außer mir niemanden wirklich.

      1 Mein guter Wille zum Einstieg in den Golfsport ist definitiv nicht in mir selbst gereift, sondern zum einen meiner Frau geschuldet. Die verdankt es wiederum unserer Zahnärztin, die sich selbst und meine Frau ungefragt zu einem Platzreifekurs angemeldet hat. Zum anderen standen auch meine Freunde in den Startlöchern, um sich für die golferischen Ziellöcher zu rüsten. Das war jenen Initiatoren und Investoren geschuldet, die um den Attersee in Österreich Anfang der 2000er gleich 3 Golfplätze errichtet haben. Was hat man nicht gehofft, dass das den eingeschlafenen Tourismus wieder wachküssen würde. Endlich was Neues. Ich selbst als eher Nicht-Sportler, bestenfalls Bergwanderer und Spazierradfahrer, zögerte bis zuletzt mich spießerischen Golfern anzuschließen. Aber ich stand plötzlich ohne Platzreife vor Frau und Freund selbst irgendwie spießerisch da.

      2 Ein Platzreifekurs stand aber nicht auf meinem Terminkalender. Eine zufällige Teilnahme an einem Gesundheitsprogramm meines damaligen Arbeitgebers verschaffte mir die Möglichkeit zur Abkürzung. Das Gesundheitsprogramm wurde nämlich im südburgenländischen Loipersdorf abgehalten. Einem Ziel 1 EU-Fördergebiet, das mit Tonnen von EU-Mitteln zur Errichtung von Thermenhotelparadiesen und Golfanlagen auf wirtschaftliche Höhenflüge vorbereitet wurde. Der betreuende Arzt Zsolt Pap de Pestiny war leidenschaftlicher Golfer feuriger ungarischer Abstammung und mein nur in Ansätzen gezeigtes Interesse an Golf griff er sofort auf, schleppte mich zu einem dort tätigen englischen Teaching Pro (englisch für Golferisch zertifiziertem Lehrmeister). Der nahm es mit Prüfung und Kursdauer auf seine burgenländisch-englische Art – und wahrscheinlich auch ärztlich instruiert – ziemlich cool und er stellte mir am zweiten Nachmittag so ein Platzreifeerfolgreichabsolvierungszertifikat aus. Geschafft.

      „Right and turn“ war sein Golfschlaggrundprinzip, sprich beim Aufschwung leichte Gewichtsverlagerung nach rechts und Drehen beim Durchschwung. Hab ich mir bis heute gemerkt, aber dürfte noch nicht alles gewesen sein, denn ich habe den Golfschwung bis heute nicht erlernt (wahrscheinlich fehlt da noch was).

      Übrigens wird nachgewiesene Platzreife in den angloamerikanischen Ländern für einen Golfclubbeitritt nicht verlangt. Welche Gründe in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich dazu geführt haben, hat sich mir bis heute nicht erschlossen. Somit sei dem englischen Pro auch nachgesehen, dass er es nie so mit der deutschen Gründlichkeit hatte. Das Geschäft mit den Zertifikaten und die Weisheit der Vermittlung sind übrigens ausschließlich den Teaching Pros zugedacht. Viele versuchen sich mittlerweile als YouTube Stars.

      Irgendwie kommt mir das Schreiben eines Buches im digitalen Zeitalter ohnehin wie Schnee von gestern vor. Aber das nur nebenbei.

      Sollte übrigens je ein Skiführerschein eingeführt und verpflichtend werden, würde wahrscheinlich die Popularität des alpinen Skisports auch auf Golfniveau sinken. Schon interessant irgendwie, denn Risiken, beim Skisport sich oder andere zu verletzen, sind wesentlich höher, was ja ein Rechtfertigungsgrund sein könnte. Ski Heil.

      1 Ich bereiste beruflich bedingt China mit seinen Provinzen überaus häufig