Die Hure von Armageddon. Kris Han

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Название Die Hure von Armageddon
Автор произведения Kris Han
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783959665865



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im verheißenen Land ankommen. Die Stämme werden dann feste Regeln und Gesetze brauchen. Man wird Richter bestimmen müssen, um deren Einhaltung zu überwachen.“ Moses redete viel, doch die Herrschaften saßen desinteressiert am Lagerfeuer lachten und sprachen über ihre eigenen Themen. Moses hielt verärgert kurz inne, konnte aber seinen Zorn gut unterdrücken. Dann sagte er: „Ihr wundert euch nun sicherlich, weshalb ich euch das erzähle? Ich will euch sagen, was zu tun ist, denn eure Nachkommen werden bald ein starkes Volk sein. Die Taten der Vorväter müssen aufgezeichnet werden, genauso wie die Gesetzte, die uns der Gott, der euch führt, noch geben wird“, erklärte er den Honoratioren.

      „Nur die Ägypter haben eine Schrift. Sie ist umständlich. Du bist der einzige, der sie beherrscht. Von uns versteht sie niemand“, warf Aaron ein.

      Moses ließ den Einwand nicht gelten. „Ich erinnere mich, dass vor noch nicht allzu langer Zeit einige Jungen die einfache Schrift der Stämme des Sinai erlernt haben. Haben sie dieses Wissen nicht an die Jüngeren weitergegeben? Fragt nach den Männern, welche diese einfache Schrift beherrschen. Sie sollen ausgewählte Knaben und Mädchen unterrichten.“

      Einige der ehemaligen Schüler hatten das Erlernte wieder vergessen, doch es fanden sich noch fünf Männer, die in der Lage waren, ihr Wissen weiterzugeben. Für die einfachen Hirten und Handwerker, die den Ägyptern dienen mussten, waren die neuen Pflichten zunächst fremd. Nicht alle verstanden, warum die jungen Männer militärische Disziplin üben sollten und Kinder zum Erlernen des Schreiberhandwerks ausgewählt wurden. Aber nur wenige murrten. Die Begeisterung und Zuversicht, bald frei in einem eigenen Land leben zu können, überwogen.

      Eines Abends, nachdem die Stämme einen guten Platz zur Errichtung ihres Nachtlagers gefunden hatten, machten sich die wehrfähigen Männer wieder auf, um zu exerzieren und sich im Gebrauch ihrer Waffen zu üben. Josua und Kaleb führten jeweils eine Einheit an. Die einen waren mit Speer und Dolch ausgestattet, die anderen kamen mit Pfeil und Bogen daher. Die ganz jungen oder diejenigen welche keine hochwertigen Waffen besaßen, waren inzwischen geschickte Steinschleuderer geworden. An einem Felsvorsprung übten sie markante Ziele zu treffen. Plötzlich war ein lauter Schrei vernehmbar. Ein Geschoss war am harten Felsgestein abgeprallt und hatte eine Frau, die hier unvorsichtigerweise unterwegs war, um eine entlaufene Ziege einzufangen, am Kopf getroffen. Zunächst hatte niemand den Unfall bemerkt, doch die Schreie der Schwerverletzten waren nicht zu überhören. Einige der jungen Männer eilten zu dem Felsspalt, aus dem die Schreie kamen und fanden dort die Verletzte. Doch noch bevor sie mit der Frau das Lager erreichen konnten, war kein Leben mehr in ihr.

      Alsbald hatte sich die Nachricht vom Tod der Frau herumgesprochen. Einige Frauen und Männer kamen daraufhin zusammen. Sie diskutierten lautstark und fanden, dass die militärischen Übungen der wehrfähigen Männer Schuld am Tod der Frau seien.

      Bei den Unzufriedenen waren auch Leute, die Moses nahestanden, unter ihnen zwei Söhne seines Bruders Aaron, dessen Frau und selbst seine Schwester Mirjam. Sie verlangten, dass man die straffe Disziplin lockern solle. Doch die Nörgler fanden nur wenig Unterstützer, die ihnen am nächsten Morgen nachfolgten, um ihre Beschwerden Moses und den Stammesführern vorzutragen. Der Ehemann der Getöteten forderte, dass ihm der Schuldige am Tod seiner Frau eine Entschädigung zu zahlen habe.

      Moses hörte sich die Einwände, die seinen Führungsstil infrage stellten, ruhig an. Das, was geschehen war, konnte er nicht rückgängig machen. Viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Er grübelte, ob er noch weiter der Anführer seines Volkes sein konnte. Doch er kannte auch die vielen Gefahren, die überall im Verborgenen lauerten. Ihm war bewusst, das Land, das den Nachkommen der Patriarchen versprochen war, konnte nicht so einfach in Besitz genommen werden. Es musste erobert werden. Er bemühte sich ruhig zu erscheinen, als er den Beschwerdeführern antwortete: „Ich bin tief betrübt. Ein Mann hat durch einen tragischen Unfall die Frau verloren, die Kinder ihre Mutter. Ich wünschte, ich könnte das, was geschehen ist, rückgängig machen. Doch das kann ich nicht. Warum hat der Gott der Väter so etwas zugelassen? Er hat es mir nicht verraten.“ Er musste erst seine Tränen abwischen, bevor er weiter sprechen konnte. „Glaubt mir, ich hatte Zweifel, ob ich überhaupt noch der Richtige bin, der euch führen soll. Doch ich weiß auch, wie vollkommen das Land ist, das Jahwe den Urvätern versprochen hat? Ich weiß nicht, ob ich noch erleben darf, wie es unser Volk es in Besitz nehmen wird. Ich bitte euch, habt vertrauen, seid zuversichtlich. Es geht euch ein viel Stärkerer voran. Ich bin nur sein Werkzeug. Die Sühne für den Tod der Frau will ich von meinen Mitteln bezahlen. Niemand hat den tödlichen Stein absichtlich geschleudert. Wir wissen nicht, wer der Schütze war, und das ist auch gut, so muss sich niemand mit dieser Schuld quälen. Ich verstehe, dass meine Worte nicht jeden überzeugen können. Manch einer wird unzufrieden bleiben, doch wir dürfen niemals zulassen, dass sich unsere Ordnung auflöst.“

      Die Ruhe schien wieder hergestellt. Fast alle sahen ein, dass Moses recht hatte, dass man auch weiterhin wachsam und gerüstet bleiben musste. Nur einer seiner Gegner blieb stur. Er versuchte seine Landsleute zu manipulieren und forderte sie sogar zur Umkehr nach Ägypten auf. Datan, so hieß der Aufrührer, sprach offen die Sippenältesten an: „Habt ihr nicht auch Zweifel, jemals das gelobte Land zu finden?

      Wir haben Hunger. Nicht jeden Tag gibt es frisches Wasser. Bisher hatten wir nur Glück, dass wir nicht verdurstet sind. Ist es euch in Ägypten schlecht ergangen? Wir hatten unsere Herden, hatten immer Fleisch zu essen, und unsere Felder haben immer gute Ernten erbracht. Die Arbeit für Pharaos Bauten blieb auch erträglich. Seine Macht hat uns vor allen Feinden beschützt. Hier kann uns jeder fremde Kriegsherr überfallen, die Männer töten, Frauen und Kinder rauben. Ist es nicht auch ein Frevel, dass ihr die Gebeine Josefs aus seinem Grab gerissen habt, um sie irgendwo in der Fremde zu verscharren? Was hindert uns daran, zurück nach Ägypten zu gehen? Dort wird man uns wieder freudig aufnehmen. Moses und Aaron sind nicht besser als die ägyptischen Steuereintreiber. Erkennt ihr nicht, wie sich die beiden über euch erheben?“

      Moses musste solchen Umtrieben entgegentreten und rief seine Landsleute zu einer Aussprache zusammen. Datan trug seine Vorwürfe erneut vor. Moses wartete die lebhafte Diskussion ab, bevor er sich äußerte: „Ich habe wohl erkannt, dass noch einige unter euch Zweifel haben, ob der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs sein Versprechen wahrmachen wird, und sein Volk in ein Land, in dem Milch und Honig fließen, führen wird? Doch die Prüfungen, welche wir zu bestehen haben, gehören zu seinem Plan. Was glaubt ihr denn, woher die vielen Plagen kamen, die Ägypten so sehr geschlagen haben? Habt ihr nicht selbst erlebt, wie wir trockenen Fußes das Schilfmeer durchqueren konnten, während die ägyptische Streitmacht, die uns verfolgte, darin untergegangen ist. Ägypten liegt noch immer brach darnieder und ist nicht mehr das Land der reichen Fleischtöpfe. Unser Vorfahr Josef hat uns einstmals das Leben in Ägypten ermöglicht. Seinen Vater Jakob hat er aber im Land am Jordan begraben. Seinen Nachkommen hat er bestimmt, dass man ihn dort auch begraben soll. Es ist unsere Pflicht, seinen Befehl zu erfüllen. Datan, du hast in Ägypten freilich gut gelebt. Du vermisst deinen Reichtum, den du mit deiner Werkstatt erworben hast, in der für Pharaos Soldaten die Sandalen gefertigt wurden. Doch schon deine Handwerker haben wenig von der Bezahlung abbekommen, die dir dein Geschäft eingebracht hat. Warum also willst du das Volk zurück in die Knechtschaft führen? Letztendlich geht es dir doch nur darum, dort weiterhin gute Geschäfte zu tätigen“.

      Datan schnappte nach Luft. „Alles Lügen!“, rief er. „Ich habe meinen Landsleuten Arbeit gegeben, damit sie ein gutes Leben führen konnten. Sieh dir doch diesen elenden Menschenhaufen an. Sie gehen in ihr Verderben. Das ist ein mickriges Volk. Ganz anders die mächtigen Babylonier und die stolzen Ägypter, die sind große Völker!“

      „Da muss ich dir recht geben. Babylonier und Ägypter sind große Völker, mächtig und stolz. Unser Volk scheint da gering zu sein. Doch wir sind das erwählte Volk. Das erhebt uns über alle anderen Völker. Datan, deine Widerrede kann den Pakt, den Jahwe mit Abraham geschlossen hat nicht beenden“, erwiderte ihm Moses.

      Der so gescholtene verhielt sich nun eine Weile unauffällig. Doch die Eintracht hielt nicht ewig an. Dieses Mal waren es Mirjam und Aarons Frau, die für Unruhe sorgten. Die beiden Frauen verlangten erneut die strengen Regeln, die den Israeliten während ihrer Wanderschaft auferlegt waren, zu lockern. Mirjam äußerte ihre Unzufriedenheit mit dem harten Führungsstil