Läufers Fall. Lothar Koopmann

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Название Läufers Fall
Автор произведения Lothar Koopmann
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783941297296



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spezielle Eignungsprüfung den Auftrag erhielt, den Ehemann zu überwachen, verzieh er der Mandantin ihre ausufernde Körperfülle und machte sich an die Arbeit. Es stellte sich schnell heraus, dass der ebenfalls sehr dicke Ehemann vollständig treu war: Er liebte sein Schnuckelchen, wie er sie nannte, immer noch sehr („Ich hänge an jedem Kilo von ihr, wir sind zusammen groß geworden, und dabei haben wir beide eben ein wenig zugelegt“, sagte er Ambrosius im Vertrauen.).

      Tatsächlich ging er seit zehn Wochen jeden Freitagabend zu einer professionellen Tanzlehrerin, um endlich auf der Feier zur Silberhochzeit einen flotten Walzer mit seiner Liebsten aufs Parkett werfen zu können („Wissen Sie, ich konnte noch nie richtig tanzen, und meine Frau ist eine richtige Tanzbärin, da war ich ihr das Üben einfach schuldig.“).

      Als klar war, dass der Ehemann jungfräulich unschuldig war, passte Ambrosius ihn vor dem Tanzstudio ab, lud den Überraschten zu einem Drink im benachbarten Pub ein und schilderte die Auftragssituation. Ein ungewöhnliches Vorgehen für einen Detektiv, der vor allem und überhaupt seinem Auftraggeber verpflichtet zu sein hat, aber Ambrosius’ spontane Aktion erwies sich als vollkommen richtig und zielführend: Der Gattin konnte mitgeteilt werden, dass ihr Mann aus den verschiedensten Gründen außerhalb der Ehe keusch gelebt hatte, und der Gatte war in der Lage, vorsichtiger vorzugehen, um zwei Wochen später bei der Silberhochzeit einen triumphalen Auftritt als Walzerkönig hinzulegen.

      Der ihm allerdings wegen einer plötzlichen ungeschickten Drehung im Rausch der Musik einen doppelten Bänderriss im Knie einbrachte, worauf die Ehefrau „ALTER-NATE“ beauftragte herauszufinden, ob der Wirt der gebuchten Kneipe das Parkett vielleicht zu stark gewachst hatte, so dass sie ihn anzeigen konnte („Wissen Sie, mein Mann ist so ein begnadeter Tänzer, auf einem normalen Parkett wäre ihm das mit dem Bänderriss nie passiert. Den Wirt werden wir verklagen. Auf Schadensersatz. Für die Verletzung. Und das Kleid und die Schande – mein lieber Mann hat doch im Fallen den kompletten Rücken meines Chiffon-Kleides weggerissen, so dass ich im schwarzen Korsett dastand – wie peinlich! Ich hätte in den Boden versinken können, wenn da ein Loch gewesen wäre.“).

      Ambrosius dachte damals, bei der Größe des benötigten Loches hätte kein Boden der Welt statisch länger als eine Minute überlebt, behielt sein Wissen aber für sich. Die Sache verlief dann im Sande, da dem Wirt nichts nachzuweisen war. Der Praktikant aber hatte seine Prüfung bestanden, erhielt am nächsten Tag seine Ernennungsurkunde zum „Junior Assistant“ und war fest angestellt. Mit Gehalt und Provision.

      Er betrachtet den großen blauen Bilderrahmen an der gegenüberliegenden Wand. Ein Farbfoto zeigt Achim Alter und Norbert Nate lachend vor einem Brunnen (in London?) kurz vor der Firmengründung: links schlank und blond in Jeans und einem bunten Shirt Norbert Nate („Mein Freund Norbert war begeisterter Läufer mit einer Bestzeit von 35 Minuten über 10 Kilometer und beinahe westdeutscher Meister im Bogenschießen, eine echte Sportskanone. Aber wenn das Herz nicht mitmacht …“), daneben Achim Alter mit seinem Stiernacken einen guten Kopf kleiner, schon damals eingezwängt in eines seiner großzügig karierten Sakkos, die später sein Markenzeichen werden sollten.

      Ambrosius weiß nicht, warum er immer wieder montags so früh ins Büro kommt; die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Auftraggeber direkt nach dem Wochenende und dann schon früh am Morgen meldet, geht gegen Null. Aber seit dem schrecklichen Unfall schien ihm bei schlechtem Wetter der Schreibtisch verlockender zu sein als das kleine Appartement, das er hoch oben in Buchholz gemietet hat.

      Das Telefon summt. Summt und summt und wird lauter. Er erschreckt fast und zögert. Ein Anruf? Ein Kunde? Ein Auftrag? Dann streckt er doch dem Arm aus und meldet sich wie gewohnt: „Detektei Alter-Nate, Überwachungen, Ermittlungen, Nachforschungen, Verifizierungen, Security, Sicherheitsdienst und Auskünfte aller Art, guten Tag, mein Name ist Ambrosius Läufer, ich stehe ganz zur Verfügung, was darf ich für Sie tun?“ Er hasst diese Begrüßungsfloskel, aber Achim Alter bestand auf genau dieser Formulierung („Der Kunde will heute von Anfang an ein Wohlfühlpaket angeboten bekommen, das erhöht die Auftragschancen und die langfristige Bindung.“).

      „Kann ich Herrn Alter sprechen?“

      „Wer ist da bitte?“, fragt Ambrosius ebenso unfreundlich.

      „Das tut nichts zur Sache, ich muss Herrn Alter sprechen, dringend.“ Die Stimme wirkt mittelalt und kalt.

      „Herr Alter ist für einige Tage im Urlaub, darf ich Ihnen helfen?“

      „Nein, dürfen Sie nicht. Wie kann ich ihn erreichen? Es ist, wie gesagt, sehr dringend.“ Die Stimme bleibt kalt und fordernd.

      „Ich könnte Ihnen seine Handynummer geben, dann wird er selbst entscheiden, ob Ihr Anruf wichtig ist.“

      „Sehr gut, dann mal schnell her damit … “

      Kaum hat Ambrosius Läufer aufgelegt, summt das Telefon wieder. Nach seiner Begrüßungsformel hört er: „Hallo Herr Läufer, hier ist Andreas Schirm, Mülheim, ich vermisse meine Frau.“ Die Stimme klingt jung und sympathisch, aber hörbar nervös.

      Plötzlich reitet Ambrosius der Teufel. Er hüstelt: „Ich auch.“

      „Wie, Sie vermissen meine Frau auch?“

      „Nein, meine.“

      „Wie, Ihre Frau ist auch verschwunden?“

      „Nein, seit einem Jahr tot.“

      „Mein Gott, wie ist das denn passiert – sie war doch sicherlich noch nicht alt – oder?“

      „Wenn es Sie interessiert: Sie war 44 und hat mit vier Freundinnen zum 25-jährigen Abitur eine lange Südtirol-Reise gemacht. Und dann ist ihnen auf der Passstraße zum Stilfser Joch ein LKW auf der eigenen Spur entgegengekommen. Die fünf waren sofort tot – das stand damals in allen italienischen Zeitungen. Und in der BILD. Der Fahrer des LKW war wohl Deutscher, im Führerhaus steckte ein Schild ,Il Tedesco’, und er beging Fahrerflucht, wie mir die Polizei sagte.“ Er fühlt wieder Tränen aufsteigen. Besonders die Schlagzeilen der BILD hatten ihn lange verfolgt und bis heute nicht wirklich losgelassen: „Tod in Tirol – LKW zermalmt fünf deutsche Frauen.“

      „Mamma mia, das ist ja furchtbar, allerherzlichstes Beileid.“

      „Danke – aber was darf ich für Sie tun?“

      Andreas Schirm wechselt die Stimmlage und flüstert verschwörerisch: „Seit vorgestern ist meine Frau verschwunden. Ich habe schon mit allen Freunden und Verwandten telefoniert – ohne Erfolg. Und ich war auch schon bei der Polizei. Aber die heben ihren Hintern erst nach 48 Stunden, sagen sie.“

      Ambrosius kann sich zwar nicht vorstellen, dass Polizeibeamte bei der Beschreibung dienstlicher Tätigkeiten eigene Körperteile erwähnen, nimmt die Nachricht aber trotzdem ernst: „Ja, das ist so. Es gibt zu viele Vermisste, die nach zwei, drei Tagen Komasaufen putzmunter wieder auftauchen, als wäre nichts gewesen. Und die ganze Aufregung war umsonst. Da stellen die erst mal keine Ermittlungen an, sondern sitzen das in aller Ruhe aus.“

      Empörung klingt durch die Leitung: „Meine Frau trinkt nichts außer Wasser und Säften, schon mal einen Cappuccino oder einen Latte, aber immer pur, mit nichts – oder ohne alles, ganz wie Sie wollen. Die liegt nicht im Koma, Mann.“

      „Das war ja auch nur ein Beispiel. Es gibt viele Gründe für Vermissungen, alte Freunde getroffen, Depressionen, Kaufrausch,…“

      Andreas Schirm unterbricht ihn wütend: „Meine Frau trifft weder alte Freunde noch hat sie Depris, und einkaufen gehen wir immer zusammen. Sie ist einfach nur verschwunden!“

      „Wann haben Sie sie denn zuletzt gesehen?“

      „Am Samstagmittag, nach dem Essen, so gegen 13 Uhr. Ich bin freischaffender Sportjournalist und musste zu einem Bundesligaspiel.“

      „Wer gegen wen?“

      „Leverkusen gegen Schalke.“

      „Habe ich gesehen im Fernsehen, 0:1. Schönes Tor von Farfán.“

      „Ja, … Mann Gottes, was reden wir denn über Schalke, meine Frau ist