Das letzte Steak. Hansjörg Anderegg

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Название Das letzte Steak
Автор произведения Hansjörg Anderegg
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783967526936



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sogleich. »Das ist Kommissar Hoffmann. Er möchte dir nur ein paar Fragen stellen.«

      Schmitz’ blitzschnelle Reaktion verblüffte beide. Als hätte er den Leibhaftigen gesehen, nahm er Reißaus, stürmte auf den Wald zu und verschwand zwischen den Bäumen.

      »Herrgottssakrament! Alois! Lass den Scheiß und komm zurück!«, schrie Scholz ihm nach, doch der Wald hatte seinen Schwager verschluckt.

      »Vielen Dank für die gelungene Vorstellung«, sagte Sven ätzend.

      Scholz rannte hinaus und lief laut rufend und fluchend hinter dem Flüchtenden her.

      »Das hast du toll hingekriegt, Kommissar Hoffmann«, brummte Sven zerknirscht.

      Er dachte nicht daran, dem Sandler nachzurennen. Falls er nicht wieder auftauchte, würde er die Fahndung auslösen. Er sah sich nochmals gründlich um in der Hütte, fand jedoch außer dem Beutel mit Schmitz’ Habseligkeiten nichts, was ihn interessierte. Er packte den Sack und machte sich auf den Weg zurück zum Auto. Scholz war bereits dort. Er unterhielt sich mit Lange. Daneben stand Schmitz mit einem Gesicht, als ginge ihn das alles nichts an.

      Sven zeigte ihm den Ausweis und fragte: »Alois Schmitz, sind Sie jetzt bereit, meine Fragen zu beantworten?«

      Statt den Mund zu öffnen, griff Schmitz nach dem Beutel, um ihn an sich zu reißen. Sven war schneller.

      »Ihre Sachen sind beschlagnahmt. Zeigen Sie mir bitte die rechte Schuhsole.«

      Schmitz duckte sich, als wollte er ihn schlagen, und suchte ängstlich nach einem Ausweg wie ein in die Enge getriebenes Reh. Alles deutete darauf hin, dass er im nächsten Augenblick wieder ausbüxen würde.

      »Mir reicht’s«, schnaubte Sven.

      Der Beutel fiel zu Boden. Er drehte Schmitz mit geübtem Griff die Arme auf den Rücken und ließ die Handschellen zuschnappen. Schmitz gab immer noch keinen Ton von sich. Sein Schwager protestierte umso lauter, worauf der verdeckte Ermittler Lange ihn sofort in die Schranken wies:

      »Er will es nicht anders. Sonst kann er die Klappe doch auch nicht halten.«

      Svens Handy klingelte. ›Chris‹ kündigte das Display an. Er ließ es klingeln. Das Letzte, was er jetzt brauchte, waren ironische Kommentare seiner Partnerin. Zuerst musste er diesen Albtraum beenden.

      »Alois Schmitz, Sie kommen mit nach Wiesbaden zur Vernehmung«, sagte er kurz entschlossen. »Sie fahren mit Herrn Scholz nach Sankt Johann zurück. Ich sorge dafür, dass Sie eine Streife dort abholt.«

      »Das hast du jetzt davon«, grinste Lange zu Schmitz, der immer noch nicht reden konnte.

      »Lange, Sie fahre ich nachher wieder zum verdeckten Einsatzort.«

      Langes Grinsen drohte das Gesicht zu sprengen, während er seine Spinnenbeine umständlich im Boxster verstaute.

      Wiesbaden

      Chris beobachtete Sven durch den halbdurchlässigen Spiegel. Seit einer Viertelstunde versuchte er, Schmitz zum Reden zu bringen, doch der saß blass und reglos vor dem Mikrofon, als hätte ihn die Totenstarre erfasst. Das wird nix, dachte sie. Sven zog offensichtlich denselben Schluss. Er stand auf, beugte sich über den Tisch und schaute dem ›Toten‹ tief in die Augen.

      »Ihr Schweigen hilft Ihnen nicht«, sagte er mit eindringlicher Stimme. »Sie waren am Tatort, das beweist Ihr Schuhabdruck im Blut. Sie haben kein Alibi für die Tatzeit. Das Handy des Opfers lag in Ihrem Beutel, mit Ihren Fingerabdrücken. Sie hassen Ausländer, insbesondere Schwarze, beschimpfen sie als Neger. Und Sie sind geflohen. Es sieht gar nicht gut aus für Sie, Alois Schmitz.«

      Damit ließ er ihn sitzen und verließ den Verhörraum. Gereizt trat er auf Chris zu.

      »Sag jetzt nichts! Eine, zwei Nächte in der Zelle, und er wird reden, jede Wette.«

      Es klang nicht, als glaubte er selbst daran.

      »Kaffee?«, fragte sie.

      »Verflucht!«

      Sie übersetzte das mit Ja und ging voran zum Automaten. Es dauerte eine Weile, bis er sich beruhigte, dann bemerkte sie beiläufig:

      »Vielleicht hat er einfach Angst vor dir.«

      »Dazu gibt’s auch verdammt gute Gründe.«

      »Sicher, bloß wird er so nicht gesprächiger.«

      Er sah sie mürrisch an. »Kannst es gern selbst versuchen, wenn du das meinst.«

      Sie nickte lächelnd. »Warte, es dauert nur eine Minute.«

      Eilig holte sie ihre Tasche im Büro und zog sich damit auf die Toilette zurück. Vor dem Spiegel löste sie die Masche vom Zopf, schlang ihn um den Kopf und befestigte das Kunstwerk so gut es ging mit den zwei Klammern, die ihre Tasche hergab. Das Spiegelbild entsprach nicht ihrer Idealvorstellung, aber der Effekt musste genügen. Die Lippen glänzten zu stark. Mit einem feuchten Tuch rieb sie etwas Farbe ab. Zuletzt knöpfte sie die Bluse bis oben zu, machte ein strenges Gesicht und hielt nochmals stille Zwiesprache mit dem Spiegelbild.

      Sven erschrak, als er sie so sah.

      »Ich weiß, die Hosen stören«, grinste sie. »Was meinst du, sieht das arisch genug aus?«

      Er räusperte sich verlegen, bevor ihm die passende Antwort einfiel:

      »Richard Wagner wäre begeistert.«

      »Gut, das reicht.«

      Sie betrat das Verhörzimmer mit dem Gesichtsausdruck der Walküre vor dem Ausritt, den sie geübt hatte. Schmitz bewegte sich keinen Millimeter, aber seine Augen erwachten zu neuem Leben, verfolgten jede ihrer Bewegungen. Sie setzte sich ihm gegenüber, rückte nah an den Tisch, damit er nur das altdeutsche Oberteil sehen konnte, dann richtete sie Block und Stifte peinlich genau senkrecht zur Tischkante aus. Sie schaltete das Aufnahmegerät ein und sprach ins Mikrofon:

      »Sechsundzwanzigster August, vierzehn Uhr fünfunddreißig. Fortsetzung der Vernehmung von Alois Schmitz. Anwesend sind Kriminaloberkommissarin Dr. Hegel und Alois Schmitz.«

      Sie sah ihn schweigend an, bis er den Blick senkte. Zu seiner Verblüffung stoppte sie die Aufnahme wieder und schob das Mikrofon beiseite. Dann formulierte sie die erste Frage in einer Sprache, die er verstehen musste:

      »Hat der Neger Sie provoziert? Haben Sie deshalb zugestochen?«

      Ein Ruck ging durch seinen Körper, als spürte er selbst den Dolch zwischen den Rippen.

      »Ich hab die Sau nicht …«

      »Man hat es oft nicht mehr leicht als Deutscher in Deutschland. Ich verstehe …«

      »Ich hab ihn nicht – er war schon tot, wie ich …«

      »Wie Sie was?«

      »Ich bin hingegangen, nachschauen, als er weg war.«

      »Wer, der Täter? Haben Sie gesehen, wer es getan hat?«

      Er schüttelte den Kopf. »Die haben gestritten.«

      Schmitz war soweit. Sachte zog sie das Mikrofon wieder heran und schaltete unauffällig auf Aufnahme.

      »Sie haben nichts zu befürchten, wenn Sie unschuldig sind«, beruhigte sie. »Erzählen Sie mir einfach von Anfang an, was in jener Nacht geschehen ist.«

      Kaum ein ganzer Satz kam aus seinem Mund, aber er redete, nur das zählte. Am Ende der mühsamen Unterhaltung fügten sich die Bruchstücke zu einer geradlinigen Geschichte zusammen. In jener Nacht konnte er nicht schlafen. Plötzlich hörte er Schritte im Durchgang beim Nonnenhaus, dann Stimmen. Zwei Männer stritten sich, behauptete er. Das Gespräch brach unvermittelt ab. Es blieb kurze Zeit ruhig, bis er hörte, wie etwas Schweres ins Wasser plumpste. Er traute sich nicht, nachzusehen, wartete, bis der Harndrang zu stark wurde. Beim Urinieren entdeckte er die Leiche im Kanal. Etwa zehn Minuten später, als er sicher war, dass alles ruhig blieb, wagte er sich an den Tatort im Durchgang. Er sah das zertrampelte Handy am Boden liegen,