Das letzte Steak. Hansjörg Anderegg

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Название Das letzte Steak
Автор произведения Hansjörg Anderegg
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783967526936



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um einen zweischneidigen Dolch mit zirka ein Zoll breiter und mindestens sechs Zoll langer Klinge.«

      »Der Täter war ein Fachmann? Ein Arzt?«, fragte er verblüfft.

      »Oder ein erfahrener Metzger. Die Präzision kann natürlich auch Zufall gewesen sein, aber das halte ich für eher unwahrscheinlich, denn es gibt wie gesagt nur eine Stichwunde.«

      »Kann es eine Frau getan haben?«

      »Möglich. Eine kräftige Frau mit der richtigen Portion Wut im Bauch – warum nicht? Der Stichkanal führt leicht schräg nach oben. Das deutet darauf hin, dass der Täter oder die Täterin ungefähr gleich groß ist wie das Opfer.«

      »Fünf Fuß sieben, Sir«, rief der junge Mann am Computer dazwischen.

      »Also eher klein, gedrungen«, murmelte Adam. »Das ist wenigstens ein erster, konkreter Anhaltspunkt. Wurde das Opfer misshandelt, missbraucht?«

      »Vergewaltigt meinst du? Nein, es gibt kein Anzeichen von Missbrauch oder Gewalt, außer dem Messerstich. Er muss sie vollkommen überrascht haben.«

      »Todeszeitpunkt?«

      »Der Zeitpunkt des Exitus lässt sich nicht mehr genau eingrenzen. Sicher ist, dass der Leichnam schon vor der letzten Regenfront im Moor gelegen hat. Das heißt, er ist irgendwann vor ein Uhr am Mittwochmorgen dort abgelegt worden.«

      »Sie ist nicht dort gestorben?«

      »Nicht am Fundort. Die Kriminaltechnik konnte den Tatort noch nicht finden. Dürfte auch ziemlich schwierig werden, falls sie im Moor gestorben ist. Das viele Wasser hat fast alle Spuren beseitigt.«

      Er warf einen Blick auf die Projektionswand. »Wir gehen also davon aus, dass die Tat zwischen Dienstag, 17:35 Uhr und Mittwochmorgen, 1 Uhr, geschehen ist?«

      »Ich hätte es kaum besser formulieren können.«

      Wie von Geisterhand gezeichnet, erschien ein roter Balken mit der Beschriftung ›Todeszeitpunkt‹ auf der Zeitlinie. Es gab zu viele weiße Flecke in diesem Fall und entschieden zu wenige Detectives, die er darauf ansetzen konnte. Seine Leute vermochten mit Mühe die Befragung der Fabrikarbeiter zu bewältigen und die Familie des Opfers zu durchleuchten. Mehr lag auch mit Unterstützung der Polizei von Suffolk nicht drin. Mad Barclay fiel das auch auf. Sie reagierte ungehalten:

      »Wer nimmt sich den König der Sardinen zur Brust?«

      Pete grinste. »Sorin? Der wird von den Kollegen in Norfolk vernommen.«

      »Gratuliere!«, schnaubte die Pathologin verächtlich. »Der King wird von seinen Vasallen ausgequetscht. Das könnt ihr euch sparen.«

      Adam griff ein, bevor der Schlagabtausch eskalierte:

      »Wir können nicht alles allein machen – leider. Konzentriert die Vernehmungen auf den Tatradius und die Suche nach dem Motiv.«

      Auf der Karte an der Wand erschien ein schraffierter Kreis mit Sorins Konservenfabrik als Mittelpunkt. Das Programm deutete damit an, in welchem Gebiet sich das Opfer vor der Tat wahrscheinlich aufgehalten hatte.

      »Es gibt verdammt wenig Greifbares«, sagte er verärgert. »Im Grunde wissen wir noch gar nichts, was uns weiter bringt.«

      Während er aussprach, was alle dachten, ging die Tür leise auf. Eine jugendliche Gestalt, nicht unähnlich dem Neuling am Computer, betrat den Raum.

      »Detective Sergeant Cornwallis, schön, dass Sie den Weg zu uns doch noch gefunden haben«, knurrte Adam.

      »Sorry, Sir, ich wurde in Felixstowe aufgehalten. Gestern Nacht ist uns gelungen, den Jungen Scotty Stuart endlich zum Reden zu bringen. Er sagt aus, seine Mutter am Dienstagabend gesehen zu haben, als sie die Fabrik verließ. Er behauptet, ein Mann habe kurz mit ihr gesprochen, dann sei sie in sein Auto eingestiegen. Das Auto sei in Richtung Hafen gefahren. Zeitpunkt etwa 17:45 Uhr.«

      Das Ereignis erschien auf der Zeitlinie, während die Augen der Kollegen an den Lippen des Sergeants hingen.

      »Und weiter?«, drängte Adam. »Wie sah der Mann aus? Wagentyp, Kennzeichen?«

      Cornwallis schüttelte bedauernd den Kopf. »Scotty hat sich widersprochen. Er sah die beiden nur kurz, während er auf dem Rad vorbeifuhr. Ab 18 Uhr war er nach übereinstimmenden Zeugenaussagen bereits wieder zu Hause. Sicher ist er sich einzig, dass er Felicity gesehen hat und den Rücken eines untersetzten Mannes etwa in ihrer Größe.«

      »Ist uns auch schon bekannt.«

      Cornwallis blickte ihn bestürzt an, dann sah er das vorläufige Täterprofil an der Wand und lächelte.

      »Ja, Sir, die Größe deckt sich mit Scottys Aussage. Der Unbekannte könnte der Täter gewesen sein.«

      Er hüstelte, legte eine Kunstpause ein, bevor er hinzufügte:

      »Scotty hat gehört, wie der Unbekannte laut und eindringlich auf seine Mutter einredete. Er hat zwar nicht verstanden, worum es ging, ist aber überzeugt, dass der Mann mit ausländischem Akzent gesprochen hat. Wahrscheinlich Holländisch oder Deutsch, gibt er an.«

      »Der Kleine beherrscht ja beide Fremdsprachen, nehme ich an«, spottete Adam.

      Cornwallis schüttelte beleidigt den Kopf. »Er kennt den Klang der Sprachen von den Hafenarbeitern und Seeleuten, sagt er. Sir, ich meine, wir sollten den Jungen ernst nehmen. Es könnte eine wichtige Spur sein.«

      Das brauchte der Sergeant einem alten Hasen wie ihm nicht zu erläutern. Angenommen, Scotty irrte sich nicht, dann gab seine Beobachtung dem Fall eine neue Wendung, die ihm gar nicht gefallen wollte. Cornwallis traute er zu, den Zeugen richtig einzuschätzen, also entschied er sich, großes Geschütz aufzufahren.

      »Wir dehnen die Untersuchung aus«, sagte er. »Täterprofil und Tathergang werden an Interpol weitergeleitet. Ich will wissen, ob sich ähnliche Fälle in Deutschland oder den Niederlanden ereignet haben. Gibt es entsprechende Täter, die seit Kurzem wieder auf freiem Fuß sind, und so weiter, das ganze Programm.«

      Wiesbaden

      Der Applaus fiel höflich aus. Das Konzert im Atrium riss die Zuschauer nicht von den Stühlen. Chris hatte sich mehr versprochen von der Bigband aus Schweden. Die Musiker spulten die Evergreens routiniert und technisch perfekt ab, doch wurde sie den Verdacht nicht los, die wollten gar nicht hören, was sie spielten. Das Publikum zerstreute sich rasch. Ein paar ältere Herren unterhielten sich auf der Allee, unschlüssig, welche Kneipe es sein sollte. Ein junges Paar kam ihr entgegen. Eng umschlungen, mit sich selbst beschäftigt, traten sie auf die Straße. Chris löste die Kette vom Fahrrad. Sie nahm die schnelle Bewegung am Ende der Straße nur aus den Augenwinkeln wahr. Ein Sportwagen schlitterte mit quietschenden Reifen vom Siegfriedring in die nächtliche Allee und raste mit hoher Geschwindigkeit auf sie zu.

      »Achtung!«, schrie sie. »Weg von der Straße!«

      Statt zu bremsen, ließ der Irre im 3er Cabrio den Motor aufheulen. Die Leute auf der Straße reagierten viel zu langsam, wie in Zeitlupe. Chris sprang ins Scheinwerferlicht, ruderte mit den Armen und rief aus Leibeskräften:

      »Anhalten, Polizei!«

      Der Schock traf den Fahrer hart. Er trat augenblicklich auf die Bremse. Seine motorisierte Waffe rutschte näher, zu schnell, um den Zusammenstoss zu vermeiden. Von der Ringstraße brausten Blaulichter heran. Instinktiv sprang sie auf und landete auf der Motorhaube. Ihr Rücken prallte hart an die Frontscheibe, aber der Scheißkerl stand still.

      »Anhalten, Polizei!«, rief sie nochmals, während sie ächzend vom Wagen rutschte.

      Der Fahrer, ein süß parfümierter Schnösel, noch grün hinter den Ohren, starrte sie entsetzt an und regte sich nicht.

      Sie zückte ihren Ausweis. »Aussteigen!«

      Er schien sie nicht zu hören. Die Streifenwagen schlossen auf, da löste sich die Schockstarre. Er griff an den Schalthebel, doch sie war schneller. Ohne Zögern drehte sie den Zündschlüssel und zog ihn heraus. Das Brummen des Motors erstarb.