Oh mein Gott!. Christian Schwab

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Название Oh mein Gott!
Автор произведения Christian Schwab
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783990012567



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bekanntlich nicht wissen, und weil ich es nicht weiß, glaube ich einmal, dass ein Bier am Sabbat erlaubt ist. Auf alle Fälle hier in Bayern. Der nächste Tag wird genauso eingehalten, wie ich ihn geplant habe, und so ziehe ich am Samstagabend Bilanz über meinen ersten Sabbat. Er war tatsächlich richtig erholsam, quasi ein 24-Stunden-Urlaub mit Tora lesen. Hat es was mit dem Judentum zu tun, oder habe ich nur gut abschalten können, weil auch mein Smartphone abgeschaltet war? Um die Antwort dafür zu bekommen, habe ich noch drei Sabbats Zeit. Meine Vorfreude auf den nächsten ist jetzt schon groß.

      Synagoge statt Streif

       Mein Tora-Wunder

      Meinen dritten Sabbat möchte ich, nachdem ich den zweiten einfach mit Lesen in der Tora und sonstigem Nichtstun verbracht habe, so streng wie möglich begehen. Wir verzichten in unserer Wohnung komplett auf elektrisches Licht und benützen keine elektrischen Geräte wie die Waschmaschine oder den Geschirrspüler. Ausnahme: Eine Herdplatte darf für den Brei von Ivy aktiviert werden, sonst wäre es wohl rasch vorbei mit der Ruhe am Sabbat. Smartphone und Internet sind sowieso tabu, das ist nach zwei Sabbats schon zur Selbstverständlichkeit geworden. Ich ärgere mich, dass zu wenig Zeit war, um ihn noch ordentlicher vorzubereiten oder zumindest pünktlich zu starten.

      Heidi muss noch einiges erledigen und ist noch nicht zurück. Doch ohne die Frau des Hauses kann der Sabbat nicht begonnen werden, denn 18 Minuten vor Beginn des Sabbats sind die Sabbatkerzen anzuzünden. Grundsätzlich gibt es zwei Kerzen, die jeweils für Mann und Frau stehen, mittlerweile wird für jedes Familienmitglied eine Kerze angezündet. Traditionellerweise zündet die Frau diese Kerzen an, außer ein Mann lebt alleine in einem Singlehaushalt, dann muss natürlich er die Sabbatkerzen anzünden. Heute hätte dieses Ritual um 16:18 Uhr stattfinden sollen, es ist aber nun bereits knapp nach 17 Uhr, als ich die Wohnungsschlüssel höre und Heidi nach Hause kommt. Wenn die Tora wortwörtlich ausgelegt werden würde, dann hätte ich jetzt vielleicht ein ernstes Problem, denn im 2. Buch Mose, im Exodus, steht Folgendes:

      »Und der Ewige sprach zu Moscheh, indem er sagte: Du aber rede zu den Söhnen Jisraels und sprich: Nur meinen Sabbat müsset ihr halten, denn ein Zeichen ist es zwischen mir und euch für eure Geschlechter, dass ihr erkennet, dass ich der Ewige, der euch heiliget. Und haltet Sabbat, denn heilig ist er euch. Wer ihn entweiht, soll getötet werden.«

      Sehr freundlich und großherzig klingt das nicht gerade, aber ich hoffe, Gott sieht über unsere Unpünktlichkeit hinweg oder zumindest gerade nicht auf die Uhr. Die Zeremonie kann beginnen. Heidi zündet die Kerzen an, danach führt sie beide Hände in einer Kreisbewegung zu ihren Augen und hält diese zu. Nun ist es Zeit für sie, den Segensspruch aufzusagen. Leider kann ihn keiner von uns auswendig und ich habe auch vergessen, ihn auszudrucken. Was aber ohnehin sinnlos wäre, weil Heidi die Hände vor ihren Augen hat und ihn nicht lesen könnte. So wünschen wir uns einfach »Good Schabbes«, eine Mischung aus dem englischen Wort für gut und dem jiddischen Wort für Sabbat. Zwei Wörter, die sich die Mitglieder der jüdischen Gemeinde am Sabbat vor allem zur Begrüßung in der Synagoge sagen. Doch die drei Sabbatkerzen sind nicht die einzigen, die meine Freundin anzündet. Es folgen noch einige mehr. Ich bin direkt verwundert, wie viele Kerzen sie bei uns gelagert hat. Sollte dem Flughafen Wien-Schwechat einmal das Licht für eine Landebahn ausgehen, könnten wir mit unseren Kerzen locker aushelfen. Mit jeder Kerze, die brennt, so habe ich das Gefühl, werde ich innerlich ruhiger.

      Jetzt gilt es, sich nur nicht anzustrengen. Es gibt sogar Juden, die das Streichholz beim Kerzenanzünden nicht ausblasen, sondern warten, bis es von selbst erlischt, weil das Ausblasen zu anstrengend sein könnte. Eine Besonderheit bei den orthodoxen Juden ist auch der sogenannte Sabbatlift. Dieser ist so programmiert, dass er automatisch von oben nach unten fährt und in jedem Stockwerk stehen bleibt, damit kein Jude einen Knopf betätigen muss. Diesen Sabbatlift findet man in Krankenhäusern, Wohnhäusern, auch in Synagogen und Hotels, allen voran natürlich in Israel. Im Jahr 2001 wurde dort sogar ein Sabbat-Aufzugsgesetz verabschiedet, das für die Planung und den Bau aller Wohngebäude sowie öffentlicher Gebäude, die über mehr als einen Aufzug verfügen, zur Einrichtung eines Steuermechanismus für Sabbat (Sabbat-Modul) in einem der Aufzüge verpflichtend vorsieht.

      Die Lösung muss manchmal aber gar keine technische sein, sondern kann allzu menschlich ausfallen, indem man einen sogenannten Sabbat-Goi beschäftigt. Als Goi werden alle Nicht-Juden bezeichnet. Und so kann zum Beispiel in einem großen Hotel einfach ein Sabbat-Goi beauftragt werden, die Liftknöpfe für Juden zu drücken. Die Treppe nehmen kommt gar nicht infrage, weil das viel zu anstrengend ist. Für mich persönlich ist es allerdings anstrengender, an all die Regeln zu denken und die Vorbereitungen dafür zu treffen als einfach gar nichts zu tun.

      Eine solche Vorbereitung hätten wir auch für die Sabbat-Mahlzeiten treffen sollen: Drei Mahlzeiten vorkochen und auf eine Wärmeplatte stellen. Bei uns fehlt es gerade an beidem, an den drei Mahlzeiten und an der Wärmeplatte. Aber es fehlt mir nicht an Kreativität, und so wird der gute österreichische Kompromiss gewählt: Es wird einfach nicht warm gegessen, sondern kalt gejausnet. Zumindest habe ich mit meiner Freundin jetzt, nachdem Ivy bereits tief und fest schläft, ein romantisches Candle-Light-Dinner in der eigenen Wohnung, oder besser gesagt eine Candle-Light-Jause. Kornspitz bei Kerzenschein.

      Ich widme mich also meiner Familie, wie es der Sabbat vorschreibt. Und jetzt kommt das Beste: Es gibt das Gebot, am Sabbat Sex zu haben. Da kann ich mir ein Lachen nicht verkneifen. Den Liftknopf zu drücken ist nicht erlaubt, Sex jedoch schon. Aber vielleicht strengen sich manche beim Sex noch weniger an als beim Drücken des Liftknopfes. Dieses Gebot betrifft allerdings nur Ehepaare, und nachdem ich nicht verheiratet bin, bleibt mir nun nichts anderes zu tun, als meine Liebe Gott zu widmen. So klingt der Abend beim Toralesen im Kerzenschein aus. Anstelle von Musik höre ich das leise Schnarchen von Heidi, die neben mir auf der Couch eingeschlafen ist. Einige Bibelstellen später schleiche ich dann wie ein Nachtwächter durch die Wohnung und blase alle Kerzen aus. Und nachdem es so viele sind, verbrauche ich dabei mindestens so viel Luft wie bei einem Halbmarathon.

      8 Uhr nächster Tag. Viele Skifans sind unterwegs zur Streif, heute findet wieder der legendäre Abfahrtsklassiker in Kitzbühel statt. Ich werde das Rennen nicht einmal im Fernsehen verfolgen können, für mich heißt es heute Synagoge statt Streif. Ich würde mein Experiment als Jude nicht ernst nehmen, wenn ich nicht auch einmal einen Sabbatgottesdienst besuchen würde. Im Vergleich zum Morgengebet, das um 7 Uhr abgehalten wird, findet der Sabbatgottesdienst erst um 9 Uhr statt, dafür wird er nicht eine Stunde, sondern mitgestoppte zwei Stunden und 52 Minuten dauern. Ich habe mich bereits angemeldet und zusätzlich habe ich Raphael, ein Mitglied der jüdischen Gemeinde, als »Begleitschutz« mit dabei.

      Die schönste Erfahrung mache ich bereits nach wenigen Minuten. Das Gefühl der Fremdheit, beinahe ein Gefühl der Angst, das ich noch bei meinem ersten Synagogenbesuch verspürt habe, ist komplett verschwunden. Das liegt auch daran, dass ich sofort freundlich aufgenommen werde. Ich treffe an der Garderobe wieder auf Mirko, einen Fahrlehrer aus Wien, der mir beim Morgengebet zu Beginn meines jüdischen Monats durch Zurufen der Seitenzahlen geholfen hat. Er freut sich, mich wiederzusehen. In der Synagoge sehe ich auch bekannte Gesichter, die mir schon beim Morgengebet begegnet sind. Wir geben uns die Hand und wünschen uns gegenseitig »Good Schabbes«. Ich weiß nicht, ob ich bei meinem ersten Morgengebet einen guten Eindruck hinterlassen habe, aber auf alle Fälle habe ich einen Eindruck hinterlassen. Von vielen werde ich sofort wiedererkannt. Das hilft mir sehr, mich heute in der Synagoge um einiges wohler zu fühlen. Auch kenne ich mich bereits besser aus und bin vorbereitet.

      Ist mir beim ersten Mal meine Kippa noch zwei oder drei Mal runtergefallen, weiß ich mir mittlerweile mit einer Klammer zu helfen. Dieses Fettnäpfchen lasse ich diesmal aus, ebenso weiß ich, dass ich mich nicht auf den ersten Platz in der letzten Reihe setzen soll. Denn der Mann, der mich beim Morgengebet noch zurechtgewiesen hat, tat das völlig zu Recht. Immerhin habe ich mich damals auf den Platz des Shames, des Synagogendieners, gesetzt. Er hat die Aufgabe, für Ordnung in der Synagoge zu sorgen.

      Heute ist die Synagoge fast komplett gefüllt, beim Morgengebet, zu Beginn meines Monats im Judentum, waren nur etwas mehr als ein Dutzend Leute anwesend. Auch viele Frauen befinden sich heute in der Synagoge, aber sie sitzen wie in der jahrtausendealten Tempelordnung