Alles anders, aber viel besser. Dagmar Glüxam

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Название Alles anders, aber viel besser
Автор произведения Dagmar Glüxam
Жанр Личностный рост
Серия
Издательство Личностный рост
Год выпуска 0
isbn 9783709500330



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die Meinung der Gesellschaft wider, nach der Hausarbeit und Kindererziehung auf der Werteskala der Tätigkeiten ganz unten stehen. Mittlerweile habe ich begriffen, dass ich diesen meinen Beitrag vor allem selbst anerkennen muss. Das, was ich für meine Familie mein Leben lang getan habe und noch immer tue, ist viel wert. Als ich krank wurde, mussten wir uns für einige Arbeiten in Haus und Garten Hilfe von außen holen. Bei dieser Gelegenheit konnte ich erfahren, wie teuer diese Arbeit eigentlich ist. Da wurde mir bewusst, dass es zwei Zugänge zur Geldbeschaffung beziehungsweise Gelderhaltung gibt: Entweder Geld zu verdienen oder aber mit dem eigenen Einsatz dafür zu sorgen, dass weniger Geld ausgegeben wird. Heute sehe ich beide Tätigkeiten als völlig gleichwertig an.

      Damals war es für mich jedoch nur »selbstverständlich«, dass ich neben meiner kräfteraubenden »Schreiberei« den gesamten Haushalt und Garten versorgte und meiner Familie noch dazu frisches, selbst gezogenes Gemüse lieferte. Mein Mann hatte doch seine anstrengenden Nachtdienste und die emotional aufwühlenden Quartett- und Orchesterproben, in denen er sich mit all seinen Kollegen, einer wahren Ansammlung von »Alpha-Tieren«, auseinandersetzten musste. Wenn er zu Hause war, brauchte er meiner Meinung nach selbstverständlich Ruhe. Fairerweise muss ich an dieser Stelle sagen, dass er mir – wenn er zu Hause war – nie seine Hilfe verweigerte. Er korrigierte meine sämtlichen Aufsätze und Bücher; ohne ihn wäre ich nie dort, wo ich jetzt bin. Das einzige Problem lag lediglich darin, dass er so selten zu Hause war. Angesichts seines äußerst respektablen Berufes getraute ich mich nie, meine Ansprüche durchzusetzen. Ich dachte, ich hätte kein Recht darauf, gegen sein musikalisches (wenn auch zeitlich höchst aufwendiges) Hobby anzutreten. Er brauchte doch einen Ausgleich nach den vielen anstrengenden und/oder schwer kranken Patienten. Ich schilderte meine durch und durch unbefriedigende Situation zwar meiner damaligen Psychotherapeutin, als sie mich aber aufforderte, nicht andauernd über die Bedürfnisse meines Mannes, sondern über MEINE Bedürfnisse zu sprechen, verstand ich wieder einmal überhaupt nicht, was sie meinte. Statt resolut auf den Tisch zu hauen und mit entschlossenem Blick eine Änderung seines Tagesablaufes zu verlangen, knirschte ich jedes Mal mit den Zähnen und warf zornig die Wäsche in die Waschmaschine, wenn er sich nach einem dreißigminütigen Aufenthalt zu Hause mit einem liebevollen Blick und Kuss auf die Wange von mir verabschiedete und zur Musikprobe eilte.

      Selbstkritisch und mit einer gehörigen Portion Scham muss ich heute zugeben: Auch hier verließ ich mich feige auf meine Tochter. Als sie größer wurde, verlangte sie mehr und mehr nach ihrem geliebten Papa und schrie jedes Mal lautstark, als er zu einer Probe oder einem Konzert ging. Solange er noch zu Hause war, ließ ich sie brüllen, das war mein einziger »aktiver« Beitrag. Irgendwann wurde es ihm zu viel und er verließ zumindest das Streichquartett, meiner Tochter sei Dank.

      Ruhe vor dem Sturm

      Die Lage spitzte sich allmählich zu. Die unverarbeitete Trauer über die Verluste von drei geliebten Menschen, der körperliche und emotionelle Dauerstress hatten mich zunehmend erschöpft. Ich konnte nicht schlafen, wachte in der Nacht schweißgebadet auf und überlegte fieberhaft, ob ich in irgendeinem meiner Aufsätze nicht irgendeine wichtige Studie oder Information vergessen hatte. Mein Rücken schmerzte, meine Schultern schmerzten, auch der Schmerz meiner Seele wurde unerträglich. Ich konnte fast nicht atmen; es fühlte sich an, als ob auf meinem Brustkorb ein tonnenschwerer Felsenbrocken lastete. Meine Verdauung verweigerte mir zeitweise komplett den Dienst. Und die entsetzliche, bleierne Müdigkeit, die mich nach jedem Essen überfiel! Da ich oft und ziemlich viel aß – gutes Essen war die einzige Freude meines Lebens, die ich mir damals gestattete –, fühlte ich mich dauernd todmüde. Eigentlich war ich den ganzen Tag damit beschäftigt, mit Hilfe von unzähligen Espresso-Kapseln wieder irgendwie auf die Beine zu kommen. Die Angelegenheit mit meinen Kollegen hatte mir zusätzlich den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Enttäuschung darüber, wie mich jemand, mit dem ich über Jahre in bestem Einvernehmen erfolgreich gearbeitet hatte, in meinen Augen dermaßen gemein hatte übergehen können, verkraftete ich nicht. Ich beschloss, meine musikwissenschaftliche Forschung auf Eis zu legen und widmete mich meiner weiteren Tätigkeit, dem Kinderbuch. Ich schrieb und illustrierte, und während ich mit meiner Tochter und dem Hund Arthur spazieren ging, löste ich ihre (!) Probleme mit Mobbing in der Schule. Ist es nicht beängstigend zu beobachten, wie Kinder Verhaltensmuster ihrer Eltern übernehmen und sich mit denselben Problemen herumschlagen? In der wunderbaren Natur in F. gelang es mir, einigermaßen meine seelische Balance wiederzufinden, aber die bittere Enttäuschung in meinem Berufsleben blieb an meiner Seele haften und ätzte sich immer tiefer ein.

      Es gab jedoch auch erfreuliche Lichtblicke in jener Zeit, die ich im Nachhinein absolut treffend als die »Ruhe vor dem Sturm« bezeichnen würde. Als Anhänger der alternativen Medizin, der Akupunktur und der Traditionellen Chinesischen Medizin wünschte sich mein Mann schon seit Jahren, China zu besuchen. Da er gerade seinen fünfzigsten Geburtstag feierte, beschlossen wir, dieses Jubiläum zum Anlass zu nehmen und den Wunsch zu verwirklichen. Wie zufällig flatterte uns ein Prospekt ins Haus, in dem spezielle China-Reisen für Ärzte, kombiniert mit einem Alternativprogramm von Qi Gong und chinesischer Malerei angeboten wurden. Für uns also wie maßgeschneidert. Vierzehn Tage um Weihnachten und Neujahr sollte mein Mann in einem chinesischen Krankenhaus in Sanya auf der chinesischen Halbinsel Hainan verbringen und ich mit meiner Tochter unter Palmen am Strand des Südchinesischen Meeres. Keine schlechte Option, wie ich fand. Als zusätzlichen Bonus gelang es mir, von meinem Mann die Erlaubnis für einen Aufenthalt im kommenden Herbst für drei Monate als »visiting academic« in Oxford zu erhalten. Anders als in Österreich wurde meine Forschungsarbeit im Ausland offenbar doch anerkannt. Durch die großzügige Hilfe von Jeremy Montagu, einem der weltweit bedeutendsten Instrumentensammler und -experten, bekam ich die Möglichkeit, an einem Oxforder College und in der berühmten Bodleian Library meine musikhistorische Forschung zu betreiben. Wir überlegten, wie sich die »Dinge« (d. h. Tochter, Hund, drei Katzen, Haus und Garten in F.) organisieren lassen würden, und beschlossen beides anzugehen.

      Die Reise nach China gehört zu den schönsten Erlebnissen meines Lebens. Die chinesische Kultur und die Gartenarchitektur hinterließen nachhaltigen Eindruck auf mich. Auch der Heilige Abend unter Palmen und mein Mann im Weihnachtsmannkostüm, von allen Chinesen als Attraktion des Abends fotografiert, waren nicht zu verachten. Ich verfiel buchstäblich den wunderbaren Stränden und der Sanftheit der chinesischen Frauen. Jeden Morgen betrieben wir am Strand Qi Gong, mit dem leisen Schlagen der Meereswellen als Geräuschkulisse und einer mächtigen (500 Meter hohen, so schien es mir zumindest) Buddha-Statue im Hintergrund. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich an »unserem« Strand auf Hainan am liebsten Wurzel geschlagen. Dabei konnten wir uns überhaupt nicht verständigen. Auf Englisch verstanden die Menschen nicht einmal »good morning«, das Zeigen mit den Fingern nutzte auch nichts, weil die Chinesen etwa Zahlen anders zeigen. Diese absolute Isolation erzeugte jedoch himmlische Ruhe, die meine Welt mit Mobbing und beruflichem Frust ganz weit weg und unwirklich erscheinen ließ. Nur unsere Tochter fürchtete sich fortwährend, dort irgendwo einen gebratenen Hund aufgetischt zu bekommen. Unsere Beruhigungsversuche halfen nicht. Als sie auf einem riesigen Stadtmarkt in Sanya, einer Attraktion für sich, eine Schweineleiche mit Kopf entdeckte, hielt sie sie für einen toten Hund, rettete sich schreiend zu uns und wollte sofort wieder abreisen.

      Was ich in diesem Zusammenhang noch ganz besonders hervorheben möchte, ist die chinesische Art der Ernährung. Wir bekamen WARMES Frühstück an einem wunderbaren Buffet mit allen möglichen gekochten, gedünsteten und gebratenen Köstlichkeiten in Form von allerlei Gemüsesorten, gefüllten Knödeln, Suppen und Algen. Brot, Butter und Marmelade lagen dagegen im letzten Eck der riesigen Restauranthalle und waren eigentlich nur für russische Touristen gedacht, die dort versuchten, ihre europäische Identität zu wahren. Auch Mittag- und Abendessen wurden warm serviert, mit viel, viel Gemüse, Reis, diversen ausgefallenen Teigwaren (bei denen man oft nicht unterscheiden konnte, ob es sich um echte Schnecken oder eben nur um sonderbare Nudeln handelte), mit fantastischem Fisch und Meeresfrüchten. Vor allem diese unglaubliche Gemüsevielfalt gibt es wahrscheinlich nur in China. Alles, was wächst und auch nur annähernd grün ist, wird gekocht und gegessen. Ich liebte die ausgezeichnete Hainan-Küche, die zu Recht zu den besten des Landes zählt. Und als positiver Nebeneffekt verschwanden alle meine mitteleuropäischen Verdauungsbeschwerden. Mein Innenleben lief wie am Schnürchen, was auch mein »Außenleben«