Spielen und Lernen verbinden - mit spielbasierten Lernumgebungen (E-Book). Cornelia Rüdisüli

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Название Spielen und Lernen verbinden - mit spielbasierten Lernumgebungen (E-Book)
Автор произведения Cornelia Rüdisüli
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783035518115



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die «Gestaltung anspruchsvoller, anregungsreicher, entwicklungs- und beziehungsförderlicher Umgebungen» (Stamm 2011, S. 145) gefordert, die von Erwachsenen auf ein Lernziel hin konstruiert und strukturiert werden (Toub et al. 2016, Massey 2013, Weisberg et al. 2016; Bergen 2018; Hauser 2016, Crowther 2012; Crowley, 2017).

      In der Literatur werden auch verschiedene Begriffe und Anforderungen für Spiel- und Lernumgebungen formuliert. So wird etwa von «high quality, sustaining playful learning environments» (Broadhead et al. 2010) oder vom «Bereitstellen von offenen Freiräumen mit Aufforderungscharakter» (Lohmann 2017), vom «enabling environment» (Meyer 2012), von «stimulating learning environments» (Siraj-Blatchford 2007), von «creating a supportive environment» (Gauntlett et al. 2013) oder von «instruktiven Lern- und Spielumgebungen» (Wood 2009) gesprochen. Die Rolle der Erwachsenen (seien es Eltern oder Lehrpersonen) bei den Spielangeboten wird dabei als zentral angesehen: «The adult’s role is to prepare the environment and use open ended prompting to encourage the child toward the learning goal, but children must navigate their own path through the learning context» (Weisberg et al. 2016, S. 178). Lehrpersonen sollen also «intentionally plan and scaffold» (Massey 2013) oder «adults provide material» (Whitebread et al. 2012; Fisher et al. 2011; Smith et al. 2013; Siraj-Blatchford 2007; Siraj-Blatchford et al. 2002). Erwachsene müssten dabei (bezogen auf das Freispiel) nach dem Bereitstellen und Gestalten von Freispiel-Umgebungen für den «teachable moment» bereit sein (Glauser et al. 2018).

      Über die Bedeutung von bewusst auf ein Lernziel hin gestaltete Spiel- und Lernumgebungen scheint man sich weitgehend einig zu sein. Dennoch fehlt es an konkreten Beschreibungen oder an Qualitätskriterien für Spiel- und Lernumgebungen. Das bedeutet, es mangelt an für die Praxis brauchbaren theoretischen Überlegungen zu Spiel- und Lernumgebungen. – Ansätze dazu findet man bei mathematischen Lernspielen, bei denen vier Kriterien für Spiel- und Lernumgebungen formuliert werden. Es sind dies: Ähnlichkeit, korrekte Sachlichkeit, Lehrplan- und Zukunftsrelevanz, Altergemässheit (Gasteiger et al. 2015). – Allgemein wird gefordert, dass Lerninhalte in das Spiel eingebaut werden müssten (Hassinger-Das et al. 2016). Insgesamt wird der Begriff der Lernumgebung (engl. learning environment) wenig spezifisch verwendet und ist nicht näher definiert. Grundsätzlich kann man darunter eine «Metapher für ein planvoll hergestelltes Arrangement, bestehend aus didaktischen, methodischen, materiellen und medialen Komponenten» verstehen (Wahl 2013, S. 37; auch Niggli 2013). Lernumgebungen sind – folgt man dem Lehrplan 21 – denn auch die zentralen Elemente eines guten Unterrichts: «Inhaltlich attraktive und methodisch durchdachte Aufgaben und Lernaufträge sind die zentralen fachdidaktischen Gestaltungselemente von Lernumgebungen und bilden damit das Rückgrat guten Unterrichts. Sie sind Quellen der Motivation und Ausgangspunkte für Schülerinnen und Schüler, sich auf fachliche Themen und Gegenstände einzulassen. Die Aufgaben werden auf die mit dem Unterricht verfolgten Zielsetzungen abgestimmt» (D-EDK 2016, Grundlagen, S. 27). Wenn Lernumgebungen letztlich «das Rückgrat guten Unterrichts» sind und wir sie spielerisch gestalten, entstehen «spielbasierte Lernumgebungen», die sowohl den Kriterien des Spielens als auch denjenigen des lernzielorientierten Lernens entsprechen − also Lernen und Spielen verbinden (Kübler 2018).

      Das Ringen um eine adäquate Definition von Spiel hat zu verschiedenen Kriterienlisten geführt, die bis zu 60 Merkmale aufführten, (Pellegrini et al. 2007; Crowley 2017). Auch unterschied man die Sicht der Erwachsenen auf das Spiel (kriteriengeleitet, beobachtbarer Zustand) von der Sicht der Kinder (Selbstwahrnehmung, innerer Zustand, Playfulness) (Howard 2002). Playfulness meint dabei als Fähigkeit, Bereitschaft und Freunde von Kindern sich auf das Spiel(en) einzulassen (Wustmann Seiler, 2019). Es ist bemerkenswert, dass schon Drei- bis Sechsjährige zwischen Spielen und Arbeiten differenzieren (können). Die entscheidenden Faktoren für die Kinder sind die Wahlfreiheit, die Autonomie und die Selbstkontrolle. Dies zeigt sich unter anderem, dass Kinder Tätigkeiten am Tisch und mit Erwachsenen weniger als Spiel empfinden. Trotzdem sind Erwachsene in der Regel willkommene Spielpartner und werden nicht selten von den Kindern zum gemeinsamen Spielen aufgefordert (Howard 2002). Unstrittig ist auch, dass Erwachsene kindliches Spielen und Lernen durch anregende Materialien und Spielimpulse stimulieren können, dürfen und sollen (Bradley et al. 2001; Siraj-Blatchford et al. 2002; Siraj-Blatchford 2007; Smith et al. 2013). Dass Erwachsene eine wichtige Rolle beim Spiel der Kinder einnehmen sollen, lässt sich durch verschiedene empirische Befunde der Lern- und Entwicklungspsychologie belegen.

      So wissen wir aus lernpsychologischen Befunden, dass mit vollkommen offenen Lernsettings eher ungünstige Lernergebnisse einhergehen. Alfieri et al. (2011) zeigten in einer Metaanalyse von 164 Studien auf, dass Instruktion bessere Ergebnisse zeitigt als unbegleitetes entdeckendes Lernen und das «unterstützte Entdecken» (enhanced discovery) und noch mehr das «geführte entdeckende Lernen» (guided discovery) wiederum der Instruktion überlegen sind. Erklärt werden diese Effekte mit den begrenzten metakognitiven Fähigkeiten und dem noch nicht vollständig entwickelten Arbeitsgedächtnis der Kinder. Ein Fehlen an sachlicher und didaktischer Struktur begrenzt die Effekte von selbstgesteuertem Spielen und Lernen (Alfieri et al. 2011, S. 2−11). Noch klarer formuliert Mayer in seiner Übersicht, dass reine Exploration ohne Hilfestellung eine «formula for educational disaster» – übersetzt eine «Formel für Bildungskatastrophe» – sei (Mayer 2004, S. 17). Die noch nicht genügend entwickelten metakognitiven Fähigkeiten und die noch beschränkten Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses sind insbesondere bei jüngeren Kindern in der Gestaltung von Lernsettings zu berücksichtigen. Der steile Anstieg der Arbeitsgedächtniskapazität zwischen 5 und 10 Jahren (Ullman et al. 2014) geht einher mit dem Übergang vom inzidentellen (zufälligen) zum systematischen Lernen (Duncker 2015). Gleichzeitig muss jedoch erwähnt werden, dass gerade Kinder im Alter zwischen 4 und 8 Jahren eine enorme Streuung in der Arbeitsgedächtniskapazität – etwa um den Faktor 7 – aufweisen. Die Arbeitsgedächtniskapazität ist zudem ein starker Prädiktor für spätere schulische Leistungen (Ullman et al. 2014). Nachweisbar ist, dass unter Spielbedingungen eine bessere Fokussierung, positivere Emotionen, erhöhte Metakognition und zielgerichtete Strategien festzustellen sind (Hauser et al. 2014; Hood et al. 2016; Weisberg et al. 2013; Kangas 2010; McInnes, Howard, Miles. & Crowley, 2011). Offenbar gelingt es Kindern unter spielerischen Bedingungen, sich auf eine Situation oder einen Gegenstand besser zu konzentrieren. Das ist angesichts der noch beschränkten Arbeitsgedächtniskapazität und der noch kleinen Wissensbasis zentral (Ullman et al. 2014; Stern 2009; Sodian 2008). Demnach wäre also nicht das spirlerische Arrangement an und für sich der Grund für die besseren Lernergebnisse, sondern die höhere Konzentration gepaart mit grösserer Motivation (Kangas 2010; Leuchter 2013; Stipek et al. 1995). Dies würde erklären, warum wir einen «lack of evidence» für den Zusammenhang zwischen Spielen und Lernen finden (McInnes et al. 2011). Dazu kommt, dass die Wissensbasis von jüngeren Kindern häufig in informellen Situationen erworben wird und längere Zeit intuitives Wissen bleibt, das in Gesprächen mit Kindern selten abgefragt werden kann (Baroody et al. 2005; Sodian 2008).

      Obige Befunde passen auch gut zur evolutionsbiologischen Erklärung kindlicher Entwicklung, nach der das Spiel in einer natürlichen Umgebung den Kindern Vorteile im Bereich späterer überlebensnotwendiger Fähigkeiten verschafft, zum Beispiel im Bereich der körperlichen Fitness und der motorischen Koordination (Bewegungsspiele), im Bereich der Kampf- und Dominanzfähigkeiten (Raufspiele) und im Bereich von sozialen und theoretischen Denkfähigkeiten (Phantasie- und kooperative Spiele) (Pellegrini et al. 1998). Spielen wäre demnach vor allem bei Arten verbreitet, die eine lange Reifezeit haben und in variablen und instabilen Umwelten leben und somit ein flexibles Verhaltensrepertoire benötigen. Durch das Spielen werden Tätigkeiten nachgeahmt, um potenzielle Lösungen auf ein noch nicht aufgetauchtes Problem vorzubereiten (Pellegrini et al. 2007). Diese biologisch primären Fähigkeiten («biologically primary skills») – so die Argumentation – würden durch das Freispiel natürlicherweise genügend gefördert, sofern ausreichend Zeit und Raum zur Verfügung steht. In einer modernen kulturellen und gestalteten Umwelt ist jedoch der Erwerb zusätzlicher Kulturtechniken und Fähigkeiten («biologically secondary skills») notwendig. Dafür benötigen Kinder Unterweisung und Instruktion. Das Freispiel ist also weniger effektiv, wenn es gilt, ein Lernziel zu erreichen. (Toub et al. 2016) (siehe Tabelle