Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft (E-Book). Dominik Helbling

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Название Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft (E-Book)
Автор произведения Dominik Helbling
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783035512076



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und unterschiedliche Akteursperspektiven müssen herangezogen und vernetzt werden, will man diesen Sachverhalt gründlich verstehen. Das bedeutet, dass a) fundiertes Wissen aus verschiedenen Wissensdomänen bzw. von unterschiedlichen Akteuren benötigt wird und b) diese unterschiedlichen Wissensbestände sinnvoll miteinander in Verbindung gebracht werden müssen, um zu einem vertieften Verständnis des Problems gelangen zu können. Im folgenden Abschnitt wird der Fokus deshalb auf die Variante «perspektivenübergreifender Unterricht» in NMG gelegt.

      Grundlagen und Chancen perspektivenübergreifenden Unterrichts in NMG

      Beziehen wir das Biotreibstoff-Beispiel auf den Unterricht in NMG, heisst dies, dass auf der Basis von fachlichem Wissen und Können aus verschiedenen fachlichen Perspektiven von NMG den Lernenden ein vernetztes, perspektivenübergreifendes Verständnis komplexer Phänomene und Sachverhalte unserer Welt ermöglicht werden soll. Ausgehend von der Definition Klaus Moeglings für fächerübergreifenden Unterricht kann perspektivenübergreifender Unterricht wie folgt umschrieben werden:

      Fächerübergreifender Unterricht [bzw. perspektivenübergreifender Unterricht] ist der didaktische Oberbegriff für alle Unterrichtsversuche, bei denen verschiedene Fachperspektiven [bzw. fachliche Perspektiven von NMG] systematisch zur Lösung eines Problems [bzw. einer übergeordneten Fragestellung] so miteinander vernetzt werden, dass ein thematisch-inhaltlicher Zusammenhang erkennbar wird, eine mehrperspektivische Analyse und Beurteilung gefördert werden und eine handlungsorientierte Problemlösung oder handlungsorientierte Problemlösungsalternativen aus verschiedenen Blickwinkeln heraus entwickelt werden können [...].[32]

      Es geht demnach darum, «die Leistungsfähigkeit des Fachlichen einschätzen zu lernen, auch in Verbindung damit dessen Grenzen zu erkunden und darüber hinaus das Fachliche zu überschreiten»[33].

      Didaktische Begründungen für perspektivenübergreifenden Unterricht

      Perspektivenübergreifender Unterricht als Mittel zum Verstehen der Welt lässt sich anhand unterschiedlicher didaktischer Blickwinkel begründen.[34]

      •Der entwicklungspsychologische Ansatz: Frühkindliches Denken ist schon rudimentär vernetzt, da es Sachverhalte (noch) nicht nach Fächern trennt. Ein perspektivenübergreifendes Vorgehen kann an dieses Denken anknüpfen und es im Sinne eines bewussteren und strukturierteren Denkens weiterentwickeln.

      •Der konstruktivistische Ansatz: Ein perspektivenübergreifender Unterricht unterstützt die Kompetenz der Schülerinnen und Schüler, verschiedene Perspektiven zu einem Gegenstand kennenzulernen, einzunehmen und zu vertreten (Wie wird beobachtet? Wer beobachtet? Mit welchen Absichten, Interessen?); es geht dabei um Rekonstruktion, Dekonstruktion und Konstruktion fachlicher Blickwinkel durch die Schülerinnen und Schüler. Durch die Beschäftigung mit exemplarischen und aktuellen Themen wird sowohl an das Vorwissen und die Fragen der Kinder als auch an das Wissen der Fachperspektiven von NMG angeknüpft.

      •Der bildungstheoretische Ansatz: Bildungsprozesse sind nicht auf Fachinhalte zu reduzieren (Klafki).[35] Sie sind Anregungen zur Entwicklung von Selbstkompetenz, Sachkompetenz, Mitbestimmungsfähigkeit und Fähigkeit zur Solidarität. Es geht um die Persönlichkeitsentwicklung zur Mündigkeit und um die Emanzipation von der Fremdbestimmung mittels selbstgesteuerten Lernens, um einen Beitrag zur Bewältigung der Schlüsselprobleme der Gegenwart und der Zukunft leisten zu können. Dies bedeutet, dass sich Bildung in Auseinandersetzung mit fächer- bzw. perspektivenübergreifenden Problemstellungen abspielen muss: «Diese komplexen Themen sind aus einem derart begriffenen Bildungsansatz heraus im Wechselspiel fachlicher Vorgehensweise und fächerübergreifender Mehrperspektivität so zu bearbeiten, dass die Schüler zunehmend zu Akteuren ihres Bildungsprozesses werden.»[36] Es geht um eine Ausweitung des Welthorizonts der Schüler und Schülerinnen, um eine «Komplexitätssteigerung im Sinne vernetzten Denkens»[37].

      •Der gestalttheoretische Ansatz: Hier geht es darum, den Teil und das Ganze zueinander in Bezug zu setzen (siehe unten den systemischen Ansatz). Ein Phänomen, ein Problem, das aus der fachlichen Perspektive heraus erkannt wird, erfordert in vielen Fällen eine vielperspektivische Problemlösung. Andererseits repräsentiert das Fachliche nur einen Teilaspekt des Ganzen – das Ganze ist mehr als die Addition seiner Teile.

      •Der systemische Ansatz: Alles ist miteinander vernetzt. Aufgrund der anstehenden komplexen Weltprobleme besteht deshalb die Notwendigkeit, systemisch, das heisst in Zusammenhängen, bzw. vernetzt zu denken – «Komplexität hängt mit Vernetzung zusammen und verlangt nach einem Denken in Zusammenhängen»[38].

      •Der lernpsychologische Ansatz: Wirklichkeit bildet sich im Subjekt nicht fachbezogen ab: «Fächer helfen unterscheiden, differenziert wahrzunehmen, aber begrenzen auch gleichzeitig die Weltsicht. Erst das Zusammenspiel von fachlichen und fächerübergreifenden Perspektiven ermöglicht eine optimale Handlungsfähigkeit des Subjekts. Vernetztes Denken ist mehr als die lehrerzentrierte Addition der Teile eines Ganzen. Erst durch den Bezug auf ein für die Schüler relevantes Problem kann eine vernetzte Sichtweise entstehen.»[39] Durch den Aufbau vernetzten Wissens (und die daraus folgende Chance, solches Wissen vermehrt in Handlungssituationen einsetzen zu können) können den Schülern und Schülerinnen zudem Erfolgserlebnisse verschafft werden, was wiederum ihre Lernmotivation verstärkt.

      •Der lernbiologische Ansatz: Lernen entsteht, wenn es zur Bildung und Vernetzung von Nervenzellen im Gehirn kommt.

      Perspektivenübergreifender Unterricht und Kompetenzorientierung

      Durch die Ausrichtung des Unterrichts auf die Entwicklung und Förderung von Kompetenzen stellt sich die Frage, welche Kompetenzen durch einen perspektivenübergreifenden Unterricht speziell entwickelt und gefördert werden. Veronica Boix Mansilla stellt in diesem Zusammenhang das «fächerübergreifende Verstehen» ins Zentrum ihrer Überlegungen:

      Fächerübergreifendes Verstehen ist die Fähigkeit, Wissen oder Denkweisen aus zwei oder mehreren Fächern bzw. Wissensgebieten so zusammenzuführen, dass daraus ein Erkenntnisfortschritt resultiert, der die Möglichkeiten eines Einzelfaches übersteigt. Dieser Erkenntnisfortschritt kann darin bestehen, dass ein Phänomen erklärt, ein Problem gelöst, ein Produkt geschaffen oder eine neue Frage aufgeworfen wird.[40]

      Vernetztes Denken und Verstehen ist in diesem Verständnis ein zielgerichteter Vorgang, der unter dem Einbezug verschiedener Fächer bzw. fachlicher Perspektiven einen Erkenntnisfortschritt anstrebt. Beim perspektivenübergreifenden Verstehen geht es um die Kompetenz, mit dem Fachwissen aus mehreren fachlichen Perspektiven eine überfachliche Fragestellung zu erschliessen und damit Wissen nicht bloss anzuhäufen, sondern es sich intelligent anzueignen und es anzuwenden. Es geht also um die Fähigkeit, kompetent mit Fachperspektiven umzugehen. Sich auf Klakfi beziehend, spricht Detlef Pech im Sinne eines integrativen Entwurfs von Bildung von der Notwendigkeit eines «Zusammenhangsdenkens». Für ihn stellt gerade «das Erschliessen von Zusammenhängen in und mit der Umwelt […] das bildungsrelevante Moment des Sachunterrichts»[41] dar.

      Die Kompetenz des fächer- bzw. perspektivenübergreifenden Verstehens lässt sich in drei Teilkompetenzen ausdifferenzieren:[42]

      •Fachkompetenz: Die Lernenden wenden fachliches Wissen und Können (Methoden) an.

      •Die Fähigkeit, die Fachperspektiven bzw. fachlichen Perspektiven zusammenzuführen: Die Lernenden sind in der Lage, durch Einbezug unterschiedlicher fachlicher Wissensbestände ein Phänomen oder eine übergeordnete Frage zu erklären und zu verstehen.

      •Die Reflexion dieses Vorgangs selbst: Die Lernenden besitzen die Fähigkeit, die Möglichkeiten und Grenzen einzelner Fächer in Bezug auf das zu untersuchende Phänomen bzw. in Bezug auf die Fragestellung zu erkennen und einzuschätzen.

      «Fachlicher Perspektivenwechsel», «vernetztes Denken» und «komplexes Handeln» bilden dabei zentrale überfachliche didaktische Unterrichtsprinzipien, welche die Grundlage bilden zur Bearbeitung gesellschaftlicher Konflikte und Probleme.[43] Der Lehrplan 21 für NMG seinerseits betont die perspektivenübergreifenden Ziele des Unterrichts mit dem Instrument der vier «Handlungsaspekte in der Begegnung und Auseinandersetzung mit der Welt in NMG»[44]: In allen fachlichen Perspektiven