LANDLÄUFIG. Peter Kiefer

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Название LANDLÄUFIG
Автор произведения Peter Kiefer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957658456



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eine Festung, sondern um ein Abenteuer des Glaubens.

      Anders gesagt, man wird auf uns schauen, man wird neugierig sein und sicher in größerer Zahl anreisen. Wer hat schon einmal die Gelegenheit, eine ländliche Kapelle in Afrika zu besuchen? Liebe Brüder und Schwestern, beachtet den lukrativen Eventcharakter, den das hat.

      Jetzt werden doch einige hellhörig. Korbinian Kropp, der vermeintliche Liebhaber der Bürgermeistersgattin, zum Beispiel. Er vermittelt Ferienaufenthalte in der Gegend und mit einer solchen Kapelle könnte er in seinen Prospekten sicherlich punkten. Helena – man begegnet ihr nur noch selten – lässt sich im Sarong zu ihrer verwaisten Wurstbude in der schwarzen Limousine ihres Liebhabers kutschieren. Sie will in Vorbereitung zu den Baumaßnahmen roast nyama nyama6 anbieten. Ihr Liebhaber Toketalagi, der von Gerüchten umrankte Südseediktator, wird ebenfalls kurz erscheinen und Autogramme verteilen. Außerdem, gibt Helena nebenbei kund, könne man sich durchaus vorstellen, später in dieser Kapelle zu heiraten.

      Die bevorstehende Hochzeit eines Prominenten ist eine Nachricht, die sich in Windeseile im Dorf verbreitet. Die harte Mehrheit bricht rasch zusammen, jetzt richtet man den Blick ganz auf Publicity und Abenteuer.

      Aber derlei Träume zerrinnen mit einem Mal. Niemand hat sich bislang mit den Tücken einer Baugenehmigung auseinandergesetzt. Nun aber schlägt sie mit voller bürokratischer Härte zu, weil Kuhdung kein zertifiziertes Material im Sinne der EU-Bauprodukteverordnung Nr. 305/2011 ist. Soviel dazu.

      Der mystische Widerstreit von Ewig- und Vergänglichkeit wird an einem typisch ländlichen Produkt sichtbar. Bei einem jungen, noch kinderlosen Ehepaar, ist nämlich ein seltsamer Disput ausgebrochen, nachdem

      Emil Knäbling

      der Mann, häufiger Eier aus der Tenne holt, ohne die Absicht zu haben, sie zu verkaufen oder zu verzehren.

      Konstanze, seine Frau, beobachtet nur, wie er sie mit einer Kanüle aussaugt, dann heißes Wasser, in das er einen Tropfen Spülmittel gegeben hat, einfüllt, schüttelt und das Wasser wieder absaugt. Man könnte vermuten, dass er gerade jetzt um die Osterzeit die Schalen bemalen möchte. Aber Konstanze hat ihn mit so etwas noch nie erlebt, ihr fiele außerdem niemand ein, dem er sie Lust hätte zu schenken. Im Haus werden die tauben Eier hinterher nicht mehr gesehen, dafür erhält Konstanze in einem fort Flüssigei und könnte ohne Ende Kuchen damit backen. Stattdessen ist sie gezwungen, es portionsweise einzufrieren, die Tiefkühltruhe ist mit geknautschten Beutelchen jedoch längst schon überfüllt. Weil Eiweiß und Dotter zuvor nicht geschieden worden sind, kann sie nicht einmal, was sie gerne täte, Eierlikör zubereiten.

      Ihrer Frage, was er mit den leeren Eierschalen denn nun mache, weicht Emil jedes Mal aus. Er sagt lediglich, dass er eine Sammlung anlegen würde.

      Du sammelst taube Eier?

      Früher, meint er, hat man Blumen zwischen Buchseiten gepresst, das war auch nichts anderes. Ich will lediglich das Ei von heute noch in zwanzig Jahren in seinem ursprünglichen Zustand betrachten können, verstehst du? Warum hat man wohl im alten Ägypten Tote mumifiziert?

      Konstanze kann Emils Logik nicht ganz folgen, sie sagt: Du sammelst Eier wie andere Bierkrüge oder Briefmarken. Warum tust du das? Unsere Hühner legen jeden Tag welche.

      Sie versteht noch weniger seine Antwort, wenn er sagt: Ich will dem organischen Verfall etwas entgegensetzen.

      Wie drückt er sich überhaupt neuerdings aus? Konstanze überlegt. Dem organischen Verfall – aber an den leeren Schalenhüllen verfällt doch gar nichts mehr, jedenfalls nicht so bald. Sie sagt ihm das.

      Emil sieht sie träumerisch an.

      Das stimmt, aber es geht dabei um die äußere Hülle, den schönen Schein. Davon leben wir doch alle ein gutes Stück weit.

      Konstanze streicht ihm in mütterlicher Ratlosigkeit übers schüttere Haar.

      Mag meine Haut im Lauf der Jahre immer runzliger werden, fährt er fort, die Eier behalten ihren glatten Teint.

      Sie fühlt mit ihm, wenn er, dessen Kopfform auffallend einem Ei gleicht, in seiner Kollektion glaubt, weiterleben zu können. Die Eier sind das Spiegelbild seiner ewigen Jugend.

      Ein Skelett wird von ihm übrig bleiben, ein Schädelknochen und der wird einstmals als krönender Abschluss in einer langen Reihe von leeren Eierschalen stehen. Archäologen werden kaum weniger rätseln, als es Konstanze tut.

      Heimspiel

      gegen Sparta 2000, den Tabellenführer und heißen Aufstiegsaspiranten, gegen den man sonst gar nicht angetreten wäre, weil eine 0:3-Niederlage auf dem Papier sich weit besser liest als ein zweistellig mieses Ergebnis, mit dem man rechnen müsste. Ein gewisser Hermann Stollbruch steht heute auf dem Berichtsbogen des FC. Hermann fällt durch seinen entschlossenen Blick und seine dynamisch nach vorn gebeugte Haltung auf, bei der man an ein grimmiges Huftier erinnert wird.

      Gleich nach dem Anstoß schnappt er sich den Ball und tankt sich an zwei Sparta-Verteidigern vorbei. Sein Schuss streicht jedoch knapp am rechten Torpfosten vorbei. Die fünf zahlenden Zuschauer aus dem Dorf klatschen aufmunternden Beifall, fragen sich natürlich auch, wo dieser Bursche plötzlich herkommt.

      Das 1:0 fällt erwartungsgemäß auf der anderen Seite. Ein leicht adipöser Verteidiger des FC lässt sich austanzen und unser Torhüter steht unzulässig weit vor seinem Kasten. Anschließend misslingt eine weite Flanke aus dem Anstoßkreis auf Hermann. Stattdessen fahren die Spartaner einen Konter: 2:0. Molka, der in einem fort am Spielfeldrand mit den Armen rudert oder mit ausgestreckten Fingern Zeichen gibt, die noch nie einer kapiert hat, kann sich nach dem bald erfolgten 3:0, einem bekloppten Eigentor, lediglich noch Hermann verständlich machen. Der rückt nun in die Verteidigung. Er zeigt auch gleich, wie es geht, und begeht ein zwar leichtes, aber leider auch taktisch inspiriertes Foul und das wird mit einer Gelben Karte bestraft. Macht nichts. Hermann zieht weiter die Fäden, bringt es zu einem doppelten Doppelpass mit Jungbauer Goltz, der sich kurz umschaut, ob’s auch alle gesehen haben, lässt wieder zwei Spartaner aussteigen und trifft dieses Mal satt ins obere rechte Eck. Der Jubel ist groß und die Jungs auf dem Platz tun das, was andere in dieser Situation immer tun, sie fallen über den Torschützen her, umarmen und küssen ihn. Hermann steckt es weg und der Club ist erst mal fünfundzwanzig Euro los. Bei Halbzeit steht es 1:3 gegen Viktoria.

      An sich betrachtet ist das kein schlechtes Ergebnis. Hermann entzieht sich der verständlichen Neugierde seiner Mitspieler, indem er am Spielfeldrand Dehnübungen macht. Ein vom Ehrgeiz Beseelter. Aber solange er Tore schießt …

      Das Spiel wird zur zweiten Halbzeit angepfiffen. Molka, der wieder hitzig auf seine Spieler eingeredet hat, steht vor seiner Trainerbank, die in diesem Fall nur ein simpler Biergartenstuhl ist, und fuchtelt herum. Hermann leitet jetzt artistisch einen Ball mit der Hacke weiter, ein Mitspieler nimmt ihn dankbar an, will zeigen, dass er nicht schlechter als Ballwuseler Hermann ist, bleibt aber prompt an der gegnerischen Abwehr hängen. Doch da ist erneut Hermann zur Stelle, erobert den Ball zurück und schlägt eine weite Flanke in Richtung Sparta-Strafraum. Zwei FC-Spieler recken die Hälse. Weil zu klein und sichtbar übergewichtig, erreichen sie das Spielgerät nicht wie erhofft mit dem Kopf. Aber auch der gegnerische Torwart fliegt darunter durch und der Ball landet für alle überraschend im Tor. Die paar erschienenen FC-Fans recken die Bierdosen in die Höhe und umarmen sich. Hermann kriegt wieder Küsse.

      Das 3:3 erzielt nicht Hermann, sondern der schon genannte Goltz, nach zwei Spielzeiten sein erstes Tor in der Liga! Hermann küsst jetzt zurück und die FC-Fans tanzen Sirtaki. Noch mal Hermann, der einen schwach geschossenen Eckball seiner Mannschaft so gerade noch erreicht, den herausgelaufenen Torwart umkurvt, nun alleine vor dem Tor steht, aber anstatt den Ball humorlos ins Drahtgehäuse zu hauen, erst noch auf seine Stirn lupft und dann einköpft. Eine Showeinlage, wie man sie auf diesem Platz noch nie erlebt hat, es ist der helle Wahnsinn. Aber Sparta, zornig und gefrustet, kommt noch einmal vor das FC-Gehäuse. Der Sparta-Mittelstürmer steht jetzt zwei Meter vor der Torlinie und muss nur noch einschieben, doch Hermann, immer wieder Hermann, rauscht von hinten