Название | Bildungswertschöpfung |
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Автор произведения | Walter Schöni |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783035507379 |
Die Expansion zeitigt ambivalente Folgen. Sie kann in Teilbereichen die berufliche Handlungskompetenz der Erwerbstätigen stärken. Zugleich festigt sie bei ihnen jedoch die Vorstellung, dass Probleme der Erwerbsarbeit, der wirtschaftlichen Entwicklung oder der sozialen Beziehungen sich ohne die Teilnahme an Lernveranstaltungen nicht lösen lassen; und dass alles nur eine Frage des passenden Lernangebots sei. Werden gesellschaftliche Problemlagen in dieser Weise »pädagogisiert«, wie die Bildungswissenschaftler K. A. Geißler und F. M. Orthey schon vor einigen Jahren diagnostizierten (1998, 33f.), birgt dies das Risiko, dass nur thematisiert wird, was sich mit pädagogischen Mitteln und marktgängigen Angeboten bearbeiten lässt.
2 Weiterbildungspolitik und Weiterbildungsmärkte
Die Veränderung von beruflichen Funktionen, Geschäftsprozessen und Arbeitsmarktstrukturen verlangt, dass erworbene Kompetenzen aktualisiert, erweitert und vertieft werden. Wie das Weiterbildungssystem auf den Bedarf reagiert und welche Angebote es bereitstellt, ist indessen nicht allein durch den Bedarf bestimmt. Zum einen kann, was als »Bedarf« gilt, selber Resultat der Einschätzung und Interpretation sein. Zum anderen reagiert das Weiterbildungssystem immer auf der Grundlage von bereits aufgebauten Angebotsstrukturen und Kapazitäten, von Geschäftskonzepten der Anbieter, von Marktdynamiken und Vorgaben der Bildungspolitik. Weiterbildung deckt folglich nicht einfach Bedarfe »im Dienste der Wirtschaft« oder »im Dienste der Lernenden«. Ihre Tätigkeit steht vielmehr im Spannungsfeld sich überlagernder Strukturen, Politiken und Akteursinteressen.
Dieses Kapitel untersucht die politischen Rahmenbedingungen und die Entwicklung der Weiterbildungsbranche. Wie verändert sich das Geschäft der berufsorientierten Weiterbildung, welche Angebotsstrukturen sind etabliert, wie werden die Weiterbildungsbranche und ihre Teilmärkte reguliert? Die Ausführungen nehmen Bezug auf die schweizerische Weiterbildungslandschaft. Ihre Begriffskategorien und Fragestellungen sind jedoch auch auf andere Länder und Bildungskontexte anwendbar, vor allem im deutschsprachigen Raum.
Kapitel 2.1 beginnt mit einem kurzen Abriss der Weiterbildungspolitik in der Schweiz. Der Fokus liegt auf der Entstehung der Erwachsenen- und Weiterbildung, auf den ordnungspolitischen Vorstellungen zur Weiterbildung und auf der Entwicklung ihrer institutionellen und gesetzlichen Grundlagen. Danach wird in Kapitel 2.2 dargelegt, welche Segmente bzw. Geschäftsfelder heute zur berufsorientierten Weiterbildung zu zählen und wie Marktvolumen und Branchentrends einzuschätzen sind. Kapitel 2.3 beschreibt Dynamiken der Angebotsexpansion und Angebotsdifferenzierung in den wichtigen Geschäftsfeldern der berufsorientierten Weiterbildung. Ziel der Analysen ist es, Trends der Weiterbildungspolitik und der Weiterbildungsmärkte zu identifizieren.
Auf dieser Basis fragt das 3. Kapitel nach der Wirksamkeit des Weiterbildungssystems: Inwieweit ist es in der Lage, angemessene Antworten auf die Veränderungen der Arbeitswelt zu geben, geforderte Kompetenzen zu stärken, kohärente Bildungswege aufzubauen und die Ungleichheit der Bildungschancen zu vermindern? Darauf folgt die Analyse der Wertschöpfung im Weiterbildungsgeschäft.
2.1 Weiterbildungspolitik in der Schweiz
In der Schweiz steht die Weiterbildung politisch-ideologisch in einer liberalen Tradition, sofern die über Jahrzehnte dominierende Verbindung aus bildungspolitischer Zurückhaltung und generalisiertem Marktvertrauen überhaupt eine Tradition begründen kann. Konstanten dieser Ideologie sind das »eigenverantwortliche Individuum« und der »freie Markt«, während dem Staat nur subsidiäre Aufgaben zukommen (Fischer 2014, 15; Weber & Tremel 2008, 3f.). Die Schwäche der staatlichen Steuerung bedeutet aber nicht, dass die Weiterbildung nur den Lernbedürfnissen und der Nachfrage in Wirtschaft und Gesellschaft folgen würde.
Ursprünge und Professionalisierungsschritte
Die Anfänge der Weiterbildung stehen unter expliziten politischen Vorzeichen. So geht die außerschulische »Erwachsenenbildung« auf die aufklärerische Initiative der politischen Arbeiterbewegung, der sozialreformerischen und konfessionellen Bewegungen im 19. Jahrhundert zurück (Furrer 2005). Ausgehend von diesen Entstehungskontexten, verläuft die weitere institutionelle Entwicklung der Erwachsenenbildung großenteils in getrennten Segmenten, was nicht nur für die Schweiz gilt (Nuissl 2011, 330f.). In den Kämpfen um soziale Gerechtigkeit, Bürgerrechte, Frauenrechte und eine Demokratisierung des politischen Systems übernimmt die Erwachsenenbildung Aufgaben der politischen Bildung für breite Bevölkerungsschichten. Substanzielle politische Mitbestimmung wird allerdings noch für längere Zeit verweigert, den Frauen sogar bis in die 1970er-Jahre.
Im 20. Jahrhundert konsolidiert sich die Erwachsenenbildung mit erweiterten Zwecksetzungen zunehmend als Domäne spezialisierter Bildungsorganisationen. Volkshochschulen, gemeinnützige Verbände, Gewerkschaften, Branchen- und Berufsorganisationen bauen ein Programmangebot auf, teils für ein breites Zielpublikum, teils speziell für Verbandsmitglieder. Zur politischen Bildung und Allgemeinbildung kommt nun auch die berufs- und arbeitsmarktbezogene Weiterbildung hinzu, also die Weiterentwicklung einmal erworbener beruflicher Grundqualifikationen (Schläfli & Sgier 2008, 15f.). »Arbeitsmarktfähigkeit« tritt damit programmatisch zunehmend an die Stelle der politischen und sozialen Emanzipation.
Erwachsenenbildnerische Tätigkeit erfährt einen Professionalisierungsschub. Für die Qualifizierung der Ausbildenden entstehen Ausbildungsgänge, zunächst in einzelnen Professionen, dann im Berufsbildungssystem. Die Erforschung der Erwachsenenbildung etabliert sich als Teildisziplin der Erziehungs- und Bildungswissenschaften in der akademischen Lehre und Forschung. Daraus entstehen Standards für die Praxis der Erwachsenenbildung, die über einzelne Segmente hinaus Geltung erhalten. Im Zuge dieser Konsolidierung wird Erwachsenen- und Weiterbildung von kommerziellen Anbietern, auch von international agierenden, als Geschäftsfeld entdeckt. Aus den unterschiedlichen Entwicklungssträngen entsteht die heutige ausgedehnte und fragmentierte Weiterbildungslandschaft aus privaten, gemeinnützigen und staatlichen Bildungsträgern (Furrer 2005).
Traditionen: Marktliberalismus, Korporatismus, schwache Regulierung
Der Weiterbildungsmarkt ist heute durch langfristig aufgebaute Anbieterstrukturen und korporatistische Interessenverbünde geprägt. Diese entsprechen dem bürgerlichen, auch in weiterbildungspolitischen Diskursen stets hochgehaltenen Idealmodell des »freien« Marktes nur sehr bedingt. Sie werden aber als »Kräfte der Selbstorganisation« und des »Marktes« positiv gewertet und liefern über Jahrzehnte die ideologische Rechtfertigung dafür, dass die politische und gesetzliche Regulierung der Weiterbildung dem Grundsatz der Subsidiarität folgt, also kaum in Erscheinung tritt. Der schweizerische Bundesstaat übernimmt bis in die 1970er-Jahre kaum Aufgaben der zentralen Koordination. Er steuert die Weiterbildung nur in den ihm vom Gesetz zugewiesenen hoheitlichen Handlungsfeldern – so in der Berufsbildung, in der Arbeitssicherheit, im Umweltschutz oder Verkehr. Im Übrigen bestehen föderalistisch abgestufte und disparat ausgelegte gesetzliche Zuständigkeiten auf den nationalen und kantonalen Ebenen (Fischer 2014, 15f.).
Doch auch die Kantone nehmen ihre regulative Tätigkeit recht spät auf, etwa mit der Schaffung kantonaler Weiterbildungsgesetze in den 1990er-Jahren. Sie gestalten ihre Rolle in der Weiterbildung überdies sehr unterschiedlich. Koordinative Aufgaben liegen in der Regel bei den Fachkommissionen und paritätischen Gremien der Wirtschaftssektoren und Berufsfelder. Konglomerate von Anbietern, Verbänden und Branchenorganisationen bestimmen insgesamt die Entwicklung der Weiterbildungsbranche.
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