Berufsabschluss für Erwachsene in der Schweiz. Markus Mäurer

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Название Berufsabschluss für Erwachsene in der Schweiz
Автор произведения Markus Mäurer
Жанр Учебная литература
Серия hep praxis
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783035503548



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recht verbreiteter) Bemühungen und Programme, unter anderem, weil sie anderen Rechtsnormen unterstehen.

      Wir verwenden die Umschreibung «geringqualifiziert», wie dies in der Literatur üblich ist. Dabei verkennen wir nicht, dass Betroffene oft über grosse Lebens- und auch Arbeitserfahrung verfügen. Oft fehlt es auch nicht an den beruflichen Kompetenzen, was fehlt, ist lediglich der Abschluss, weshalb Betroffene in den Statistiken oft als Personen ohne nachobligatorischen Abschluss bezeichnet werden.

      Zu der von uns betrachteten Gruppe gehören auch Berufswechsler (Quereinsteiger), wenn das Fehlen eines zeitgemässen Berufsabschlusses sie daran hindert, längerfristig am Erwerbsleben teilzuhaben.

      2.2.1 Grosse Unterschiede innerhalb dieser Gruppe

      Die Personen, um die es geht, unterscheiden sich in vielen Belangen erheblich. Wir beschreiben im Folgenden die wichtigsten Unterschiede und typisieren sieben verschiedene Gruppen.

      Bereits erworbene Kompetenzen

      Beruflich geringqualifizierte Erwachsene in der Berufsbildung unterscheiden sich bezüglich der berufsspezifischen Fachkompetenzen, die sie im Laufe ihres Lebens bereits erworben haben. Einige arbeiten schon lange in einem bestimmten Berufsfeld und haben sich dabei viel von dem angeeignet, was in einer einschlägigen beruflichen Grundbildung vermittelt wird. Was ihnen vor allem fehlt, ist die Anerkennung ihres Könnens und ein entsprechender Ausweis. Bei anderen geht es hingegen darum, die vorgeschriebenen Fachkompetenzen noch zu erwerben.

      Markante Unterschiede zeigen sich auch bei den überfachlichen Kompetenzen. In der Schweizer Berufsbildung spricht man heute von Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen, wobei zu den Sozialkompetenzen auch die Kommunikationsfähigkeit gezählt wird.[4] Die einen haben viele Jahre eine mehr oder weniger anspruchsvolle Arbeit ausgeübt und dabei Arbeitstugenden (in schweizerischer Ausprägung) und andere überfachliche Kompetenzen erworben. Anderen fehlen solche Kompetenzen weitgehend, beispielsweise, weil sie in einer andern Kultur aufgewachsen sind, aus ungünstigen Familienverhältnissen stammen, viele Jahre lang mit einer Sucht oder einer Krankheit gekämpft haben oder weil sie in Flüchtlingslagern oder Asylunterkünften lebten.

      Grosse Unterschiede bestehen letztlich im Bereich der Allgemeinbildung. Viele Berufswechsler haben bereits in einer früheren Berufslehre den allgemeinbildenden Unterricht (ABU) besucht. Andere sind eingewandert und wissen erst wenig über die schweizerische Gesellschaft. Die einen verfügen über die vorausgesetzten Grundkompetenzen (Lokalsprache, Mathematik, Informationstechnik), anderen fehlen beispielsweise die Sprachkompetenzen, die für einen Berufsabschluss erwartet werden.

      Lebenssituation

      Am leichtesten fällt eine Berufsausbildung dann, wenn jemand nur für sich selbst sorgen muss, vielleicht noch – oder wieder – im Elternhaus wohnt und über ausreichend Mittel verfügt, um seinen Lebensunterhalt und die Ausbildungskosten zu bestreiten. Erwachsene müssen jedoch neben der Ausbildung häufig eine Familie ernähren oder Familienangehörige betreuen. Die Nähe zur Familie (Eltern, aber auch Ehepartner) kann indessen auch eine Quelle finanzieller Unterstützung sein.

      Entscheidend ist weiter der Wohnort: Es kann den Alltag stark belasten, wenn die besuchten Bildungseinrichtungen – Lehrbetrieb, Berufsfachschule usw. – schwer zu erreichen sind. Kommt noch eine physische oder psychische Schwächung hinzu (z. B. als Folge einer früheren Krankheit oder traumatischer Erlebnisse), kann die Belastung leicht die Ressourcen erwachsener Lernender übersteigen.

      Motive

      Erwachsene, die einen Beruf erlernen, erhoffen sich davon eine Verbesserung ihrer Situation oder mindestens deren Stabilisierung. Im Einzelnen, so zeigen unsere Befragungen, können mit der Aufnahme einer Ausbildung sehr verschiedene Motive verbunden sein (→ Tabelle 2-1).

Äussere LebensumständeKrankheit, Unfall, eine Allergie oder Veränderungen am Arbeitsmarkt zwingen zu einem Berufswechsel.
Sicherheit Vielen erwachsenen Lernenden ist bewusst, dass ein fehlender Berufsabschluss das Risiko erhöht, immer wieder stellenlos und/oder von Sozialhilfe abhängig zu werden.
VerdienstVom Erwerb eines anerkannten Abschlusses wird ein deutlich höheres Einkommen erwartet.
AnsehenMan will sich selbst oder der Umwelt beweisen, dass man in der Lage ist, einen Berufsabschluss zu erwerben.
Berufliches FortkommenEin eidgenössisches Fähigkeitszeugnis ist oft eine Voraussetzung, wenn man sich um ein Kadertätigkeit bemüht oder in eine Ausbildung auf Tertiärstufe einsteigen will.
Erfüllende, sinnvolle TätigkeitEs wird nach einer Tätigkeit gesucht, die mehr innere Befriedigung verspricht.

      Typisierte Gruppen von Erwachsenen

      Unter Berücksichtigung der beschriebenen Faktoren, der Anforderungen an die Ausbildung und der heutigen Praxis schlagen wir die folgende Gruppierung der Adressaten von beruflicher Bildung für Erwachsene vor:

      •Personen mit wenig Berufserfahrung: Personen, die noch nie oder seit längerer Zeit nicht mehr regelmässig gearbeitet haben und die von der Sozialhilfe aufgefordert (und unterstützt) werden, im ersten Arbeitsmarkt Fuss zu fassen, ferner immigrierte Personen ohne Abschluss und ohne Arbeitserfahrung in einer mit der Schweiz vergleichbaren Arbeitswelt.

      •Personen ohne einschlägige Fachkompetenzen: Personen, die aus langjähriger Berufstätigkeit zwar über personale und soziale, nicht jedoch über spezifische Fachkompetenzen verfügen.

      •Personen mit ausländischen Abschlüssen: Immigrierte Personen mit guter Ausbildung in ihrer Heimat, die keine ihrer Ausbildung entsprechende Arbeit finden, weil ihre Ausbildung schweizerischen Verhältnissen nicht entspricht und/oder in der Schweiz nicht anerkannt ist.

      •Personen mit einschlägigen Fachkompetenzen: Personen mit langjähriger Erfahrung in einem Berufsfeld ohne Abschluss (früher «Angelernte» genannt), die sich in ihrer gegenwärtigen Tätigkeit weiterentwickeln und dazu einen Abschluss erwerben wollen.

      •Berufswechslerinnen und Berufswechsler (Quereinsteiger): Personen, in der Regel mit einem Erstabschluss der beruflichen Grundbildung und in fester Anstellung, die einen neuen Beruf erlernen wollen.

      •Wiedereinsteigerinnen und Wiedereinsteiger: Personen, die nach langem Unterbruch, insbesondere nach einer Familienphase, wieder ins Arbeitsleben einsteigen wollen, mehrheitlich im gleichen Berufsfeld.

      •Personen in Umschulung: Personen, die sich aus gesundheitlichen Gründen oder infolge Umschichtungen im Arbeitsmarkt gezwungen sind, einen neuen Beruf zu erlernen, und dabei in der Regel mit Leistungen aus einer Sozialversicherung unterstützt werden.

      Eine Ausbildung in der Schule, in einem Betrieb oder an einem anderen Lernort erzeugt nur dann Wirkung, wenn sie sich inhaltlich und methodisch an der Zielgruppe orientiert.

      Oft wird argumentiert, dass sich Erwachsene als Zielgruppe der Berufsbildung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen (18 bis 25 Jahre) nicht derart unterscheiden, dass es eine spezielle Didaktik für Erwachsene brauchen würde. Wir schliessen uns dieser Argumentation im Grundsatz an.

      Dennoch soll Unterricht (wie alle Ausbildungsprozesse), der sich an Erwachsene richtet, einige Punkte besonders beachten:

      •Erwachsene über 25 Jahre verfügen über mehr Lebenserfahrung als Jugendliche und junge Erwachsene. Vor diesem Hintergrund können sie besser beurteilen, was für sie wichtig ist und was nicht. Dass die Lerninhalte für Arbeitsalltag und Privatleben relevant sind, ist bei Erwachsenen noch wichtiger als sonst schon in der Berufsbildung (Dinkelaker & Kraus, 2012, S. 4).

      •Das Lernen