Название | Das Kind, das die Welt verändert hat |
---|---|
Автор произведения | Erich Jooß |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783429062002 |
Er hatte den Satz nicht mehr vollendet. Stattdessen war er hinter den Fremden hergestolpert, mit verschlossenen Ohren, damit ihn die Schimpftiraden des Wirtes nicht mehr erreichten. „So wartet doch ! Ich kenne einen Ort, an dem ihr geschützt seid“, rief er. Seine dünne Stimme trug nicht sehr weit. Trotzdem blieb der Esel ruckartig stehen. Die Frau auf seinem Rücken drehte sich um. „Geschützt ?“, fragte sie. Es klang, als bräuchte sie überhaupt keinen Schutz. Als würde jemand seine Hand über das ungeborene Kind halten …
Aaron verbarg seine Verwunderung. Wahrscheinlich ist die Frau so abweisend, weil sie nicht zum ersten Mal mit bösen Worten fortgeschickt wurde, dachte er. Jeder Mensch verkraftet nur ein bestimmtes Maß an Enttäuschungen. Er versuchte ein Lächeln hinter seinem verwilderten Bart, dann musste er plötzlich husten.
„Wo ist dieser Ort ?“, erkundigte sich die Frau immer noch zögernd, während ihr Mann dem Knecht prüfend ins Gesicht sah. Noch bevor Aaron zu einer Erklärung ansetzen konnte, nickte der Fremde und ließ ihm den Vortritt. Wortlos folgte das Paar dem Alten hügelaufwärts. Es regnete unaufhörlich. Der Weg zwischen den Schafpferchen stand schon voller Wasser. Hastig setzte der Esel einen Huf vor den anderen. Vielleicht ahnte er, dass das Kind im Bauch der Frau immer ungeduldiger wurde.
So gingen sie in die beginnende Dunkelheit hinein. Der Knecht machte ein paar linkische Versuche, die Stille zu unterbrechen. Aber das Paar war viel zu erschöpft, um darauf zu antworten. Nach einer Ewigkeit, so schien es Aaron, kamen sie bei der Höhle an. Ihr Eingang lag verborgen hinter Gestrüpp. Aaron bog die Dornenzweige zur Seite. Was machte es schon aus, dass seine Hände zu bluten begannen ! Die Risse in der Haut schmerzten lange nicht so wie das Gefühl, dass er nur unzureichend helfen konnte.
Er hatte die schwangere Frau und ihren Mann hierher geführt, obwohl die Höhle höchstens als Unterschlupf für die Schafherden taugte. Sie roch modrig, roch nach der faulenden Nässe, die in ihren Wänden hockte. Verlegen zog Aaron einen angerosteten Wasserkessel aus dem Stroh. Dann suchte er ein paar Zweige zusammen und schichtete sie über der Feuerstelle aufeinander. Er hatte eine Hirtenlampe mitgebracht, deren flackerndes Licht die Höhle notdürftig ausleuchtete. Wenn Aaron sich bewegte, folgte ihm ständig sein Schatten. Eifrig liefen Aaron und der Schatten hin und her, als könnten sie noch etwas richten, vielleicht sogar in Ordnung bringen in dieser unordentlichen, heillosen Welt. Aber sie vermochten es nicht …
Sobald der Knecht seine Hilflosigkeit erkannte, nahm er Abschied von dem Paar. Der Esel, der mager und zäh aussah, streckte sich auf dem Stroh. Er schnaubte leise, dann zerbiss er ein paar der trockenen Halme zwischen den Zähnen. Trotz ihrer Schmerzen bedankte sich die Frau mit einem Lächeln bei Aaron. Die Nacht würde kalt werden, doch in der verwinkelten Höhle herrschte eine gleichmäßig feuchte Schwüle. Hoch oben, unter der Decke, hingen ein paar Fledermäuse und rührten sich nicht.
Aaron stolperte heimwärts in den Ort, der sich Betlehem nannte und aus dem er nur ein einziges Mal in seinem Leben herausgekommen war. Er dachte an die Frau, er machte sich Vorwürfe. Warum hatte er sich nicht aufgelehnt gegen Josias, den herrschsüchtigen Wirt, und dem fremden Paar seinen eigenen Schlafplatz angeboten ? Stattdessen musste es jetzt mit einer Höhle vorlieb nehmen. Was nützte es den beiden, dass er ein paar Kupfermünzen auf den Rand der Futterkrippe gelegt hatte ? Wie ein Sünder, der sich vor der Entdeckung fürchtete, so heimlich hatte er das getan …
Aaron musste schon wieder husten. Ein Rasseln kam tief aus seiner Brust und schüttelte ihn. Noch immer lehnte er an der Wand, deren grobes Mauerwerk durch seinen dünnen Umhang stach. Doch das spürte er schon nicht mehr. Denn jetzt warf ihn ein Schmerz herum, der furchtbarer war als alles, was er bis dahin gekannt hatte. Er fasste sich ans Herz, schrie nach Hilfe. Aber kein Wort, nur ein ersticktes Gurgeln kam aus seiner Kehle, und niemand zeigte sich in der nachtdunklen Gasse.
Da sackte er zusammen, blieb reglos liegen. Obwohl er die Augen nicht mehr öffnen konnte, sah er deutlich den Himmel über sich. Ein strahlendes, weißes Licht fuhr zwischen die Sterne, und das Licht sprach mit einer Stimme, die Aaron nie zuvor vernommen hatte. Gleichzeitig drangen Flöten und Zimbeln an sein Ohr, der warme, brausende Klang von Harfen. Das Kind in der Höhle ist geboren, dachte er und wusste nicht, weshalb er das dachte.
Plötzlich saßen überall auf den Mauern und Dächern von Betlehem Flügelwesen – Geschöpfe wie der Wind. Sie wirbelten durch die Luft, sie hoben Aaron auf und trugen ihn fort.
„Träume ich ? Oder ist das eine besondere Nacht ?“, flüsterte der Knecht. Nur die Engel hörten seine Stimme.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.