Zivilstand Musiker. Группа авторов

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Название Zivilstand Musiker
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Жанр Философия
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Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783039199532



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gesehen, wofür die Schaffung der Eidgenössischen Fremdenpolizei 1917 steht, sondern ebenso in vermehrten Einbürgerungen. Virulenz gewann ein negatives Ausländerbild durch die spezifische Verbindung mit Antikommunismus (dem Verdacht sowjetischer Agitation) und allenfalls auch Antisemitismus.20 Revolutionären Umtrieben sollte ein verstärkter Staatsschutz entgegenwirken. Die betreffende Strafrechtsrevision, die «Lex Häberlin», scheiterte aber 1922 in einer eidgenössischen Abstimmung. Gleichzeitig wurden zwei ausländerfeindliche Initiativen aus Kreisen des Vaterländischen Verbands massiv verworfen. Die kantonalzüricherischen Stimmberechtigten sagten 1923 knapp Ja zur Forderung einer Initiative, den Ausländern (in fragwürdiger Analogie zum Militärpflichtersatz) eine Sondersteuer aufzuerlegen. Die zur Umsetzung des Beschlusses nötige Verfassungsänderung wurde aber 1927 verworfen.21

      Vom «sozialen Galopp»zum Bürgerblock

      Der Bundesrat ging nach dem Landesstreik auf einige Reformanliegen ein. Schon auf Anfang 1920 wurde im Industriesektor die 48-Stunden-Woche gesetzlich eingeführt. Mitte 1919 legte die Landesregierung dem Parlament einen Verfassungsartikel über die Alters- und die Invalidenversicherung vor. Nach dem «sozialen Galopp» kam dieses Projekt aber nur sehr mühsam voran. Hatte der Bundesrat in der Krisensitzung des Parlaments 1918 eine Beteiligung der Sozialdemokratischen Partei (SP) an der Regierung und allenfalls deren Vergrösserung auf neun Mitglieder befürwortet, war von solchen Schritten bald nicht mehr die Rede. Im Gegenteil: 1919/20 erhielten die Konservativen einen zweiten Sitz, und gewählt wurde, als Nachfolger des Liberalen Gustave Ador aus Genf, der Freiburger Jean-Marie Musy, der sich nach dem Landesstreik besonders unversöhnlich exponiert hatte.

      Schwankungen wie in der Bundespolitik sind auch bei den Zürcher Freisinnigen festzustellen.22 Im Mai 1919 stellte die kantonale Partei ein neues Programm auf und forderte – gegen den Widerstand von Gewerbe- und Industrievertretern – unter anderem eine staatliche Altersversicherung, die Förderung des Wohnungsbaus, eine Steuerreform und das Frauenstimmrecht. Schon nach den Nationalratswahlen des gleichen Jahres begann sie, wieder von anderen Kräften dominiert, von diesen Positionen abzurücken. Sie setzte auf die Wirkung einer starken Wirtschaft und wollte die staatliche Sozialpolitik auf Notsituationen beschränken. Insgesamt ergab sich eine eher defensive Politik.

      Die Konstellation hatte sich in verschiedener Hinsicht geändert. Der Wechsel vom Majorz- zum Proporzwahlsystem (1916/17 im Kanton Zürich, 1918/19 auf Bundesebene) schwächte den bis anhin dominierenden Freisinn im Parlament ganz erheblich. Hinzu kam als neuer Faktor auf der rechten Seite die Bauernpartei.23 Die 1917 innerhalb des Landwirtschaftlichen Kantonalvereins gegründete Organisation diente als Interessenvertretung eines Teils der Wirtschaft und der Bevölkerung, der sich im Krieg seiner Bedeutung für die Landesversorgung bewusst geworden war, sich aber Sorgen um seine Zukunft in der Industriegesellschaft machte. Politisch sahen sich die Bauern speziell innerhalb der Freisinnigen Partei (FP) zurückgesetzt. Die Bauernpartei (1951 BGB, seit 1971 SVP) hatte auch einen allgemein konservativen Zug, indem sie gegen Bolschewismus, Überindustrialisierung, Überfremdung und grossstädtische Lebensweise ankämpfen wollte. 1919 errang sie auf Anhieb eine starke Position im Kantonsrat24 und einen Sitz in der Regierung, im folgenden Jahr kam ein zweiter Vertreter in der Exekutive hinzu.

      Der doppelte Machtverlust des Freisinns wurde durch die bürgerliche Blockbildung mehr oder weniger kompensiert, zumal da auf Bundesebene auch die Konservativen, die einstigen Gegner, in der Allianz waren. Im Kanton Zürich spielte die damalige Christlichsoziale Partei25 eine weit geringere Rolle, obschon der Anteil der Katholiken an der Bevölkerung 1920 fast 21 Prozent (wovon gut ein Drittel Ausländer war) erreichte.

      Gleichzeitig liess der unmittelbare Druck der Linken etwas nach. Die Entwicklungen in Deutschland und das Ende der Räterepublik in Ungarn dürften Revolutionserwartungen gedämpft haben. Ein allgemeiner Streik, zu dem die Arbeiterunionen Basel und Zürich im August 1919 aufriefen, scheiterte rasch unter dem Druck eines erneuten Truppeneinsatzes, bei dem vier Personen getötet wurden.26 Die SP konnte zwar dank Proporzverfahren ihre parlamentarische Position verbessern, blieb aber klar in der Minderheit und weitgehend isoliert. Hinzu kam die interne Auseinandersetzung um den Beitritt zur Dritten oder Kommunistischen Internationale. Die Mitglieder beschlossen 1919 und 1921 in Urabstimmungen, der Parteienorganisation nicht, beziehungsweise nicht zu Lenins Bedingungen, beizutreten, worauf sich die Minderheit als Kommunistische Partei (KP) abspaltete. In ihrem Programm von 1920 hielt die SP allerdings am Weg der «Diktatur des Proletariats» fest und bestärkte damit eine bürgerliche Abwehrhaltung.

      Die Blockbildung machte die Lage der Parteien im Bereich zwischen den Polen schwieriger. Die einst mächtigen Demokraten hatten nach dem Verlust des bäuerlichen Flügels vor allem noch in der wachsenden Angestelltenschaft eine Basis. Der reformerisch-linke Grütliverein verlor rascher an Bedeutung und löste sich 1925 auf, mit der Empfehlung an die Sektionen, sich der SP anzuschliessen.

      Das «Reformfenster» nach dem Krieg war auch für die politische Gleichberechtigung der Frau kurze Zeit offen. Der Zürcher Kantonsrat unterstützte eine Initiative von 75 seiner Mitglieder für das Frauenstimmrecht, doch erreichte diese 1920 nur einen Stimmenanteil von zwanzig Prozent (27% im heutigen Bezirk Zürich, 4% im Bezirk Dielsdorf).27 Schon 1911 war im Kanton die Verfassungsgrundlage für die gesetzliche Einführung des Frauenwahlrechts für bestimmte Behörden geschaffen worden. Sogar einzelne Schritte wurden aber vom Volk blockiert.

      Schwache Basis für den Völkerbund

      Aussenpolitisch erlebte die Schweiz ebenfalls eine Phase des Aufbruchs. Die von der Völkerbundsidee ausgehenden Hoffnungen auf eine neue Zeit hatten weite Kreise erfasst. Der Bundesrat strebte nach einer Beteiligung an dieser Friedensordnung und handelte Sonderbedingungen aus, wonach sich der neutrale Staat nur an wirtschaftlichen, nicht aber an militärischen Sanktionen zu beteiligen hatte. Noch vor der Volksabstimmung allerdings wurden hohe Erwartungen enttäuscht, indem die Mitgliedschaft der USA im Senat nicht die nötige Mehrheit fand. In der Schweiz stiess der Beitritt auf eine gegensätzliche Opposition: Auf der Linken weckte der Völkerbund Argwohn, weil Sowjetrussland fernbleiben musste, in deutschfreundlichen Kreisen analog, weil das besiegte Reich ausgeschlossen war. Die bürgerlichen Parteien sagten Ja, auch die Zürcher Bauern, da es (bezogen auf die Schweiz und die Friedensordnung) unwürdig wäre, «wenn wir dort ernten wollten, wo wir nicht gesät haben».28 Nach einem heftigen Abstimmungskampf29 ergaben sich ein deutliches Volks- und ein knappes Ständemehr. In Kanton und Stadt Zürich überwog die Ablehnung.

      Nach ihrer Abstimmungsniederlage blieben germanophile Kräfte aktiv.30 Ihr publizistisches Instrument waren die Schweizerischen Monatshefte (1921), als politische Organisation wurde im gleichen Jahr der Volksbund für die Unabhängigkeit der Schweiz gegründet, und dem kulturellen Anliegen widmete sich der (ältere) Deutschschweizerische Sprachverein, der sich nicht nur um die Dialekte kümmerte, sondern durch den Versailler Vertrag das ganze Deutschtum in seiner Existenz bedroht sah. Zu den oft mehrfach Beteiligten gehörten der Obergerichtspräsident Theodor Bertheau, der spätere Frontist Hans Oehler, Oberst Fritz Rieter, der frühere Generalstabschef Theophil Sprecher und Pfarrer Eduard Blocher. Offenbar aus solchen reichsfreundlichen Kreisen um Blocher und den «Kriegstheologen» Adolf Bolliger wurde gegen den westlich orientierten Historiker und Redaktor der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) Eduard Fueter eine Diffamierungskampagne geführt, die 1921/22 den Abbruch von dessen vielversprechender Laufbahn erzwang.31 Ulrich Wille, Sohn des Generals, pflegte Beziehungen zu deutschnationalen und zu nationalsozialistischen Politikern; in seinem Haus hielt Adolf Hitler im August 1923 eine Rede, um finanzielle Gönner zu gewinnen.32

      Von der Austerität zum Aufschwung der Stadt

      Viele soziale und auch weltanschauliche Gegensätze, die sich damals in der Schweiz und im Kanton manifestierten, hatten ihren Brennpunkt in der Stadt Zürich. Zugleich bildete diese als Zentrum der – immer wieder kontroversen – Modernisierung einen Gegenpol zum Land.

      Durch den Zusammenschluss mit elf Nachbargemeinden war Zürich 1893 von 28 000 auf 120 000 Einwohner gewachsen. 1912 erreichte die Zahl vor allem durch weiteren Zuzug in die