Ready to Eat. Eva von Wyl

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Название Ready to Eat
Автор произведения Eva von Wyl
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783039199037



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Gegenstand von «Ready to Eat». Stattdessen orientiert sich die Studie an modernen, industriell verarbeiteten Nahrungsmitteln und national agierenden Nahrungsmittelunternehmen, die tendenziell sogar eher in Richtung einer Harmonisierung der Essgewohnheiten in der Schweiz wirkten. Auf Basis von Massenproduktion und verkaufsfördernden Massnahmen wie Werbung und Marketing zielte die Nahrungsmittelindustrie darauf hin, einen möglichst grossen, überregionalen Markt anzusprechen, und generierte damit neue, überregionale oder gar globale Ess- und Trinkgewohnheiten.

      Die Basis für die Untersuchung bildet die Vorstellung, dass sich die Essgewohnheiten in der Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg parallel zur Entstehung der modernen Massenkonsumgesellschaft grundlegend verändert haben und dass die USA dabei eine zentrale Rolle spielten. Die neue Wirtschaftsmacht USA und der American way of life stellten, so die These, einerseits ein wichtiges Leitbild für die hiesige Wirtschaft und Gesellschaft dar, andererseits waren die USA ihrerseits während des Kalten Kriegs bestrebt, auf die europäischen Länder und deren Wirtschaft und Kultur gezielt Einfluss zu nehmen. Ziel ist, herauszuarbeiten, welche Rolle die amerikanische Wirtschaft, Lebensweise und Esskultur bei der Etablierung neuer Essgewohnheiten und Konsummuster in der Schweiz spielten. Oder anders ausgedrückt: Inwiefern wurden der American way of life und der dazugehörige Ernährungsstil zu einem Leitbild für die Essgewohnheiten in der Schweiz? Wie und auf welchem Weg wurden amerikanische Essgewohnheiten übernommen und gegebenenfalls an die eigenen Bedürfnisse angepasst? Wurden die hiesigen Essgewohnheiten tatsächlich «amerikanisiert»? Oder handelte es sich nicht viel eher um eine «Verschweizerung» amerikanischer Gewohnheiten? Welche Rolle spielten amerikanische Firmen bei der Einführung amerikanischer Konsummuster und Nahrungsmittel? Und welchen Anteil hatten Schweizer Unternehmen bei der Etablierung neuer Essgewohnheiten?

      Um diese Fragen zu beantworten, habe ich fünf Sphären des amerikanischen Einflusses definiert, die entlang der industriellen Nahrungsmittelkette verlaufen: die Lebensmittelindustrie, die Werbung und Vermarktung, der Lebensmittelhandel, die Zubereitung und die Essgewohnheiten im engsten Sinn. Abbildung 2 zeigt die fünf Sphären als Modell. Die Darstellung dient in erster Linie dazu, die Vielschichtigkeit des amerikanischen Einflusses abzubilden.

      Die Herstellung von Lebensmitteln markiert nicht nur den Anfang des hier verwendeten Ausschnitts der industriellen Lebensmittelkette, sondern sie wird innerhalb des Sphärenmodells auch als erste von der Amerikanisierung erfasst. Bereits in der Zwischenkriegszeit finden amerikanische Konzepte, Technologien und Methoden Eingang in die europäische Produktion. Die amerikanische Industrie zeichnete sich durch einen hohen Grad an Standardisierung, Technisierung und Rationalisierung aus und bildete so die Grundlage für die Massenproduktion. Die Aushängeschilder für diese Entwicklung sind bekanntlich Taylor und Ford. Eingang in die Schweizer Nahrungsmittelindustrie fanden amerikanische Produktionsmethoden jedoch erst in den 1950er-Jahren, als die industrielle Verarbeitung von Nahrungsmitteln an Bedeutung gewann und sich auszudifferenzieren begann.

      Die riesigen Produktionskapazitäten der amerikanischen Industrie wiederum benötigten ein adäquates Vertriebs- und Verkaufssystem. Auch dafür fanden die Amerikaner kurz nach der Jahrhundertwende die ideale Lösung: Selbstbedienung und Supermärkte. Der Durchbruch dieser Innovationen gelang in der Schweiz nach anfänglichem Widerstand kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Pionier und zugleich Sündenbock für die «Veramerikanisierung»1 des Detailhandels war der bekannteste Schweizer Detailhändler, die Migros.

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      Abb. 2: Vereinfachtes Schema des Sphären-Modells: Die Werbung agiert als kommunikative Brücke zwischen Produzenten und Konsumenten.

      Nach und nach waren in der Schweiz die Einflüsse des American way of life auch bei der Zubereitung von Mahlzeiten sowie den Gewohnheiten in Bezug auf das Essen an sich zu beobachten. Obwohl die Schweiz mit Nestlé und Maggi zu den Pionieren der Nahrungsmittelindustrie gehörte, schaffte das Convenience food, das in den USA bereits seit den 1930er-Jahren weit verbreitet war, den Durchbruch hierzulande erst im Verlauf der 1950er- und 1960er-Jahre. Erst der enorme wirtschaftliche Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg schuf diejenigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen, die für einen breiten Markt für Konservennahrung, Tiefkühlnahrung und Fertigprodukte notwendig waren: Wohlstand, «Englische Arbeitszeit» mit kurzen Mittagspausen, Berufstätigkeit von Müttern, Freizeitgesellschaft. In den Zeitschriften und Illustrierten wimmelt es im Untersuchungszeitraum von Berichten über den American way of life, von amerikanischen Rezepten und von Inseraten für die neusten Errungenschaften der Nahrungsmittelindustrie.

      Ein Element, das sich über alle fünf Einflusssphären hinwegzieht, ist der Gedanke der Rationalisierung beziehungsweise der Optimierung, Standardisierung, Uniformierung. Das damit verbundene Prinzip der Effizienz- und Produktionssteigerung wird in diesem Kontext sozusagen zu einem Merkmal des American way – und zwar sowohl in der Wahrnehmung der Europäer als auch aus Sicht der Amerikaner, die mit der Marshallhilfe und der Productivity Mission die Europäer geradezu dazu erziehen wollen.

      Mit dem Modell der fünf Einflusssphären verzichte ich bewusst auf den Miteinbezug von Rohstoffen beziehungsweise der Agrarproduktion. Zum einen, weil es in diesem Buch nicht um die Thematik globaler Warenströme und Märkte geht, bei denen insbesondere Rohstoffe wie Zucker, Gewürze oder auch Kaffee im Fokus stehen. Vielmehr geht es um die hochkomplexen Lebensmittel der industriellen Massenproduktion, wie sie ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Erscheinung treten. Im Gegensatz zu Rohstoffen, die seit der Antike Gegenstand globaler Märkte waren, gerade in früheren Jahrhunderten meist als Luxusgüter gehandelt wurden und zu individualisierten, regional unterschiedlichen Produkten (weiter)verarbeitet werden können, handelt es sich bei den industriellen Nahrungsmitteln um relativ neue, standardisierte, oft auch rationalisierte und anonymisierte Massenprodukte, die explizit eine breite Gesellschaftsschicht erreichen sollen und meist mehr leisten (müssen) als blosse Sättigung.2

      Dies bringt mich zu einem weiteren Grund für die Fokussierung auf die industrielle Nahrungsmittelkette: Im Vordergrund steht nicht der Import von amerikanischen Produkten an sich, sondern vielmehr der Transfer des American way of life und damit verbunden der Transfer von Methoden, Konzepten und Wertvorstellungen über die Lebensmittel sowie deren Produktion, Vertrieb und Konsum. Indem Nahrungsmittel mit bestimmten Botschaften, Dienstleistungen und Funktionen versehen werden, werden sie von blosser Nahrung zu einem Übermittler von Werten und Gewohnheiten von einer Kultur auf eine andere. Ein besonderer Stellenwert kommt hierbei dem Markenprodukt und der Werbung zu. Insbesondere die Werbung fungiert in diesem Kontext als Bindeglied zwischen der Produktion und dem Verkauf von Gütern. Zusammen mit dem Konzept der Marke wirkt sie als Vermittlerin von Botschaften und kreiert ganz gezielte Images. Unter anderem auf diesem Weg beeinflusste die amerikanische Kultur auch die Essgewohnheiten in der Schweiz. Axel Schild spricht in diesem Zusammenhang auch von «gelenkter Werbung für die amerikanischen Leitbilder» sowie von «Konsumpropaganda».3 Die Werbung indes hat nicht nur eine Vermittlerrolle beim Transfer von Konsumgewohnheiten von den USA nach Europa, sie ist in ihrer modernen Ausführung selbst ein Produkt der amerikanischen Wirtschaft und wird als solches von den Europäern kopiert und adaptiert – genauso wie zahllose andere Produkte und Dienstleistungen.

      Konsummuster einer ganzen Gesellschaft verändern sich allerdings kaum schlagartig, sondern unterliegen einem langjährigen Prozess und gehen mit wirtschaftlichen, mentalen und auch technischen Veränderungen einher. Gerade bei der Ernährung, die eng mit kulturellen Traditionen und Identitäten verbunden ist, können solche Veränderungen neben Neugier und Nachahmungswillen auch Kritik und Abwehr auslösen, gerade auch dann, wenn sie in einem hohen Tempo vonstattengehen und/oder ein kritisches Ausmass erreicht haben. Besonders heftige Reaktionen können Veränderungen auch auslösen, wenn sie nicht von innen heraus wachsen, sondern von aussen oder in Form von kulturellen und wirtschaftlichen Fremdeinflüssen angestossen werden. Die Furcht vor einem Identitätsverlust ist dabei genauso entscheidend wie die Angst vor Souveränitätseinbussen. Mehr noch: Die kulturellen und wirtschaftlichen Einflüsse der USA führten dazu, dass man sich des Eigenen beziehungsweise des als schweizerisch Empfundenen stärker bewusst wurde. Die Fremdeinflüsse riefen somit eine verstärkte Wahrnehmung dessen hervor, was lokal und deshalb besonderes