Название | "... damit eure Freude vollkommen wird!" |
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Автор произведения | Sebastian Kießig |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783429064044 |
3. Dienst an der nationalsozialistischen Kriegsfront – die Suche nach dem Heiligen Gral?
Die Frage nach dem Verhalten der Jugendbewegung zum aufkommenden Nationalsozialismus ist äußerst komplex. Man muss bei der heutigen Lektüre der Quellen sehr genau unterscheiden zwischen sprachlichen Anleihen bei einem vaterländischen Nationalismus auf der einen Seite und antisemitischen, das Hitler-Regime stützenden Elemente auf der anderen Seite, die sich in Visionen eines katholischen Germaniens ausdrücken konnten. Der Bochumer Kirchenhistoriker Wilhelm Damberg hat mehrfach auf den posthum, aus Briefen und Tagebuchblättern publizierten „Weg“ des Jungsoldaten Johannes Niermann aufmerksam gemacht20, dessen Vita vielleicht als exemplarisch für eine ganze Generation von katholischen Jugendlichen anzusehen ist. Warum? Der Jugendbewegte bejahte, nach einer kurzen Internierungshaft durch die Nationalsozialisten, seinen Militärdienst, ja mehr noch: Niermann, der katholischer Priester werden wollte, aber nur ein Jahr nach seiner Einberufung im französischen Doncourt-sur-Meuse im Jahr 1940 verstarb, sah seinen Dienst an der Front in Kontinuität zu den Wanderfahrten, die er einst in der Jugendbewegung unternahm. In Identifikation mit der Suche nach dem Heiligen Gral, bekannt aus dem mittelalterlichen Parzival-Mythos, verstand auch Niermann seinen Kriegsdienst als Einsatz eines miles christiani für das Gute und Wahre; als Chance, den Glauben einzuüben und vorzuleben. Die Überzeugungskraft einer solchen Kriegserfahrung sollte freilich rasch nachlassen.
Die systematische Missachtung des Reichskonkordates vom Juli 1933 durch die Nationalsozialisten höhlte in der Folge jedwede Jugendarbeit, Katechese oder auch den Religionsunterricht aus. Die katholische Jugend war durch die Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens auf ein so genanntes ‚Sakristeichristentum‘ zurückgeworfen – der Fokus lag nur bei wenigen katholischen Jugendgruppen auf Widerstandsarbeit gegenüber dem Regime, eher besann man sich stärker auf die liturgische Zelebration in der Pfarrei, die von Zeitgenossen als ‚Oase‘ beschrieben wurde. Insbesondere die Kriegsjahre verschärften diesen Prozess noch. Unter systemisch ähnlichen, wenn auch freilich politisch gänzlich anderen Vorzeichen ließen sich die Lebensbedingungen katholischer Jugendliche in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bzw. der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) beschreiben.21 Diesen Diktaturerfahrungen und katholischen Reaktionsweisen darauf sei an dieser Stelle zugunsten von Demokratieerfahrungen in Westdeutschland nicht weiter nachgegangen.
4. ‚Stunde Null‘ und Rechristianisierung
Aus den noch rauchenden Trümmern des Zweiten Weltkriegs stieg die katholische Kirche als Siegerin mit einer zunächst ungebrochenen Autorität hervor. Dieses Ansehen galt es zu nutzen. Vor allem die Bischöfe strebten in der unmittelbaren Nachkriegszeit enorme Rechristianisierungsmaßnahmen an, wurde doch der Nationalsozialismus von ihnen nach Mustern des Alten Testaments als Glaubensabfall von Gott interpretiert.22 Zu den Erneuerungsmaßnahmen gehörte nicht zuletzt ein Einheitsbund der katholischen Jugend, wenn auch für die katholische Jugendarbeit nicht von einer ‚Stunde Null‘23 im eigentlichen Sinne gesprochen werden kann. Denn die Verbände knüpfen zunächst am Alten an und wollten – auf bischöflichen Wunsch – die bündische Jugendarbeit wiederbeleben. Die Erlebnis- und Erfahrungswelt junger Menschen wollte man zunächst mit dem Ausbau altbewährter Strukturen einfangen. Prominente Stimmen des ND wie der spätere Münsteraner Professor für Kirchengeschichte Erwin Iserloh (1915-1996) lehnten gar eine Konzentration auf die Jugendarbeit in der Pfarrei dezidiert ab, da dort gegenüber der bündischen Eigenständigkeit die Organisation wieder auf ein Führerprinzip durch Vorsitzende hinauslaufe.24 Doch ob bündisch oder innerhalb der Pfarrgemeinde: Die Kriegserfahrungen, der komplette Zusammenbruch eines politischen Systems, an das die Mehrheit der Deutschen ja ‚geglaubt‘ hatte, veränderte, wie wir noch sehen werden, auch die im Nationalsozialismus aufgewachsenen Jugendlichen25, ja noch die ihnen nachfolgenden Generationen. Ein top-down vorgegebener Einheitsimperativ, wie ihn der ‚General‘ der katholischen Jugendbewegung Ludwig Wolker (1887-1955) prononcierte26, erwies sich als zunehmend schwierig.
Eine der wenigen wirklichen Neugründungen neben den etablierten Vereinen und Verbänden machte die 1947 in Deutschland gegründete Christliche Arbeiterjugend (CAJ) aus, wobei es sich streng genommen um keine wirkliche Neugründung, sondern eine Auskopplung aus der französischen Arbeitspriesterschaft handelte.27 Kernanliegen war es, jungen Arbeitern ihre Würde als Geschöpfe Gottes zurückzugeben. In kleinen Zellen sollten engagierte junge Arbeiter von einem Priester begleitet werden, aber nicht dessen direkter Leitungsgewalt unterstehen. Die Umsetzung dieser Idee ging nicht konfliktfrei über die Bühne, dabei spielte auch das Konkurrenzempfinden etablierter Vereine und Verbände eine Rolle. Insgesamt aber kann kein Zweifel darüber bestehen, dass sich ‚moderne‘ Jugendarbeit nach 1945 deutlich weniger der freien Initiative der Jugendlichen selbst verdankte, sondern der Seelsorge vor Ort.
Interessanterweise blieben ländliche Regionen lange von all diesen im Vorangehenden präsentierten Diskussionen unberührt.28 Von ‚moderner‘ Jugendarbeit konnte dort nicht die Rede sein.29 Dies änderte sich ebenfalls erst in der Nachkriegszeit, hier war die oft zitierte Chiffre für den Neubeginn, 1945, eine wirkliche ‚Stunde Null‘. Die Landjugendbewegung war, zusammen mit der bereits erwähnten CAJ, vielleicht die einzige katholische Jugendgemeinschaft, die neu gegründet wurde. Die Gründe dafür sind in einem immer rascher werdenden Strukturwandel, eine Art Globalisierung avant la lettre zu finden. Der Münsteraner Bischof Michael Keller (1896-1961) beschrieb diese Transformationsprozesse 1948 in einem Hirtenbrief mit folgenden Worten: „Ob wir es wollen oder nicht: Die Welt geht in rasendem Tempo einer Neugestaltung entgegen. […]. Und kein Land, keine Stadt, kein Dorf, sei es auch noch das entlegenste, kann sich der unwiderstehlichen Gewalt dieser Umformung entziehen. Das Land hat aufgehört für sich zu sein. Räumlich und geistig! Die modernen Verkehrsmöglichkeiten holen die entlegenste Bauernschaft hinein in die Unruhe der großen Welt. Der Rundfunk verbindet das kleinste Dorf unmittelbar mit dem Geschehen in der weiten Welt und allen geistigen Strömungen der Gegenwart. Das Kino trägt in die letzte Bauernkate hinein die Unsitten und Lebensunarten der entchristlichten Großstadt.“30 Entchristlichung sahen auch die Jugendseelsorger seines Bistums am Werk, wenn sie in einer Konferenz aus dem Jahr 1959 festhielten: „Die große Sorge stellen jetzt die 14-17jährigen dar. Nach den Angaben der Jugendseelsorger scheint es z.Zt. äußerst schwierig zu sein, diese Altersschicht zu fassen und ihnen das notwendige Rüstzeug mitzugeben. […] Ein weiteres beunruhigendes Symptom kam zur Sprache. Bei einer Jugendwoche […] waren etwa 500 Jugendliche an der Kommunionbank. Am Tage vorher hatten jedoch nur etwa 60 Jugendliche das hl. Sakrament der Beichte empfangen. Auch eine Umfrage in den umliegenden Orten ergab keine größere Zahl derer, die gebeichtet hatten.“31 Während Bischof Keller und sein Klerus ganz eindeutig eine Gefahr in dem Anbruch der neuen Zeit sahen, begegnete man alldem seitens der Landbevölkerung mit großer Nüchternheit.32 Einer falschen Romantik, einem Vergangenheitsideal, sei dezidiert abzuschwören – früher sei nicht alles besser gewesen, ganz im Gegenteil. Technisierung, Rationalisierung, das Durchbrechen einer monokonfessionellen