Название | Heinrich Zschokke 1771-1848 |
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Автор произведения | Werner Ort |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783039198825 |
Zschokkes satirischer Roman «Der Schriftstellerteufel» mit den Abenteuern von Satan Merimatha, der nach Deutschland kommt, um die armen Poeten vor dem Hungertod zu retten. Im Anhang ein Ausfall gegen Johann Georg Zimmermann, den Leibarzt von Friedrich dem Grossen.
Die Kümmelsche Gesellschaft reist von einer Stadt zur andern. Das Trauerspiel «Die Eroberung und Zerstörung von Purlenburg» findet «gellenden Beifall», wobei Merimatha die geniale Idee hat, den Namen Purlenburg auf dem Theaterzettel auszuwechseln, um das Stück für jeden Aufführungsort passend zu machen, auch wenn man dort seit der Stadtgründung noch nie einen Feind gesehen hat.136
«Meine blühendste Theaterepoche war ietzt. Von allen Seiten erhielt ich Trauer- Graus- Schau- Familien- Lust- Possen- und Singspiele eingeschickt, um mein Urtheil und Gutachten darüber zu geben, und sie auf dem Kümmelschen Theater aufführen, oder den Verfassern zurükkommen zu lassen.»137
In der Stadt Teterow geht Herrn Kümmel das Geld aus; die Schauspieler laufen ihm davon, er gibt sein Unternehmen auf und ruft Merimatha zu sich, um ihm zu kündigen.
«Ich. Ist das Ihr Ernst, Herr Kümmel? – und Sie wollen auch meine wichtige Person verlieren?
Kümmel. Wichtig! Ha, ha, ha! Sie waren iust das unnüzzeste Möbel in meiner Direkzion.
Ich (aufspringend). Undankbarer – also hat mein großes Trauerspiel, die Eroberung und Zerstöru – –
Kümmel. Mir Nachtheil mehr, als Nuzzen geschaft – Sollte der Himmel so gnädig sein, und mich noch einmal zum Führer einer Schauspielergesellschaft erhöhen: so sollen alle Prunkspiele aus derselben verbannt sein; sie sind der Ruin meiner Börse und – –
Ich. Herr, davon verstehen Sie – –
Kümmel. Mein Herr, da ist die Thür – –»138
Darauf lässt Merimatha sich als Turmwächter anstellen und mietet sich in einem Poeten-Dachstübchen ein, wie er es sich erträumt hat, «wo du die Harmonie der Sphären belauschen und alle Herrlichkeiten der Welt unter deinen Füßen sehen kannst».139
Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus einem Roman voller Ein- und Ausfälle, Anspielungen, Rundumschläge und Finten, da der Autor ja, wie Cranz es vormachte, jede Wahrheit äussern, jede Narrheit blossstellen darf, wenn sie im Gewand der Satire daherkommt. Kaum ein Berufszweig wird nicht irgendwo karikiert, vom keifenden Magdeburger Butterweib über Handwerker, Kleiderjuden, Quacksalber, Turmwächter, Sänfteträger, Studenten und Schönlingen bis zum Lehrer, Kanzlisten, Gelehrten, Rezensenten und Verleger. Bedauerlicherweise ist diese kleine Kostbarkeit der humoristischen deutschen Literatur vollständig in Vergessenheit geraten. Um eine grössere Leserschaft an Zschokkes Dichtungen heranzuführen, ist sie ein guter Einstieg, auch weil er sich für einmal kurz fasste und keine rührselige Liebesbrühe darüber goss. Im Zusammenhang mit der Affäre um Kotzebue und Carl Friedrich Barth werden wir noch einmal auf diesen Roman zurückkommen.
Es ist übertrieben, Landsberg an der Warthe, ein Städtchen in der Neumark an der Grenze zu Polen,140 als kleines Magdeburg zu bezeichnen, auch wenn Zschokke diesen Eindruck hatte. Er fühlte sich rasch heimisch, mehr als in Schwerin und Prenzlau. Vielleicht lag es am Frühling und an den neuen Aufgaben, denen er sich stellte, dass die Schwermut von ihm abfiel. Er fand Freunde und lebte nicht mehr so eng mit Leuten zusammen, die ihn ihrer ungehemmten Eigensucht und ihres Hedonismus wegen abstiessen und seine Moralvorstellungen verletzten. «Nun, und ich bin glüklicher – bin seliger, meine Tage sind eine aneinanderhangende Kette süsser Traüme», schrieb er Behrendsen.141
Wie Magdeburg war Landsberg eine Stadt des Bürgertums, ohne Fürstenhof oder einflussreichen Adel, mit bedeutender Wollzeugmanufaktur und einem Handel, der sich des Flusses Warthe bediente. Es war eine preussische Garnisonsstadt wie Magdeburg und Prenzlau, beherbergte ein Regiment Dragoner und war von einer Wehrmauer umgeben. Nach dem Siebenjährigen Krieg wurden links und rechts der Warthe Kanäle, Schleusen und Deiche angelegt und aus den Sumpfgebieten des Warthebruchs Siedlungsland geschaffen.142 Dennoch kam es 1785 im ganzen Gebiet der Oder, in welche die Warthe bei Küstrin einmündet, zu Überschwemmungen.
Landsberg hatte ungefähr 5500 Einwohner, darunter gegen 300 Juden, die seit dem 14. Jahrhundert hier Zuflucht gefunden und 1752 eine Synagoge errichtet hatten. Ein Zeichen friedlichen Zusammenlebens der Religionen und Konfessionen war die Konkordienkirche, die von der lutherischen und reformierten Gemeinde gemeinsam benutzt wurde und wo Friedrich Schleiermacher 1794–1796 als Hilfsprediger wirkte. Man war hinsichtlich der Religionstoleranz ein bisschen fortgeschrittener als Magdeburg mit seiner stark lutherisch-pietistischen Tradition und einer mehr oder weniger starken Segregation von den Reformierten und Katholiken.
Als die Burgheimsche Theatergesellschaft sich verlief, vielleicht schon vorher, beschloss Zschokke, sein früheres Ziel wieder aufzunehmen und an die Universität zu gehen. Er hatte allerdings noch ein kleines Hindernis zu bewältigen: Es fehlten ihm die finanziellen Mittel dazu. Auch wenn die ihm vom Glockengiesser Ziegener auferlegten zwei Jahre Wartezeit noch nicht ganz verstrichen waren, so war er im März 1789 immerhin 18 Jahre alt geworden und durfte hoffen, sein väterliches Erbe endlich ausgehändigt zu erhalten. Zschokke lebte in Landsberg, wie er sich in der «Selbstschau» erinnerte, von seinen geringen Ersparnissen, und erteilte Privatunterricht.143 Vermutlich hielt ihm auch Burgheim etwas Geld zu, solange er für ihn tätig war.
Durch zwei Landsberger Juden – den Buchhändler und Publizisten Saul Ascher144 und den Kaufmann A. F. Jacobi – wurde Zschokke in die jüdische Religion und Lebensweise eingeführt.145 Viel erfährt man nicht von dieser Begegnung, die den Beginn von Zschokkes lebenslanger Beschäftigung mit verschiedenen Religionen und seines Einstehens für die Rechte und Emanzipation der Juden markiert.146
Eine andere bedeutsame Begegnung Zschokkes fand mit Gotthilf Samuel Steinbart (1738–1809) statt, Ordinarius für Philosophie und ausserordentlicher Professor für Theologie an der Universität Frankfurt (Oder), Leiter des Waisenhauses und verschiedener Anstalten in Züllichau und seit 1787 Mitglied des neugeschaffenen preussischen Oberschulkollegiums. Im gleichen Jahr hatte er ein umfang- und inhaltsreiches Schriftstück ausgearbeitet, «Gedanken und Vorschläge über die Verbesserung der städtischen Bürgerschulen», in dem er sich statt einer theologischen für eine pädagogische Ausbildung der Lehrer aussprach, mit dem Ziel einer «neuen Klasse Menschen, der Schullehrer». Was der Bürger an praktischen Kenntnissen brauche, sei den theologisch geschulten Lehrern fremd; die könnten nichts als Bibellesen, Katechismus, lateinische und griechische Grammatik. In Seminarien müsse ein neuer Lehrerstand herangebildet werden.147 In Züllichau machte Steinbart den Anfang.
Bekannt wurde Steinbart mit seinem «System der reinen Philosophie oder Glückseligkeitslehre des Christenthums»,148 in dem er darlegte, dass Gott den Menschen geschaffen habe, damit er glücklich sei, und nicht, um ihn in Angst und Schrecken zu versetzen oder asketisch leben zu lassen. Steinbart verband Epikurs Philosophie der Angst- und Schmerzfreiheit als menschliches Trachten mit einer zeitgenössischen christlichen Lehre. Gott, so lautete seine Überzeugung, wolle von uns geliebt und nicht gefürchtet werden; er kümmere sich um uns und um die kleinsten Veränderungen unseres Lebens und wolle «blos durch Redlichkeit und wohlwollende Gesinnungen gegen andere unter dem frölichsten und vernünftigsten Genuß alles Guten in der Welt von uns dankbar verehret werden».149 Steinbart wandte sich entschieden gegen dogmatische Streitereien und theologische Spitzfindigkeiten.
Sein «System» wurde von der Aufklärung enthusiastisch gefeiert, da es den Menschen als im Prinzip unbegrenzt bildungsfähig und Gott als fürsorglichen Pädagogen darstellte, dessen Wirken von den besten Absichten und von vernünftigen Überlegungen geleitet war. Carl Friedrich Bahrdt (1741–1792), der radikalste theologische Aufklärer seiner Zeit, meinte über Steinbart, nur wenige deutsche Theologen hätten so freimütig wie er die Idole des Kirchensystems umgeworfen und zertrümmert: «Dieser Mann hat nicht bloß das alte Haus eingerissen, sondern einen neuen Palast an seine Stelle gesetzt. Seine Glückseligkeitslehre verdient, das allgemeine Kompendium der Religion zu werden.»150 Zschokke,