Heinrich Zschokke 1771-1848. Werner Ort

Читать онлайн.
Название Heinrich Zschokke 1771-1848
Автор произведения Werner Ort
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783039198825



Скачать книгу

      Zschokke schrieb im Juni 1789 an Andreas Gottfried Behrendsen, er sei in Schwerin zum Scherz κατ ’εξοχην, der Dichter, genannt worden.55 Das bezog sich natürlich nicht auf sein «Handbuch der Geographie von Mecklenburg», sondern auf andere literarische Arbeiten und Projekte. Sich selber betitelte er damals als Gelehrter und unterschrieb den ersten Brief, den wir überhaupt von ihm kennen, als «J. H. Zschokke, Homme des Lettres, wohnhaft beim Hofbuchdrukker Hl. Bärensprung».56

      Von diesem Brief mit der aufschlussreichen Unterschrift ist noch mehr zu sagen. Im Juni 1788 wandte sich Zschokke an den Hamburger Verleger Benjamin Gottlob Hoffmann (1748–1818), um sich zu erkundigen, ob er ein «Werkchen» mit dem Titel «Raritäten und Albertäten vom Einsiedler Karmela» bei ihm herausgeben dürfe.57 Die beiden Schreiben an Hoffmann sind das einzige private Zeugnis Zschokkes aus Schwerin, das uns Auskunft gibt, womit er sich im Sommer 1788 neben Schulegeben, Korrekturen und dem «Handbuch» sonst noch befasste. Das angebotene «Werkchen» sollte 18 Bogen (288 Seiten) stark sein, drei Fortsetzungen bekommen und in allem den «Charlatanerien» von Cranz gleichen, ausgenommen, dass es auf dessen Religionsspöttereien und Angriffe auf Männer von Verdienst verzichte, es sei denn auf solche, die, «mögt ich sagen, notorisch berüchtigt sind».

      August Friedrich Cranz (1737–1801), ein ehemaliger preussischer Kriegsund Steuerrat, der seit 1781 als Schriftsteller in Berlin lebte, hatte sich mit seiner fünfteiligen «Gallerie der Teufel», die Zschokke in seinem Brief ebenfalls erwähnte, Geltung als Satiriker verschafft.58 Es war eine humorvoll-satirische, lustvoll fabulierende, pseudo-gelehrte Schilderung von Abenteuern und Streichen verschiedener Teufel in Politik und Hofleben, die zeigten, wo überall die Teufel oder Laster, die sie vertraten, Einfluss besassen. Als eine Art Fortsetzung lieferte Cranz «Charlatanerien in alphabetischer Ordnung»,59 worin er lexikonartig politische, theologische, gelehrte und künstlerische Begriffe und Berufe wie Arzt, Bibel, Justiz, Literatur, Lobreden, Militär, Nutzen, Orthodoxie, Rang, Urteil und Recht durchleuchtete, um den Anteil an Scharlatanerie zu messen, die er so definierte: «Gaukelspiele die wie lauter Wichtigkeiten aussehen und wo nichts dahinter ist».60 Mit besonderer Freude widmete sich der weltgewandte Aufklärer den Schwächen der Kirche, ihrer Diener und ihren Lehren.

      Die Art, wie es Cranz gelang, in scherzhaftem Ton Wahrheiten auszusprechen und eine grosse Leserschaft zu gewinnen, ohne von der preussischen Zensur behelligt zu werden,61 hatte Zschokke beeindruckt. Seit dem vergangenen Sommer, schrieb er Hoffmann – also schon in Magdeburg –, habe er an diesem «Werkchen» gearbeitet, von dem er überzeugt sei, dass es «nach einer so langen Pause, welche unsre launigsten Schriftsteller machten, kein so ganz unwillkommenes Gericht sein soll und wird». Gegen ein mässiges Honorar von vier Reichstalern pro Bogen verspreche er, alle Folgebände «in der muntern Laune, mit den satyrischen Zügen und dem treffenden Wizze geschrieben zu liefern» wie den ersten Band. Falls Hoffmann einen Kupferstich beifügen wolle, werde er ihm einen sinnigen Vorschlag mit einer Zeichnung schicken. Er bat, der Antwort einen Verlagskatalog beizulegen.

      Auf diese Antwort wartete Zschokke fast zwei Monate vergebens, dann schrieb er erneut.62 Er habe mit einigen durch ihre schriftstellerischen Arbeiten berühmten Männern ein Buch mit dem Titel «Narren-Kronik!» von 23 Bogen (368 Seiten in Oktav) verfasst, das sie an der kommenden Leipziger Messe veröffentlicht sehen möchten. Zu jeder Leipziger Messe (also im Frühling und Herbst) werde ein weiterer Band folgen. «Ich hoffe daß es Sensazion im Publikum erregen, und mit Vergnügen gelesen wird, eben so wol als Wekhrlins graues Ungeheuer oder die Chronologen.»

      Die «Charlatanerien», mit denen sein Buch ursprünglich in allem Ähnlichkeit haben sollte, erwähnte Zschokke diesmal nur nebenbei. Der süddeutsche Publizist Wilhelm Ludwig Wekhrlin (1739–1792) mit seinen beiden erfolgreichen Zeitschriften «Die Chronologen»63 und «Das Graue Ungeheuer»,64 die Zschokke in seinem zweiten Brief ansprach, war ein anderes Kaliber als Cranz. Er war ein noch streitbarerer Publizist, ein unabhängiger Denker, politisch engagiert und hatte in seinem «Almanach der Philosophie aufs Jahr 1783» Voltaire gerühmt und eine Bibliografie der Philosophie, das heisst des Unglaubens, aufgestellt.65

      Zschokkes literarischen Projekte hatten in den zwei Monaten vom ersten zum zweiten Brief bedeutend an Ausdehnung und Umfang gewonnen. Die Anzahl Bände, halbjährlich geplant, sollte jetzt nicht mehr begrenzt sein. Aus den «Raritäten und Albertäten vom Einsiedler Karmela» waren «Raritäten und Albertäten meiner Zeitgenossen[,] ein alphabetisches Bruchstük von M. Paskwin» geworden, eine Anspielung auf Pasquino, jene antike Statue in Rom, an die früher Spottverse geheftet wurden, woraus sich der Begriff Pasquill ableitet.66

      In seinen «Charlatanerien» hatte Cranz 1781 angekündigt, er werde, nachdem er in der «Gallerie der Teufel» die Laster der Mächtigen und in den «Charlatanerien» die Windbeuteleien der Prominenz zur Zielscheibe seines Spotts gemacht hatte, sich jetzt den Narren zuwenden. Das von Cranz vorgesehene «Narrenhospital»,67 in dem er Jesus Sirach als Arzt auftreten lassen wollte, nach dem Motto: «Die Ruthe auf den Rücken der Narren», kam nicht zustande, und jetzt wollte Zschokke offenbar die Lücke schliessen. Er traute sich zu, die menschlichen Schwächen und Dummheiten genauso beredt und witzig wie Cranz anzuprangern. Weil es so leicht daherkam, dachte er wohl, es sei auch leicht zu schreiben. Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs hätte er dann wie Cranz weitere Bücher mit dem Vermerk auf das Erstlingsbuch erscheinen lassen, also «vom Autor der Narren-Kronik». Vorerst scheiterte der Plan allerdings an der Suche nach einem Verlag. Aber noch war nichts verloren, auch Cranz hatte seine wichtigsten Satiren im Eigenverlag veröffentlicht.

      Acht Beiträge hatte Zschokke für seine «Narren-Kronik» vorgesehen, einige wohl als laufende Titel für eine ganze Serie: «Fragmente aus dem Taschenbuche des weisen Kadmorsurigand», «Raritäten und Albertäten meiner Zeitgenossen», «Mondlieder und Anecdoten» und «litterarisch kritischer Narrenprangen nebst Auszügen aus dem Buche v[om] Stein des Weisen». Man spürt allenthalben eine Anspielung auf Bekanntes. So hatte der jung verstorbene Ludwig Heinrich Christoph Hölty (1748–1776), Mitglied des Göttinger Hainbunds, viel beachtete Mondlieder gedichtet. Der Titel «Skizze einer Geschichte der Astrologie nebst ein[em] Abris der astrologischen Litteratur» nahm Bezug auf Zschokkes Tätigkeit für Reichards «Beiträge zur Beförderung einer nähern Einsicht in das gesamte Geisterreich». Es ist anzunehmen, dass die meisten Manuskripte schon vorlagen, denn Zschokke wartete nur auf die Zustimmung Hoffmanns, um sie ihm zuzusenden. Anders wäre es gar nicht möglich gewesen, den ersten Band noch zur Michaelismesse erscheinen zu lassen.

      Er erhielt aber auch auf diesen zweiten Brief von Hoffmann keine Antwort. Die von ihm verschmähte «Narren-Kronik» brachte Zschokke auf einem anderen Weg doch noch in die Öffentlichkeit: «Über Ahndungen» wurde überarbeitet und als «An Rosais. Über Ahndungsvermögen und Schuzgeister» 1791 im ersten Band von «Schwärmerey und Traum in Fragmenten, Romanen und Dialogen von Johann von Magdeburg» veröffentlicht. In vier Briefen beruhigt darin Johann von Magdeburg – ein Pseudonym Zschokkes – die Angst einer jungen Frau vor dem Eintreten böser Vorahnungen, vor Einbildungen und Wunderglauben.

      «Der Hang zum Wunderbaren in unsern Tagen ist beinahe noch eben derselbe, der er in vorigen Jahrhunderten war, und hat zu seinem Ursprunge eben die Ursachen, als damals. Diese sind vorzüglich Mangel an tiefern Einsichten in die Mysterien der Natur [...].»68

      Man merkt an den teils gelehrten Ausführungen und literarischen Verweisen, dass Zschokke sich theoretisch mit einem Thema auseinandersetzte, das ihn persönlich betraf, hatte er doch selber einmal an Magie, Dämonen und Geister geglaubt oder auf sie gehofft. Von den vier Dramen und sieben Romanen, den ungezählten Essays und Gedichten, die während Zschokkes Aufenthalt in Deutschland (bis August 1795) entstanden, ist «An Rosais. Über Ahndungsvermögen und Schuzgeister» die einzige Arbeit, welche in seine gesammelten Schriften Eingang gefunden hat.

      Noch persönlicher wird Zschokke in einem Roman, den er im Brief an Hoffmann als «Wilhelm Walter, oder befriedigter Hang zur Magie, eine wahre iesuitisch-freimaürer[ische] Geschichte» bezeichnete. Es entstand daraus seine erste selbständige Veröffentlichung, «Geister und Geisterseher oder Leben und frühes Ende eines Nekromantisten. Eine warnende