Christentum im Kapitalismus. Rainer Bucher

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Название Christentum im Kapitalismus
Автор произведения Rainer Bucher
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783429064389



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auf drei, eigentlich recht einfachen Prinzipien: „Erstens beruht der Kapitalismus auf individuellen Eigentumsrechten und dezentralen Entscheidungen“, die zu „Resultaten“ führen, „sowohl Gewinnen als auch Verlusten, die Individuen zugeschrieben werden“17. „Zweitens findet im Kapitalismus die Koordinierung der verschiedenen wirtschaftlichen Akteure vor allem über Märkte und Preise, durch Wettbewerb und Zusammenarbeit, über Nachfrage und Angebot, durch Verkauf und Kauf von Waren statt. Das ‚zur Ware werden‘, die Kommodifizierung von Ressourcen, Produkten, Funktionen und Chancen ist zentral.“18 Drittens aber „ist Kapital grundlegend für diese Art des Wirtschaftens. Das impliziert Investition und Reinvestition von Ersparnissen und Erträgen in der Gegenwart im Streben nach Vorteilen in der Zukunft.“19 Den Kapitalismus zeichnet, so Jürgen Kocka in seiner Geschichte des Kapitalismus, individuelles Gewinnstreben, Marktkoordination und Zukunftsorientierung aus.

      Das bricht mit einigen bis dorthin ziemlich ungeteilt geltenden Logiken. Der Kapitalismus wechselt von der altruistischen Ansprache an die Menschen zum Appell an seinen Egoismus, er ersetzt die konkrete Benennung und Markierung von Herrschaft (Gott/Obrigkeit/Vater) durch eine anonyme (der „Markt“ und die Wirkungen seiner „unsichtbaren Hand“), und er tauscht die klassische legitimatorische Ursprungsorientierung traditionaler Gesellschaften mit einer gegenwartsbasierten Zukunftsorientierung aus: Man muss sich heute anstrengen, damit es einem morgen besser geht – und dieses Morgen kann schnell kommen. Der Kapitalismus befreit damit vom moralischen Zwang zum Altruismus, von herkömmlichen Herrschaftsträgern und von Traditionsorientierung. Er entwickelt darin eine ungeheure Faszination und eine beispiellose Dynamik.

      Lange wollte man gerade diesseits des Marxismus glauben, dass dieser fundamentale Bruch mit bisherigen gesellschaftlichen Prinzipien nicht auf das Selbst des Individuums zurückschlägt, sondern durch spezifische Techniken von ihm ferngehalten werden könne. Die Fiktion konnte aufrechterhalten werden, weil die alten Mächte, die religiösen vor allem, aber auch die alten Ethiken im Kontext des Kapitalismus nicht verschwanden, sondern in spezifischen Diskursen und vielfältigen, etwa kirchlichen, pädagogischen und auch militärischen Dispositiven überlebten, ja, wie etwa die katholische Kirche während der Pianischen Epoche, in reaktiver Verhärtung zumindest intern ganz besonders wirkmächtig wurden.

      Nimmt man nun aber in strukturalistischer Tradition an, dass das Subjekt nicht das letztlich unberührte und unschuldige Gegenüber der Macht sei, sondern selbst ein Produkt von Machtprozessen, ja, dass das Konzept „Subjekt“ selbst erst in den modernen (Human-)Wissenschaften entsteht und sich zeitgleich mit dem modernen Kapitalismus durchsetzt, dann stellt sich die Lage gänzlich anders dar. Das Subjekt jedenfalls, so Foucault, ist nicht das ganz Andere zur Macht, ist nicht der Ort der reinen Authentizität und Identität, sondern eben etwas, das in spezifischen Machtstrukturen auftaucht und überhaupt erst wird.

      Für Foucault sind die Idee eines autonomen Subjekts oder das Ideal einer Gemeinschaft von autonomen Subjekten illusionär. Die Konstituierung von Subjektivität ist Produkt eines schöpferischen Aktes, der je nach Machtkonstellationen aus jeweils anderen Quellen schöpft. Foucault spricht von einer „Serie unterschiedlicher Subjektivitäten“20, die wir sind, die wir jeweils in unseren Machtrelationen aktuell realisieren und deren Summe uns ausmacht. „Diese Serie von Subjektivitäten wird niemals an ein Ende kommen und uns niemals vor etwas stellen, das ‚der Mensch‘ wäre.“21

      In Foucaults Tradition bestimmt Ulrich Bröckling „Subjektivierung als einen Formungsprozess, bei dem gesellschaftliche Zurichtung und Selbstmodellierung in eins gehen“22. Zwar gilt: „Die Genealogie der Subjektivierung lässt die Unterscheidung von Innen und Außen nicht fallen“. Aber „statt Höhlenforschung oder Innenarchitektur der Seele zu betreiben, fragt sie danach, welche Wissensdispositive und Verfahren Menschen veranlassen konnten und können, ihr Selbstverständnis in dieser Weise topografisch zu bestimmen. Sie untersucht, wie ein Innen sich konstituiert, ohne es immer schon vorauszusetzen.“ Denn das „Innere ist nichts anderes als ein auf sich selbst zurückgewendetes Äußeres – und umgekehrt“23. Das Subjekt ist in dieser Perspektive eine „Entität, die sich performativ erzeugt, deren Performanzen jedoch eingebunden sind in Ordnungen des Wissens, in Kräftespiele und Herrschaftsverhältnisse“24. Das Subjekt gibt es „im Gerundivum – nicht vorfindbar, sondern hervorzubringend“25.

      Die konkreten „Ordnungen des Wissens“, die realen „Kräftespiele und Herrschaftsverhältnisse“ sind nun aber in unseren Breiten und Gegenden derart vom Kapitalismus geprägt, dass das Selbst, so Bröckling, als „unternehmerisches Selbst“ beschreiben werden kann und muss. Das unternehmerische Selbst steht dabei „für ein Bündel aus Deutungsschemata, mit denen heute Menschen sich selbst und ihre Existenzweisen verstehen“. Es besteht „aus normativen Anforderungen und Rollenangeboten, an denen sie ihr Tun und Lassen orientieren, sowie aus institutionellen Arrangements, Sozial- und Selbsttechnologien, die und mit denen sie ihr Verhalten regulieren sollen“26.

      Das unternehmerische Selbst ist ein Subjektivierungsprogramm, dessen „Anrufungen“, so Bröckling, nichts weniger als „totalitär“ sind. „Nichts soll dem Gebot der permanenten Selbstverbesserung im Zeichen des Marktes entgehen. Keine Lebensäußerung, deren Nutzen nicht maximiert, keine Entscheidung, die nicht optimiert, kein Begehren, das nicht kommodifiziert werden könnte.“ Bröckling weist dabei auf ein Spezifikum des Kapitalismus hin, das einen der Garanten seines Erfolgs darstellt: „Selbst der Einspruch, die Verweigerung, die Regelverletzung lassen sich in Programme gießen, die Wettbewerbsvorteile versprechen.“27

      Spezifische Schlüsselkonzepte sind notwendig, um das Ziel der permanenten Selbstverbesserung zu erreichen. „Kreativität“ und „Innovation“ gehören dazu, „das Erkennen und Ergreifen von Gewinnchancen und die schöpferische Zerstörung, die Platz macht für Neues“28. Hinzu kommen „Empowerment“ als Vertrauen in die eigene Kraft und eine Qualitätsorientierung, die als „Kundenorientierung“ agiert, denn das „unternehmerische Selbst“ muss „sein Humankapital so … vermarkten, dass es Abnehmer für die feilgebotenen Fähigkeiten und Produkte findet. (…) Qualität steht für Kundenorientierung“29.

      Das aber bedeutet: Das Leben wird zum Projekt, genauer: zu einer unabgeschlossenen und unabschließbaren Folge von Projekten. Diese höchst tiefgreifende und folgenreiche „Sequenzialisierung der Arbeit (und letztlich des gesamten Lebens) in zeitlich befristete Vorhaben“, diese fundamentale Projektorientierung verlangt „dem unternehmerischen Selbst ein Höchstmaß an Flexibilität“ ab, inklusive eines spezifischen „Modus der Kooperation“ in „Projektteams“30. Das reicht weit und schreibt sich tief ein.

      In Projekten zu denken beendet traditionelles, rollengesteuertes Handeln, gibt dem Handeln einen befristeten Zeithorizont und stellt es unter den Anspruch der (eigenen) Planung und Gestaltung. Die klassischen Projekt-Phasen „Projektdefinition“, „Projektplanung“, „Projektdurchführung“ und „Projektabschluss“ sind nichts anderes als die konzeptionelle Operationalisierung der typisch modernen Annahme, dass die Zukunft das Ergebnis des eigenen Handelns sein wird. Andererseits markieren Projekte aber auch die ausgesprochen anstrengende Verpflichtung, die Zukunft zum Problem zu machen, in ihr ein Ziel zu definieren und das eigene Handeln an den Schritten der Zielerreichung auszurichten.

      Das Denken in Projekten setzt voraus, das eigene Wollen als entscheidend für Zukünftiges zu bestimmen. Genau das hatte etwa vormodernes religiöses Denken nicht getan. Denn das Zukünftige wurde in ihm bestenfalls als die modifizierte Fortsetzung des immer schon Gültigen und auch ewig Bleibenden gedacht, war Verlängerung einer ursprungslegitimierten Vergangenheit, nicht Gegenstand zukunftsorientierten strategischen Handelns des Menschen. Die Zukunft stand unter der Herrschaft der Vergangenheit und ihres Ursprungs in Gott, zu dem sie zurückkehren würde. Die klassische Moderne kehrte dies um: Sie stellte die Gegenwart unter die Herrschaft der Zukunft, einer utopischen, besseren Zukunft. Sie wurde modellierbar und gestaltbar, wurde zur Aufgabe, zum Entwurf – zum Projekt. Alles wird zum Projekt: Es ist die Form, „die Wirklichkeit zu organisieren – ein Rationalitätsschema, ein Bündel von Technologien, schließlich ein Modus des Verhältnisses zu sich selbst“31. Das aber bedeutet: „Die Form