Название | Unheilvolle Vergangenheit |
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Автор произведения | Alexander Pelkim |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783429065171 |
»Warum? Was hast du mit ihr zu schaffen?«
»Ich wollte zum Bauern wegen der Kartoffeln, aber der ist nicht da, also habe ich Auguste gefragt, ob sie mir eine Hand voll geben könnte. Sie hat mich zuerst wie ein Rindvieh angeglotzt und dann losgelegt: wie ich mich erdreisten könnte, wegen Lebensmitteln zu fragen. Ich würde doch für meine Arbeit anständig entlohnt. Da könnte ja jeder kommen und den Bauern um Almosen anbetteln, ich sollte mich schleichen. Dabei hat sie getan, als wenn das alles ihr gehören würde. Wie ein Drache, der den Goldschatz bewacht, hat sie sich aufgeführt. Zum Glück kam das junge Fräulein, erkundigte sich, was denn los sei, und half mir.« Voller Hochachtung sprach Clara von Elisabeth Hollbein, der bildhübschen Tochter des Bauern, die das Gekeife der Haushälterin mitbekommen hatte. »Auguste hat ihr mit zänkischer Stimme alles berichtet. Elisabeth hat mich dann nach dem ›Warum‹ gefragt und ich habe ihr von den Kindern erzählt, dass sie Hunger leiden und wir nichts mehr haben. Da ist sie in den Keller und kam mit einer Schürze voll Kartoffeln zurück. Die Perlacherin hat noch ein bisschen gemault, aber Elisabeth hat ihr den Mund verboten und zu ihr gesagt: ›Wenn ich etwas verschenke, geht dich das gar nichts an‹.« Clara lehrte die Schürze auf dem Tisch aus. »Elisabeth ist eine gute Seele.«
Wilhelms Vorsatz, nicht auf die Jagd zu gehen, hielt genau vier Tage. Die letzten Essensvorräte waren aufgebraucht und das Hungerproblem stand wieder vor der Tür. Ferdinand brauchte nicht einmal viel zu tun, um die Meinung seines Bruders zu ändern. Selbst Clara, die Wilhelm schon mehrmals vor diesem Schritt abgehalten hatte, ließ es geschehen. Trotzdem konnte sie sich eine Bemerkung nicht verkneifen, die Ferdinand galt.
»Es ist nicht richtig, wenn du deinen Bruder zu etwas Ungesetzlichem verführst, aber … die Not zwingt uns dazu.«
Noch am gleichen Tag frühabends machten sich die Brüder auf den Weg, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Wilhelm immer noch mit sich hadernd, ob es die richtige Entscheidung war, Ferdinand zuversichtlich, mit dem Bewusstsein, der Obrigkeit ein bisschen schaden zu können. Wohlweislich hatte Ferdinand in den Tagen zuvor etliche Hasen- und Kaninchenbauten ausfindig gemacht. Als bevorzugtes Revier hatte er sich den Wald des Grafen von Rechteren-Limpurg-Speckfeld ausgesucht, in dem die verlassene und im Verfall begriffene Burg Speckfeld stand. Durch die Lange Gasse und das anschließende Stadttor verließen sie Iphofen. Vorbei am Zimmerplatz über den Kalbweg strebten sie dem Schießgrund zu, von wo aus sie bergaufwärts in den Wald eindrangen.
Die ganze Strecke über schritt Wilhelm mit einem mulmigen Gefühl im Bauch neben seinem Halbbruder her. Immer wieder sah er sich um und fixierte die Umgebung. Hochgradig nervös reagierte er auf jede Bewegung und auf jeden Laut. Dagegen wirkte Ferdinand locker und entspannt. Zielstrebig bahnte er sich schließlich den Weg durch den Wald. Mit traumwandlerischer Sicherheit fand er die Hasenbaue wieder. Ohne viele Worte gingen sie an die Arbeit. Erst in fast völliger Dunkelheit kehrten sie zurück, die Fallen waren gestellt.
Am darauffolgenden Tag wollten die beiden wieder losziehen. Es war Wilhelms freier Tag, Ferdinand arbeitete sowieso nur dann, wenn er Lust hatte, und das war selten genug. Schon früh an dem sonnigen Spätsommernachmittag machten sie sich auf den Weg zu ihrem Kontrollgang. Sie wollten nach den Schlingen sehen, die sie tags zuvor angebracht hatten. Erneut mussten sie sich in Acht nehmen, um nicht gesehen zu werden. Tatsächlich hatten sie Glück und in zwei ihrer Fallen hing ein Hase. Mit einem Klappmesser tötete Wilhelm die Tiere und ließ sie ausbluten, dann verstaute er sie in seinem Rucksack. Nachdem die Fallen wieder ausgelegt waren, machten sich die beiden auf den Rückweg. Sie waren noch im Wald, als sie Stimmen hörten. Ferdinand wies seinen Halbbruder an, sich zu verstecken, während er nachschauen wollte, ob ihnen Gefahr durch Entdeckung drohte. Es dauerte zehn Minuten, da war Ferdinand wieder zurück.
»Wer war das?«, erkundigte sich Wilhelm nervös. Ihm war die Anspannung deutlich anzumerken.
»Unwichtig, niemand Besonderes«, winkte Ferdinand ab, »gib mir den Rucksack, wir gehen getrennt nach Hause. Sollte ich erwischt werden, so hast du wenigstens nichts damit zu tun.«
»Warum jetzt plötzlich diese Vorsicht?«
»Alleine fallen wir weniger auf und einer kann sich besser verstecken als zwei«, erklärte ihm Ferdinand, während er den Rucksack in die Hand nahm. »Wenn es dunkel ist, komme ich und bringe dir unsere Beute. Ich hoffe, ich bekomme auch ein Stück vom Hasenbraten«, grinste er und verschwand im Dickicht.
Erst zögernd, dann immer schneller strebte Wilhelm dem Waldrand zu, als er plötzlich mehrmals hintereinander einen Hilfeschrei hörte. Es klang, als wenn jemand in höchster Not wäre. Abrupt stoppte er und lauschte, aber es blieb still. Der junge Burgecker hörte nur seinen eigenen leicht keuchenden Atem, der von seinem hastigen Laufen gekommen war. Standen die Schreie mit seinem Bruder in Verbindung?, überlegte er. Sollte er zurückgehen und nachschauen? Sich dorthin wenden, wohin sein Bruder verschwunden war? Nein, das war nicht empfehlenswert, so seine Überlegung. Außerdem war er sich sicher, dass die Hilferufe nichts mit Ferdinand zu tun hatten, der konnte auf sich aufpassen. Er hatte auch nicht genau lokalisieren können, woher die Stimme gekommen war. Es war besser, sich weiter auf den Heimweg zu machen, entschied Wilhelm, sich um fremde Angelegenheiten zu kümmern, war nie gut. Eiligen Schrittes ging er weiter. Kurz vor dem Waldrand blieb Wilhelm fast vor Schreck das Herz stehen, als plötzlich eine gebeugte Gestalt vor ihm auftauchte. Beinahe wäre er in sie hineingelaufen. Erst bei näherem Hinsehen entpuppte sich die Erscheinung als eine Person, die auf dem Waldboden etwas aufsammelte. Dann erkannte Wilhelm, wen er vor sich hatte. Die Person hob ihren Kopf, blickte in seine Richtung und kniff die Augen zusammen. Es war die halb blinde und halb taube betagte Minna Rathke, die ihn mit einem zahnlosen Grinsen und zusammengekniffenen Augen anstarrte. Sie schien etwas sagen zu wollen, aber Burgecker schritt eilig und kommentarlos an ihr vorbei. Normalerweise wäre Wilhelm nicht so stillschweigend vorübergegangen, aber irgendetwas sagte ihm, dass es besser war, nicht mit ihr zu reden. Vielleicht hatte sie ihn ja nicht erkannt, worauf er hoffte. Die alte Rathke war eine bedauernswerte Seele, die ihre städtischen Zuwendungen durch das Sammeln von Reisigholz aufbesserte, was von den Stadtvätern und den Waldbesitzern geduldet wurde. Einen Teil davon behielt sie als Eigenbedarf für den Winter, den Rest verkaufte sie für ein paar Kreuzer an die Bäcker im Ort und an Privatpersonen, die ihr die Holzbündel mehr aus wohltätigen Gründen abnahmen. War es kein Holz, so sammelte sie Pilze und Kräuter, die im heimischen Wald wuchsen und für die sie ebenfalls ihre Abnehmer hatte.
Mit erwartungsvollen Blicken wurde Wilhelm von Clara zuhause in Empfang genommen. Seine leeren Hände sorgten bei Wilhelms Partnerin für einen enttäuschten Gesichtsausdruck. Er beruhigte sie mit den Worten: »Wir hatten Erfolg, haben uns aber getrennt, Ferdinand hat die Beute.«
»Was ist passiert?«
»Nichts, mein Bruder hielt es nur für besser, dass wir uns auf dem Heimweg trennen.« Die Schreie im Wald erwähnte er nicht, da er Clara nicht verunsichern oder ängstigen wollte.
Mit dem letzten schwachen Schein des Tageslichtes tauchte Ferdinand mit dem Rucksack auf. Er öffnete den Sack und legte die beiden Hasen und ein Huhn auf den Tisch.
»Woher kommt denn das Federvieh?«, fragte ihn Wilhelm erstaunt.
Grinsend antwortete sein Bruder: »Es ist mir über den Weg gelaufen und plötzlich war es im Sack.«
»Mensch, Ferdinand! Wild zu jagen ist schon riskant genug, aber jetzt wirst du auch noch zum Hühnerdieb. Ich will keinen Ärger mit den Leuten hier im Ort.«
Mit unschuldiger Miene hob Ferdinand die Achseln. »Das Vieh lief alleine draußen vor der Stadtmauer herum. Wahrscheinlich hat es den Weg in den Stall nicht mehr gefunden. Wenn ich es nicht mitgenommen hätte, wäre es sicherlich vom Fuchs geholt worden.«
»Hoffentlich hat dich niemand gesehen.«
»Da kannst du sicher sein.«
Wilhelm nahm seinen Bruder auf Seite und fragte ihn flüsternd: »Hast du die Hilferufe im Wald auch gehört?«
»Ja, klar habe ich das.«
»Und, hast du etwas mitbekommen, wer das war oder was passiert ist?«
»Nein,