Название | Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy |
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Автор произведения | Heinrich Mann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4064066384012 |
»Gelt, ich darf da sitzen bleiben?« lallte er, erregt und unsicher.
»Aber mir erlauben Königliche Hoheit, daß ich ausgehe?«
»Aber wozu denn! Gehn's, Frau Herzogin, sein's gemütlich.«
Er trollte ihr nach, von einem Stuhl zum andern, demütig und ausdauernd.
»Aber das alte Empiregerümpel müssen Sie hinaustun und was Molliges da hereingeben, daß man lieb plauschen kann und sich auswärmen. Dann komm ich alle Tage zu Ihnen. Sie glauben nicht, wie ich zu Hause kalt hab bei meiner Frau. Muß man mir auch eine Frau aus Schweden holen, die zu predigen anfängt, sobald sie meiner gewahr wird. Quelle scie, Madame! Ein Sägefisch aus Schweden: das ist ein selbsterfundenes Wortspiel. Und ein französisches auch noch! Ach Paris!«
Er redete langsamer, ängstlich horchend. Der Vorhang öffnete sich, der elegante Begleiter des Prinzen erschien auf der Schwelle. Er verneigte sich tief vor der Herzogin und vor Phili und sprach:
»Königliche Hoheit erlaube mir zu erinnern, daß Seine Majestät Eure Königliche Hoheit um elf Uhr zum Frühstück erwarten.«
Er verneigte sich abermals. Phili murmelte: »Gleich, mein lieber Percossini.« Die Tür ging zu.
Der Prinz wurde plötzlich beweglich.
»Haben Sie ihn wohl gesehen, den Schuft? Das war der Baron Percossini, so ein Italiener. Der Schuft, er wird ja gezahlt von den Je-su-iten. Er hat gewartet, bis ich hier bei Ihnen recht warm geworden bin. Jetzt holt er mich fort, gerade im schönsten Moment, wo ich anfange zu hoffen. Ich soll närrisch werden, die Jesuiten zahlen's. Sagen Sie, liebste Herzogin, darf ich morgen wiederkommen?«
»Unmöglich, Königliche Hoheit.«
»Bitte, bitte.«
Er flehte, tränenerstickt.
»Sie sind zu schön, ich kann doch nicht anders.«
Dann plauderte er wieder.
»Der Major von Hinnerich, mein Adjutant, ah, das ist ganz was anderes. So ein braver Mann! Ein wirklich braver Mann, er hindert mich an jedem Vergnügen. Aber an jedem, sag ich Ihnen. Haben Sie neulich gesehen, wie er an meinem Zügel zog? Ein so treuer Diener meines Hauses. Seien Sie lieb, Frau Herzogin, besuchen Sie meine Frau, kommen Sie zu unserm cercle intime. Ich muß Sie doch wiedersehen, ich kann doch nicht anders. Gelt, Sie kommen? Der Prinzessin machen Sie solche Freude, sie spricht immerfort von Ihnen. Gelt, Sie kommen?«
Sie machte ungeduldig ein paar Schritte auf die Tür zu.
»Ich komme.«
Der Vorhang rauschte von neuem. Phili legte unvermutet eine gnädige Anmut an den Tag.
»Mein lieber Percossini, ich gehöre Ihnen. Küß die Hand, Frau Herzogin, und auf Wiedersehen beim cercle intime.«
Die Herzogin begab sich zu Fuß nach dem Hafen. Ein reiner Nordwind strich über das violette Meer. Beim Landen fand sie drüben am Strande einen bunten Volkshaufen, der auf sie zu warten schien. Allen voran leuchtete unter dem kraßblauen Himmel der kupferrote, schöne Bart eines feingekleideten, stattlichen Herrn. Der graue Schlapphut war von seinem Anzuge das einzige nicht der Mode entnommene Stück. Er verneigte sich: im selben Augenblick schrien und plärrten Männer, Frauen und Kinder im Chor, wie etwas Eingelerntes:
»Das ist Pavic, unser Retter, unser Väterchen, unser Brot und unsere Hoffnung!«
Die Herzogin ließ sich sagen, was es bedeute. Dann betrachtete sie den Herrn; sie hatte von ihm gehört. Er stellte sich vor:
»Doktor Pavic.«
»Ich bin gekommen, Hoheit, Ihnen zu danken. Ihnen ist gedankt, denn Sie wissen: ›Was ihr dem ärmsten meiner Brüder tut, das tut ihr mir.‹«
Sie verstand ihn nicht, sie dachte: ›Mir? Wem denn? Ich habe ja überhaupt niemandem etwas tun wollen.‹ Da sie nichts erwiderte, setzte er hinzu:
»Ich spreche, Hoheit, zu Ihnen im Namen dieses unmündigen Volkes, dessen Menschwerdung ich mein ganzes Leben geweiht habe. Mein ganzes Leben«, wiederholte er mit Hingebung.
Sie erkundigte sich:
»Was ist es mit diesen Leuten? Ich möchte etwas über sie wissen.«
»Dies arme Volk, es liebt mich sehr. Sie bemerken, Hoheit, wie dicht es mich umdrängt?«
Sie hatte es bemerkt: das Volk roch übel.
»Ah! Um mich spinnt sich ein gutes Stück Romantik!«
Er breitete die Arme aus, den Kopf im Nacken, daß der schöne breite Bart keilförmig in die Luft stand. Sie erklärte sich seine Gebärde nicht ganz.
»Wenn Sie wüßten, Hoheit, wie das süß ist: vom Hasse einer Welt umtobt, sich auf einen Wall von Liebe zu stützen.«
Sie erinnerte ihn:
»Und das Volk, das Volk?«
»Es ist arm und unmündig, darum liebe ich es, darum schenke ich ihm meine Tage und meine Nächte. Die Umarmungen eines Volkes, Sie mögen mir glauben, Hoheit, sind heißer, sind weicher und beglückender als die einer Geliebten. Ich entreiße mich ihnen manchmal, zu langen, einsamen Fußwanderungen durch mein trauriges Land.«
So schloß er, stiller und getragener.
Er war entschieden von der Darlegung der eigenen Persönlichkeit nicht abzulenken. Sie hatte die Lippen zu einem spöttischen Wort geöffnet, aber sein Organ, dies erstaunliche Organ, das dem Könige und seiner Regierung Furcht einflößte, bezwang ihren Widerspruch. In seiner Stimme schmolz Liebe, die Liebe zu seinem Volk, wie eine köstliche Dragée. Ein Duft, fade und berauschend, entströmte seinen leersten Worten, ein ihr peinlicher Duft; aber er wirkte auf sie.
Einige Schritte landeinwärts äußerte sie:
»Sie sind ein Tribun? Man fürchtet Sie sogar?«
»Man fürchtet mich. O ja, ich glaube wohl, daß jene vornehmen Herren mich fürchten, die damals, als ich die schamlosen, verworfenen Sitten des Thronfolgers nach Verdienst öffentlich gebrandmarkt hatte, in mein Haus gedrungen sind.«
»Ach, wie ist das abgelaufen?« fragte sie, begierig auf Geschichten.
Er blieb stehen.
»Sie mußten sich in der nächsten Apotheke die Köpfe verbinden lassen. Die Polizei vermied es ängstlich, sich einzumischen«, sagte er kalt und ging weiter.
Er gab ihr zehn Sekunden zum Nachdenken; dann hielt er wieder an.
»Aber niemand, der ein gutes Gewissen besitzt, braucht mich zu fürchten. Man weiß ja gar nicht, wie weich ich bin, wieviel von meinem Zorn aus einer zu zärtlichen Seele kommt, und wie dankbar und treu ich dem Mächtigen, Frau Herzogin, wäre, der für meine Sache seine Hand erhöbe.«
»Und Ihre Sache?«
»Ist mein Volk«, sagte Pavic und setzte seinen Weg fort.
Sie wanderten über spitze Kiesel. In einem armseligen Acker standen gebückte Gestalten, sie warfen unablässig, mit immer gleichen Bewegungen, Steine auf die Straße hinaus. Der Weg lag voll, und das Feld ward nicht leer. Ein Bauer sagte:
»So werfen wir das ganze Jahr. Gott weiß, wo der Teufel all die Steine hernimmt.«
»Das ist auch mein Los«, versetzte Pavic sofort. »Jahrein jahraus schleudere ich Ungerechtigkeit und Frevel an meinem Volk aus dem Acker meines Vaterlandes – aber Gott weiß, woher der Teufel immer neue Steine nimmt.«
Die Öffnung einer Lehmhöhle klaffte. Die Herzogin trat, um dem immer nachdrängenden Volke auszuweichen, auf die Schwelle. Ungeheure irdene Krüge ragten in den Ecken, auf dem Boden von hartgestampfter gelber Erde. Durch den schwarzen Raum zog der Geruch von gebratenem Öl. Vor dem schwelenden Feuer eines feuchten Reisigbündels froren drei Männer in braunen Mänteln. Einer sprang