Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich Mann

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Название Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy
Автор произведения Heinrich Mann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066384012



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Betschemel hing ein Rosenkranz. Tamburini ließ sich nieder, beinahe unbewußt. Seine Finger legten sich ineinander, das lange Kleid schleppte hinter ihm. Ohne seiner Rede weiter zu folgen, betrachtete die Herzogin ihn mit neu angeregter Teilnahme. Er erinnerte sie an das Bild manches jesuitischen Heiligen, der steif aufgepufft und starkknochig himmlischen Gesichten unterlag. Das gallige, muskulöse Antlitz des Glückseligen deutete auf einen tüchtigen Verwalter und Geschäftsmann, einen hohen Ordensbeamten, der Übung besaß im harten Umspringen mit Menschen und im Handhaben großer Gelder. In freien Stunden unterhielt er sich manchmal, so. wie man ihn gemalt hatte, mit schönen, reichentwickelten Engeln. Sie schwebten über dem Erdboden, doch mit Mühe, denn ihre Reize waren derb und sinnlich. Der Heilige erfreute sich dieser Sendlinge seines Paradieses mit Ernst und Zurückhaltung. Seine frommen Hände tasteten nicht einmal nach dem Untersten, Beleibtesten. Nur feuchteten sich die gen Himmel fliehenden Blicke, und die Lippe fiel wulstig aufs Kinn.

      Die Herzogin gab, in der Lebhaftigkeit ihrer Einbildung, einer seltsamen Versuchung nach. Plötzlich trat sie vor den Knienden hin; sie erhob einen gerundeten Arm, sie streckte einen Fuß nach hinten, gleich dem größten der Engel auf jenen Altartafeln, und sie lächelte. Sogleich verzerrte Tamburini den Mund, ganz so wie am Abend, als er Lilian Cucuru den Orangensaft anbot, der über seine Finger geronnen war. Diese Wirkung genügte ihr. Sie ließ ihn, laut auflachend, allein.

      Nach Verlauf von drei Minuten kehrte sie ins Zimmer zurück und sagte:

      »Wenn es Ihnen recht ist, Monsignore, so teilen wir uns jetzt als vernünftige Menschen mit, was wir voneinander wollen.«

      Er stand ein wenig betreten da, doch im Grunde nicht unzufrieden mit dem Ausgang der Sache. Der Versuch, die Herzogin von Assy für den Glauben zu gewinnen, mußte gemacht werden. Daß er aussichtslos sei, daran hatte der kluge Priester kaum gezweifelt. Er hatte einfach einer Gewissenspflicht genügt. Nun durfte er, endgültig beruhigt, zu sachlichen Verhandlungen schreiten, die seinem Geschmack und Wesen besser entsprachen als ekstatische Bekehrungsversuche. Er bot ihr in schlichten Worten für die dalmatinische Staatsumwälzung die Bundesgenossenschaft der Kirche an.

      »Endlich erkenne ich Sie wieder, Monsignore«, entgegnete sie. »Sie sind ja ein viel zu starker Mensch, als daß Sie ein überzeugender Bußprediger sein könnten. Ich bitte Sie: mit einem römischen Profil spricht man nicht von Gnade und Jenseits.«

      Er verbeugte sich, merklich geschmeichelt. Sie saßen sich höflich gegenüber, und Tamburini erklärte ihr, sie habe ihre Unternehmungen romantisch, also falsch begonnen. Es gelte nun, sie nüchternen Sinnes fortzuführen. Die Kirche sei wesentlich praktisch, überstürzte Wagnisse lehne sie ab. Der Tropfen Öl, der jeden Sonntag von der Kanzel fließe, der bereite ein fernes, doch sicheres Feuerbad vor.

      »Noch besser, es wird alles milde und unvermerkt verlaufen. Ich wundere mich, daß es Eurer Hoheit bisher entgehen konnte, wie unwiderstehlich die Teilnahme der niederen Geistlichkeit Ihre Sache machen muß. Das Volk ist mit kleinen Abbaten durchsetzt, es sind seine Söhne, Brüder, Vettern und Schwäger. Jede größere Familie hat einen und ordnet sich ihm unter bei allem, was nicht Ernte oder Vieh ist. Überlassen Sie uns die Propaganda, Frau Herzogin, und nach einigen Jahren wird der Wille Ihres Volkes so klar sein und so zwingend, daß der jetzige Monarch den vom Marquis San Bacco erwähnten Reisesack ungebeten wieder zur Hand nimmt.«

      Schließlich erklärte sie sich mit allem einverstanden.

      »Es erübrigt nur, uns über unsere Forderungen zu einigen. Ich brauche gegen meine Feinde die Hilfe der Kirche. Und Sie, was brauchen Sie?«

      Er sah aus, als wüßte er nichts.

      »Ihre Bekehrung, Hoheit ... wäre zu schön gewesen«, fügte er rasch hinzu, angesichts ihres spöttischen Blickes.

      »Wir würden uns begnügen mit der des Barons Rustschuk.«

      »Rustschuks Bekehrung! Ist er Ihnen unbekehrt noch nicht grotesk genug?«

      »Unterschätzen Sie ihn nicht. Wir halten ihn für den Berufenen, im Osten das katholische Kapital zu organisieren gegen ...«

      »Gegen?«

      »Gegen die Juden ... Das wäre eine seiner würdige Aufgabe.«

      »Allerdings«, meinte sie. »Und das ist alles, was Sie verlangen?«

      Er redete lange, um sie zu überzeugen, daß das alles sei, und sie glaubte ihm nicht ungern. Es belustigte sie beträchtlich, am Horizont ihrer Zukunftspläne als den begehrtesten, ansehnlichsten Gegenstand ihren alten, treuen Hausjuden heraufsteigen zu sehen, mit weich schüttelndem Bauch und aufgeblättertem, rotem Gesicht. Noch als Tamburini sich verabschiedete, wiederholte sie:

      »Jawohl, er muß bekehrt werden. Sooft er auch schon getauft ist – bekehrt ist er nicht. Und er muß bekehrt werden.«

      »Es wäre ein großes Glück – für ihn und uns. Ich verehre den Herrn von Rustschuk hoch, sehr hoch. All das Geld ... All das Geld!«

      Und Tamburini entfernte sich mit vollen Backen.

      Die Herzogin schuldete der Fürstin Cucuru einen Besuch. Die Blà ging mit. Als sie in der Pension Dominici, Via Quattro Fontane, erschienen, schrie die Cucuru über die Köpfe der achtungsvoll verstummenden Gäste hinweg:

      »Sagen Sie der Herzogin von Assy, daß ich bei Tische sitze und sie zu warten bitte.«

      Die beiden Damen betraten den vom Speisezimmer durch einen schmutzigbraunen Vorhang getrennten Salon. Er war voll von Plüschmöbeln, deren Lehnen durch die Arme und die Rücken ungezählter Fremdlinge hart und fuchsig gescheuert waren, und von Teppichen mit widerspenstig nach oben gerollten Ecken. Von der Decke hingen Festons, an den Wänden die Bildnisse des Wirtes und seiner Gattin. Vor Spiegeln in den Winkeln standen auf Konsolen aus grünem Blech gedrungene, neckische Biskuitfiguren, inmitten von Papierblumen, und trugen in vergoldeten Körbchen Rosen aus Seife. Alle diese Gegenstände schützte dicker Staub.

      Aus dem Nebenzimmer drang der Duft billiger Fette. Man hörte Bestecke klappern und das Kichern von Vinon Cucuru. Die Mutter heulte der angewidert von ihrem Teller wegsehenden Lilian zu, sie solle sich pflegen. Tüchtig essen und täglich auf geordnete Verdauung halten, das sei die ganze Lebensweisheit.

      »Ich habe die kranken Knie und kann mir keine Bewegung machen. Aber ich trinke mein Vichywasser und verdaue ganz prächtig!«

      Sie versenkte sich in die liebevolle Beschreibung ihrer körperlichen Verrichtungen und kaute dabei unablässig, keuchend und nach Luft schnappend. Sie goß glucksend ein Glas Wein hinab, die Wangen der Greisin erblühten rosig unter ihrem weißen Scheitel. Sie faltete die Hände in gestrickten Halbhandschuhen über dem unförmlich vorgestreckten Bauche und genoß einen Augenblick der Abspannung und des Friedens. Dann nahte der fettige Kellner mit einem frischen Gericht, und die Begierde nach möglichst langer Erhaltung zwang die Lebenslustige zu neuer angestrengter Arbeit. Jeder Zugwind, der den braunen Vorhang aufflattern ließ, enthüllte den Besuchern nebenan das scheußliche Bild der sich nährenden Alten.

      Eine Magd zeigte sich in der Tür.

      »Carlotta!« schrie die Fürstin, »hast du den Rosenkranz gebetet? Gleich tust du es, sonst sage ich deinem Beichtvater, daß du heute nacht wieder den Joseph in deinem Zimmer gehabt hast!«

      Die Magd verschwand.

      Endlich befahl sie: »La bouche!« Das Gebiß knackte, der Kautschukkolben ihres Stockes stieß auf den Boden.

      »Meine Leute!« rief sie den Bediensteten der Pension zu, »ihr kocht recht ordentlich, ich habe gut gegessen!«

      Sie ging auf die Herzogin los und wiederholte:

      »Man wird hier satt. Gesteh es, Lilian, man wird satt.«

      »Schon vom Ansehen!« erklärte Lilian.

      Stöhnend fiel die Greisin in einen Sessel.

      »Machen Sie sich nichts aus dem Trödel hier in dem Lokal. Ich mache mir auch nichts daraus. Da, schaut die Reiterfigur auf dem Tischchen nicht aus wie schwere Bronze? Und nun stoß ich sie um, paßt auf, mit einem