Im Westen geht die Sonne unter. Hansjörg Anderegg

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Название Im Westen geht die Sonne unter
Автор произведения Hansjörg Anderegg
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783967526899



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Augen nicht. Bald halb zwei. Seit fast einer Stunde steckte er in dieser Kolonne auf dem Anacostia Freeway und näherte sich bestenfalls im Schritttempo dem Campus des heiß geliebten Department of Homeland Security. Wie konnten sie die neuen Büros in eine derart gottverlassene Gegend bauen, die vor allem durch mannshohe Maschendrahtzäune glänzte? Im Leben wäre er nicht auf die Idee gekommen, hier auch nur durchzufahren. Aber wenn das allmächtige DHS rief, musste auch die fast allmächtige NSA gehorchen. Er griff zum Telefon, um seine Verspätung anzukündigen. Eine Viertelstunde würde er noch brauchen, sofern er den neuen Campus überhaupt fände.

      Es war viertel vor zwei, als er den Saal betrat. »Habe ich etwas verpasst?«, grüsste er den Sitzungsleiter kaltschnäuzig.

      »Eine Viertelstunde.«

      Sie belauerten sich einen Augenblick lang wie zwei verwundete Pitbulls, dann setzte er sich wortlos auf den nächsten leeren Stuhl.

      »Nachdem jetzt alle eingetroffen sind, können wir Punkt zwei in Angriff nehmen«, fuhr der Sitzungsleiter vom DHS trocken weiter. Er schaute demonstrativ auf seine Uhr. »Wir haben noch genau achtzehn Stunden und dreizehn Minuten bis zum nächsten Briefing des Sicherheitsberaters. Wir sollten die Zeit nutzen.«

      Kopfrechnen kann er, dachte Bob verächtlich. Ken Brown, der diese überflüssige Sitzung leitete, war einer seiner zahlreichen Lieblingsfeinde beim DHS, und auch dieses Meeting begann genau so, wie er befürchtet hatte. Er wäre besser zwei Stunden zu spät gekommen.

      Brown forderte seinen Kampfredner Pete Miller auf, die bisherigen Erkenntnisse des Departments zum Fall Mountain Pass zu präsentieren. Obwohl Miller wie ein Maschinengewehr sprach, war er keineswegs schneller fertig, denn er hatte viel zu sagen. Minutiös zählte er die Quellen auf, die er und seine Heerschar von Beamten angezapft, die Informationen, die sie in mühseliger und professioneller Kleinarbeit zusammengetragen hatten, bevor er endlich zum ernüchternden Schluss kam:

      »Um es kurz zusammenzufassen: aufgrund der Facts betrachten wir eine Verbindung zu islamistischen Terrorzellen und al-Qaida zurzeit als eher unwahrscheinlich.«

      Bob zählte innerlich langsam bis drei, um nicht zu explodieren. Was dieser Schnellschwätzer von sich gab, war keine Erkenntnis, sondern eine Vermutung, die ihm selbst schon eingefallen war, als er die erste Meldung von der Bergwerkskatastrophe gelesen hatte. Das Muster des Anschlags passte ganz offensichtlich nicht ins Schema der Standard-Terroristen aus dem Nahen Osten. Das Ziel war zu exotisch. Ein anderes Wort fiel ihm nicht ein. Nicht spektakulär genug für al-Qaida. Mountain Pass versetzte zwar die Regierung in höchste Aufregung, aber weite Teile der amerikanischen Bevölkerung nahmen den Anschlag gar nicht zur Kenntnis. Ein solcher Coup lohnte sich einfach nicht aus Sicht der islamistischen Gangster.

      Er goss sich ein Glas Wasser aus der Flasche vor seinem Sitznachbarn ein, um den schalen Geschmack im Gaumen hinunterzuspülen. Er fühlte sich schlecht. Erst die lange Fahrt im Stau, jetzt der Gestank nach frischer Farbe im stickigen Sitzungszimmer. Und was er hörte, machte die Sache auch nicht besser. Statt die Spezialisten in Ruhe arbeiten zu lassen, organisierten die hohlen Koordinatoren eine Sitzung nach der andern, es war zum kotzen. Dem Kollegen vom ›Büro‹ gegenüber am Tisch ging die Sache ähnlich an die Nieren, wenn er seinen leidenden Gesichtsausdruck richtig interpretierte. Der Mann vom FBI räusperte sich und begann zu sprechen, ohne auf Browns Einladung zu warten.

      »Da stimmen wir völlig mit euch überein, Ken«, sagte er, und alle wussten, dass es kein Kompliment war. »Wir haben inzwischen die Spur eines der Fahrzeuge, zurückverfolgt. Ein blauer ›Chevy‹ Pick-up S10. Die Täter haben ihn bei einem Händler in San Diego gekauft. Wir wissen, dass damit der Sprengstoff transportiert wurde. Trinitrobenzen, 1,3,5-TNB. Der Stoff, den Minen und Militär benutzen.«

      »Passt«, grinste Brown albern. »Gibt’s auch Spuren von den Tätern?«

      Das Gesicht des FBI-Mannes verfinsterte sich. »Stell dir vor, das haben wir uns auch schon gefragt«, knurrte er. Fingerabdrücke, Gewebeproben etc. kannst du vergessen. Die Leute sind Profis. Um ganz sicher zu gehen, haben sie die Karre abgefackelt und anschließend verschrotten lassen. Wir sind ganz auf die zweifelhaften Aussagen des Händlers und einiger Augenzeugen angewiesen. Die deuten darauf hin, dass die Täter über den Containerhafen von San Diego ein- und wieder ausgereist sind. Da unten ist ziemlich viel los, wie du dir vorstellen kannst, und überdies hört unsere Zuständigkeit in internationalen Gewässern auf.«

      »Wir sind bereits am Ball, überprüfen die Frachter. Können aber erst im nächsten Hafen aktiv werden«, warf Liz Tucker aus Langley im Telegrammstil ein. Die Giftspritze von der CIA war Bob schon böse an die Gurgel gefahren, als einer seiner Männer im ›Außendienst‹ der Agency in die Quere gekommen war. Die guten Menschen aus Langley hatten keine Ahnung, wie viele Finger die NSA in alle Welt ausstreckte. Noch nicht einmal in Fort Meade wussten mehr als ein paar Dutzend Leute, wie viele Mitarbeiter in aller Welt vor Ort ›humint‹, human intelligence, betrieben. Mitarbeiter, die sich überall dort die Hände schmutzig machten und Geheimdienstinformationen sammelten, wo die ›sigint‹, signals intelligence, ihre wundersame Abhörtechnik in Fort Meade, nicht ausreichte. Die andern Dienste und das gemeine Volk wussten so gut wie nichts darüber, was innerhalb seiner NSA vor sich ging, und das war gut so.

      Liz Tuckers Bemerkung wirkte wie eine kalte Dusche auf den Sitzungsleiter. Er hörte sich beinahe resigniert an, als er nachdenklich feststellte: »Die Spur ist kalt. Habe ich recht?«

      »Nicht ganz«, antwortete der Mann vom FBI. »Die Schiffe, die in der fraglichen Zeit nach dem Attentat in San Diego ablegten, sind bekannt, ebenso ihre Destinationen. Es ist erstaunlicherweise keines aus dem arabischen Raum dabei. Die meisten der Frachter nahmen Kurs auf Ziele in Japan und Südostasien.«

      »Was die Suche nicht gerade einschränkt«, ergänzte Liz spitz.

      »Ich behaupte nicht, dass es einfach wird.«

      Bob amüsierte das kleine Geplänkel, doch er fand, dass die Zeit gekommen war, etwas Struktur in die Debatte zu bringen. »Ken«, sagte er entschlossen und nickte dem Sitzungsleiter zu, als bedankte er sich für die Aufforderung zu sprechen. »Die NSA verfolgt einen etwas anderen Ansatz. Wir gehen, wie alle hier im Raum, von einem rationalen Anschlag aus. Es war nicht die sinnlose Tat einiger Verrückter. Alles deutet auf wohlüberlegtes Handeln hin. Also fragen wir uns: wem nützt diese Tat, wer profitiert davon?« Er hielt inne, beobachtete die Reaktion der Zuhörer. Befriedigt fuhr er weiter: »Seltene Erden, insbesondere Neodym und Dysprosium, sind Rohstoffe von nationaler Bedeutung für die Vereinigten Staaten. Ohne sie gibt es keine modernen Waffensysteme, keine effizienten Elektromotoren, keine Generatoren für Windturbinen, keine Hybrid- und Elektroautos, keine moderne Beleuchtung, noch nicht einmal vernünftige Wasserfilter. Wir wissen das spätestens seit dem ›GAO‹ Report vom April 2010. Aus dem gleichen Report erfahren wir, dass die USA den Abbau und die Verarbeitung dieser Metalle in den letzten Jahrzehnten sträflich vernachlässigt haben. Die letzte Mine auf unserem Boden, Mountain Pass, war einmal der weltweit größte Produzent Seltener Erden, bis sie 2002 aus Umweltschutzgründen stillgelegt werden musste. Inzwischen produziert die Volksrepublik China 97% des Weltbedarfs dieser Metalle. Jetzt hat Mountain Pass den Betrieb langsam wieder hochgefahren, bis zur Katastrophe am 9. März. Mit andern Worten: der Nachschub für große Teile der Streitkräfte und den Energiesektor unseres Landes ist jetzt auf Jahre hinaus vollständig abhängig von unseren Freunden im Reich der Mitte.«

      Nach einer Schrecksekunde brach der Tumult umso heftiger los. Bob ließ sich nicht beirren, wartete geduldig, bis sich die Aufregung wieder legte. Die Entrüstung seiner Zuhörer war geheuchelt. Jeder wusste das. Er traute sich einfach als Erster, den explosiven Verdacht laut auszusprechen. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte: die Tatsachen deuteten auf die Möglichkeit hin, dass China seine Hand im Spiel hatte. Wäre das der Fall, käme es einer Kriegserklärung gleich. Dann könnten alle hier im Raum zusammenpacken und an den Strand fahren, Muscheln suchen. Dann wäre die Sache höchstens noch mit diplomatischen Mitteln aus der Welt zu schaffen.

      »Ihre Reaktion zeigt mir, dass Ihnen der Gedanke nicht fremd ist«, sagte er rundheraus, und keiner widersprach. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Wir verfügen noch über keine gesicherten Erkenntnisse. Es ist bisher nur eine offensichtliche