Im Westen geht die Sonne unter. Hansjörg Anderegg

Читать онлайн.
Название Im Westen geht die Sonne unter
Автор произведения Hansjörg Anderegg
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783967526899



Скачать книгу

seiner alten Mutter bereitete ihm ernsthafte Sorgen. Allzu lange sollte sie nicht mehr allein in ihrem Häuschen bleiben.

      Weißes Haus, Washington DC

      Bob Wilson saß nicht zum ersten Mal in einer Sitzung im Weißen Haus. Als Deputy Director der Nationalen Sicherheitsbehörde, NSA, musste er seinen Boss hin und wieder an einem Briefing oder Hearing vertreten. Diesmal aber war es anders. Der Sicherheitsberater des Präsidenten persönlich hatte die Spitzen des gigantischen Sicherheitsapparates der Vereinigten Staaten zu diesem geheimen Meeting ins abhörsichere Zimmer im innersten Kern des Weißen Hauses geordert. Cheryl Rudd, Direktorin des FBI, saß sichtlich nervös zu seiner Linken auf der Stuhlkante und blätterte in irgendwelchen Unterlagen. Der Untersekretär für Wissenschaft und Technologie vertrat das DHS, das Department of Homeland Security, das seine glitschigen Finger wie ein Riesenkrake seine Tentakel in alle Geheimdienste steckte. Sogar in seine NSA. Die Leute aus Langley kannte er bisher nur dem Namen nach. Admiral Jack Parker, den Vorsitzenden des Generalstabs, war jedem aus dem Fernsehen bekannt. Er vertrat das Verteidigungsministerium. Der Verteidigungsminister selbst zog es vor, der Sitzung fernzubleiben, die er nicht selbst leitete. Jeder der Chefs brachte noch mindestens zwei Spitzenbeamte mit, von denen Bob einen einzigen flüchtig kannte. Das Zimmer war nicht für solche Volksaufläufe gedacht. Zum Teil saßen die Leute in zwei Reihen um den großen Tisch. Nur Pete Miller vom DHS sprach gedämpft mit Admiral Parker, sonst herrschte gespannte Ruhe.

      Die Tür flog auf. Der Sicherheitsberater stürmte herein. »Bleiben Sie bitte sitzen – Morgen«, rief er mit seinem kräftigen Bass, während er zum Platz am Kopfende des Tisches eilte. Michael Morris war immer in Eile.

      »Verlieren wir keine Zeit«, sagte er. Sein gereizter Gesichtausdruck verriet, dass er meinte, was er sagte. »Der Präsident will meinen Bericht in einer Stunde. Also…« Er schaute kurz in die Runde. Mit einem angedeuteten Lächeln fixierte er die Direktorin des FBI. »Nun, Cheryl, was haben Sie uns zu sagen?«

      »Danke, Michael«, antwortete sie. Sie war jetzt die Ruhe selbst, wie Bob verwundert feststellte. Souverän, mit der selbstverständlichen Routine des Stammgasts in diesen Kreisen, begann sie ihren Bericht:

      »Am 9. März, 0817, ereignete sich eine Explosion auf dem Gelände der ›Nedys Corp‹ in Mountain Pass im Südosten Kaliforniens. Die Firma betreibt dort im Tagebau die größte Mine für Seltene Erden auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten. Die Explosion hat das Verwaltungsgebäude und drei der angrenzenden Lagerhallen und Betriebsgebäude zerstört. Um 0820 gingen insgesamt fünf Sprengladungen am Kraterrand hoch, was zu einem massiven Felssturz führte, der zwölf Leute verschüttete, darunter fast die gesamte Betriebsleitung. Keiner hat überlebt. Eine Minute später explodierten ebenfalls fünf Sprengsätze auf der gegenüberliegenden Seite des Kraters. Der anschließende Felssturz begrub zehn Mineure, die gerade ihre Schicht angetreten hatten. Auch sie überlebten nicht. Experten, die das Bergwerk nach dem Anschlag untersucht haben, kamen zum Schluss, dass der Betrieb dort, wenn überhaupt, erst in frühestens fünf Jahren wieder aufgenommen werden kann. Der materielle Schaden und die Kosten für einen Wiederaufbau belaufen sich nach neusten Schätzungen auf eine halbe Milliarde Dollar.«

      »Was heißt: wenn überhaupt?«, fragte Morris.

      »Man hat kurz vor dem Anschlag Radioaktivität im Fels festgestellt. Das war auch der Grund, weshalb sich die Betriebsleitung im Krater befand.«

      »Danke, Cheryl. Das Ganze hört sich nach einem sinnlosen Gemetzel an. Einige von uns wissen inzwischen, dass weit mehr dahinter steckt. Bevor du den Stand der Ermittlungen präsentierst, möchte ich, dass uns das DHS in aller Kürze erklärt, weshalb dieser Anschlag so verdammt wichtig ist, mal abgesehen von den Toten.«

      Pete Miller räusperte sich umständlich, bevor er so schnell zu sprechen begann, dass Bob anfangs nur die Hälfte verstand. Millers Aussage interessierte ihn sowieso nur am Rande. Er war längst im Bilde, was da in den Bergen Kaliforniens gesprengt worden war. Seltene Erden kamen überall und häufig vor in der Erdkruste, aber abbaubare Vorkommen gab es in den Vereinigten Staaten im Wesentlichen nur eines – bis zum 9. März. Jetzt gab es nichts mehr auf amerikanischem Boden. Die ganze Weltproduktion von Neodym, Dysprosium und anderen Lanthanoiden kam aus China, und die brauchten mehr und mehr dieser Metalle für die eigene Produktion. Miller betonte die Wichtigkeit der Seltenen Erden für die Streitkräfte. Wenn die Nachschub brauchten, war keiner mehr da, falls die Chinesen dicht machten. Aber nicht nur die Elektromotoren der Radargeräte und Waffensysteme waren hochgradig gefährdet ohne genügenden Vorrat an diesen Metallen. Auch der kritische Wirtschaftssektor für erneuerbare Energien hing vollkommen ab vom Dreck, den man in Mountain Pass aus dem Boden gekratzt hatte. Ohne Hochleistungsmagnete aus Neodym konnte die Regierung das ganze schöne ›Clean Energy‹ Programm gleich wieder einstampfen. Bob war völlig klar, weshalb die Spitze des nationalen Sicherheitsapparats hier versammelt war.

      »Ich denke, damit ist auch der letzte Zweifel ausgeräumt, dass unser Land auf eine ernsthafte Krise zusteuert, wenn wir nicht schon drin stecken«, bemerkte der Sicherheitsberater, nachdem Miller geendet hatte. »Unsere Vorgänger im Weißen Haus haben leider zugelassen, dass die ganze kritische Infrastruktur für Seltene Erden zugrunde ging. Und dieser Anschlag hat den Wiederaufbau nachhaltig gestoppt. Meine Damen und Herren, es ist unsere Aufgabe, diesen verdammten Scherbenhaufen so schnell wie möglich aufzuräumen.« Wieder fixierte er Cheryl Rudd, als wüsste sie all seine unausgesprochenen Fragen zu beantworten. Sie reagierte sofort und erklärte ohne Umschweife:

      »Wir tappen im Dunkeln, Michael. Die Sprengungen im Fels müssen während Tagen, wenn nicht Wochen, praktisch vor den Augen der Bergleute, vorbereitet worden sein. Sie sind absolut präzise und mit maximaler Wirkung ausgeführt worden. Eindeutig das Werk von Profis. Darauf deutet auch der verwendete Sprengstoff. Die Spurensuche geht weiter, aber allzu viele Hinweise werden wir nicht finden. Die Explosionen haben gründlich aufgeräumt. Wir sind daran, jeden Stein im Umkreis von zehn Meilen umzudrehen, haben jeden Bewohner der Gegend befragt. Bisher gibt es nur vage Hinweise auf genau sechs Autos, die ein paar Leuten aufgefallen sind. Keine Kennzeichen. Über Marke und Farbe konnten sich die Befragten nicht einigen. Wie gesagt, wir stehen erst am Anfang, und es sieht nicht gut aus.

      Admiral Parker unterbrach sie mit einer sehr kurzen Frage, die sich wohl alle sofort gestellt hatten: »Täterprofil?«

      Sie antwortete nüchtern, ohne Zögern: »Professionelle Sprengung für einen Auftraggeber, den wir noch nicht eingrenzen können.«

      »Das DHS befürchtet weitere solche Terroranschläge«, warf Miller ein. Er schickte sich an, die Liste der gefährdeten Objekte herunterzuspulen, doch Morris stoppte ihn mit einer ärgerlichen Handbewegung.

      »Noch wissen wir nicht, ob es ein Terroranschlag war, Pete. Oder gibt es neue Hinweise, Bob?«

      Was erwartete der Mensch? Die NSA war noch gar nicht offiziell an diesem Fall beteiligt. Bob hatte nicht übel Lust, Morris darüber aufzuklären, aber er war der Sicherheitsberater des Präsidenten, sozusagen dessen Ohr und Auge. Seine schnelle Antwort fiel deshalb ebenso geschliffen wie nichtssagend aus: »Wir analysieren natürlich auch in diese Richtung. Bisher konnten wir kein Terrormuster feststellen.«

      Morris schaute auf die Uhr. »Es wird Zeit, das weitere Vorgehen zu besprechen«, sagte er mehr zu sich selbst als zu seinem auserlesenen Publikum. »Ich habe Cheryl gebeten, eine Akte mit dem heutigen Stand der Ermittlungen zusammenzustellen. Jede Ihrer Behörden wird ein Exemplar erhalten. Sie wissen alle, was zu tun ist, und dass wir es verdammt schnell tun müssen. Wir können uns keinen zweiten Fall Mountain Pass leisten. Ich übernehme die Koordination der Ermittlungen, bis wir wissen, mit wem wir es zu tun haben. An unserer nächsten Sitzung in einer Woche erwarte ich konkrete Ergebnisse. Danke, meine Damen und Herren.« Damit erhob er sich. Beim Hinausgehen brummte er deutlich hörbar: »Der Präsident wird begeistert sein.«

       Kapitel 2

      Paradeplatz, Zürich

      Die Ampel schaltete auf grün. Das silberne BMW 6er Cabrio schoss haarscharf an einem alten Mann vorbei über die Kreuzung. Robert Bauer drückte genervt den dritten Zigarettenstummel aus und fluchte: