Die Täuschung. Norbert Lüdecke

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Название Die Täuschung
Автор произведения Norbert Lüdecke
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783806244120



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„Katholische außerparlamentarische Opposition (KAPO)“ oder „Außerhierarchische Opposition (AHO)“85. Ein bezeichnendes äußeres Detail berichtete der Jesuitenpublizist Mario von Galli:

      „Als ich vor meiner Katholikentagsrede wartend am Rand der Tribüne stand, drängelten sich plötzlich durch die dichte Menschenmenge – einen Platz suchend – Kardinal Döpfner und Weihbischof Angershausen. Offenbar hatten sie vermutet, oben auf der Tribüne – so wie es früher üblich war – für kirchliche Würdenträger reservierte Stühle zu finden. Es gab aber keine. Nur die Jazz-Musik war da angesiedelt und das Rednerpult“86.

      Die schon länger dauernde politisch-soziologische Debatte um die sogenannte zweite Demokratisierung, nämlich nach der des Staates 1945 nun die der gesamten Gesellschaft, griff auch auf die Kirche über und fand auf dem diskussionsoffen angelegten Katholikentag ein geeignetes Forum. Der Ruf nach innerkirchlicher Demokratisierung hatte auch den Mainstream-Katholizismus erreicht. So konnte vor der Delegiertenversammlung der katholischen Verbände Deutschlands verlangt werden, die

      „Laien an allen wichtigen Willensbildungsprozessen zu beteiligen … In diesem Zusammenhang muß die Kirche begreifen, daß es nicht um die Verwirklichung laizistischer Machtansprüche, sondern um die Verwirklichung der Forderung nach vollständiger Inpflichtnahme eines mündigen Volkes Gottes geht“87.

      Mitwirkung nicht mehr als unverbindliches Gespräch miteinander, kein Meinungsaustausch als Sandkastenspiel, stattdessen geregelte demokratische Verfahren mit verbindlichen Ergebnissen: Im Ruf nach einem „Nationalkonzil“, auf dem alle katholischen Gruppen entscheidungsberechtigt sein sollten, bündelte sich die Forderung nach einer Demokratisierung der kirchlichen Strukturen.88 Damit war die Systemfrage gestellt, und nicht nur die Hierarchie alarmiert. Der Essener Katholikentag wird als „Aufstand der Laien“89, seine Zeit als „Sturmjahre“ erinnert.90 Von Kardinal Frings ist überliefert, „die ganze Nazizeit habe ihm nicht so zugesetzt wie die Nachkonzilszeit“91.

      Can’t beat them? Join them!

      Für den Episkopat stellte sich die Frage, wie die offensichtliche Desintegration des deutschen Katholizismus und der kritische Druck akut verringert und auf längere Sicht verlässlich abgebaut werden könnten. Die Vorbereitungsgremien des Katholikentages hatten auf langen Sitzungen darüber beraten, wie die sich zuspitzende Lage im Griff bleiben konnte. Dies gelang weitgehend mit der Strategie, den heranstürmenden Kritikern offene Türen zu bieten, Foren und Diskussionen weit auf zu machen.92 Klar war aber, so der damalige Präsident des Katholikentages, Bernhard Vogel, im Rückblick und in kollaborativer Wir-Form: Geredet werden durfte, jeder Anspruch auf Geltung aber, „stieß auf unseren entschiedenen Widerstand. Wir wollten verhindern, dass aus kirchlicher Meinungsbildung kirchliche Willensbildung wurde. Die … Tradition … als Forum öffentlicher Meinung sollte erhalten bleiben und auch künftig fortbestehen“. Aber: „Aus Katholikentagen sollten nicht Kirchentage werden“93.

      Auch die deutschen Bischöfe hatten sich im Vorfeld eilig in Königstein versammelt und mit einer Erklärung den Eindruck erweckt, als könnten Gläubige ausnahmsweise doch gewissensgedeckt empfängnisverhütende Mittel benutzen. Den Bischöfen war klar, dass eine vorbehaltlose Identifizierung mit „Humanae Vitae“ den Totalausverkauf ihrer eigenen Autorität bedeutet hätte. Die „Königsteiner Erklärung“ mit ihrer Komposition aus betonter Loyalität nach oben und der wenigstens impliziten Legitimierung eines Einzeldissenses nach unten dürfte – der Applaus auf dem Katholikentag spricht dafür – als stabilisierendes Ventil funktioniert und unmittelbaren revolutionären Druck abgebaut haben. Das verhinderte Eskalation und brachte wertvolle Zeit, um nach weiteren Möglichkeiten der Befriedung und der Re-Etablierung der kirchlichen Autorität insgesamt zu suchen.94

      Die unterschiedlichen Nachbereitungen des Katholikentages machten deutlich: Essen durfte sich nicht wiederholen. Um eine solche Aufstauung und unkontrollierte Entladung von Diskussionsdrang zu verhindern, sollten künftig Gespräch und Diskussion auch zwischen den Katholikentagen auf unterer Ebene möglich sein. Geordnet und überschaubar sollten diskussionsfreudige Katholiken Dampf ablassen können und viele kleine Ventile gefährlichen Druck frühzeitig aus dem Kessel nehmen.95

      Auch der Lagebericht Kardinal Döpfners auf der Herbst-Vollversammlung der DBK griff der Sache nach zur Ventiltaktik. Als zentrales Problem machte er die Krise der Autorität aus. Sie sei nicht nur punktuell, sondern grundsätzlich infrage gestellt. Um sie im unveränderlichen Gefüge der Kirche zu bewahren, empfahl er eine Doppelstrategie: Die Autorität solle einerseits kommunikativ ausgeübt werden, sich im Gespräch aktiv, vermittelnd, inhaltlich argumentierend öffnen. Anderseits solle sie als formale, direktive Autorität bewahrt werden, die Form und Gegenstand des Gesprächs bestimmt und begrenzt. Auch den Priestern gegenüber sei sie brüderlich auszuüben, ohne aber im Bedarfsfall auf die ernste Zurechtweisung (correctio fraterna) und gegebenenfalls auf disziplinäre Maßnahmen zu verzichten. Der Kontakt mit der Theologie sei zu intensivieren, um im Austausch etwaigen Gefährdungen vorzubeugen.96 Dass man nötigenfalls zum Eingreifen bereit war, zeigte der damals akute Fall des Religionspädagogen Hubertus Halbfas, dem Kardinal Frings das Nihil obstat für die Berufung an die Pädagogische Hochschule Rheinland in Bonn verweigert hatte und dessen „Fundamentalkatechetik“ von der Bischofskonferenz wegen glaubenswidersprechender und -gefährdender Inhalte öffentlich abgelehnt wurde.97

      Für das Zusammenwirken von Klerus und Laien seien Formen zu finden, die eine stärkere Mitverantwortung ermöglichen, aber an den unverzichtbaren Grundstrukturen der Kirche festhalten sollten. Gesetzgeberische Befugnisse seien ausgeschlossen. Beratung sei ernster zu nehmen, aber man müsse die Mitte halten zwischen bloß scheinbarer Beteiligung und einer revolutionären Aufhebung der hierarchischen Ordnung. Demokratisierungstendenzen wie beim holländischen Pastoralkonzil98 lehnte Döpfner ab. Im Katholizismus könnten Meinungs- und Willensbildung repräsentativ und demokratisch erfolgen. „Für die Kirche als Kirche“ aber könnten auch ein Nationalkonzil, eine deutsche Pastoralsynode oder ein nationales Pastoralkonzil – Döpfners Begrifflichkeit wechselte – nur „eine qualifizierte gemeinsame Beratung mit dem Episkopat“ sein, „deren Ergebnisse vom Episkopat zu verantworten wären“99. Zur näheren Auswertung und Prüfung der Synodenidee regte er Gespräche mit verantwortlichen Laien an.

      Willige Helfer

      Tatsächlich hatte das Krisenmanagement im persönlichen Kontakt zwischen Episkopat und ZdK bereits während des Katholikentages in Essen begonnen. Am Vortag seines Abschlusses, am 7. September 1968, seien sich Kardinal Döpfner, Friedrich Kronenberg, der Generalsekretär des ZdK, und Katholikentagspräsident Bernhard Vogel „einig“ gewesen: „Es muss zu einer Synode der Bundesrepublik Deutschland kommen.“ Denn: „Wir waren entschlossen, die weitere Entwicklung nach Essen nicht treiben zu lassen, sondern das Steuer selbst in der Hand zu behalten und die konziliare Erneuerung fortzusetzen“100.

      Das sollte im Weiteren auch geschehen: Am 9. November 1968 trafen sich zehn Diözesan- und Hilfsbischöfe mit Laienfunktionären in Essen-Werden. Eine zukünftige Kirchenversammlung sollte aus dem Demokratisierungskontext gelöst und stattdessen ekklesiologisch begründet werden. Entsprechend sollte auf ihr „nicht quantitatives Kompetenzdenken, sondern das Bemühen“ um „den je spezifischen Anteil aller an der Sendung der Kirche“101 prägend sein. Näheres sollte eine Studiengruppe unter Beteiligung von Bischöfen erarbeiten. Nur deren Einrichtung wurde der Öffentlichkeit bekannt gegeben, Ziel und Arbeit sollten dagegen geheim bleiben, um den Meinungsbildungsprozess zur Synodenfrage in der Bischofskonferenz nicht zu stören.102 Aus demselben Grund verhinderte der Generalsekretär des ZdK auf dessen Vollversammlung durch geschickte Handhabung der Geschäftsordnung die Annahme des BDKJ-Antrags, das Präsidium möge mit allen kirchlichen Stellen Verhandlungen über die Einberufung der Synode aufnehmen. Weil nicht fristgerecht eingereicht, könne er nur an den Geschäftsführenden Ausschuss zur weiteren Behandlung überwiesen werden.103

      Kurz nach Weihnachten trafen sich die Bischöfe in Fulda zu einer außerordentlichen Vollversammlung. Anders als üblich gab es am Ende keine Pressekonferenz und auch keinerlei Hinweise auf die Tagungsordnung. Verabschiedet wurde ein Wort der deutschen Bischöfe „Zu Fragen des Glaubens und des kirchlichen