Religionsgeschichte Anatoliens. Manfred Hutter

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Название Religionsgeschichte Anatoliens
Автор произведения Manfred Hutter
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783170269767



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Sonnengöttin von Arinna geweiht waren. Diese sehr plausible Annahme kann nun durch Ausgrabungsergebnisse in jüngster Zeit weiter deutlich gestützt werden. In mehreren Texten ist ein »Haus des Bronzeschalenhalters« (É ZABAR.DAB) genannt, in dem kultische Aktivitäten stattfanden. Für ein seit einigen Jahren etwas nördlich des Areals des Tempels 1 schrittweise ausgegrabenes großes öffentliches Gebäude hat Oğuz Soysal aufgrund der Sichtung jener Texte, die das »Haus des Bronzeschalenhalters« und die im Zusammenhang mit einem solchen Haus durchgeführten Praktiken nennen, gezeigt, dass diese textlichen Bezeugungen und der archäologische Befund gut miteinander korrelieren, so dass man dieses Bauwerk als »Haus des Bronzeschalenhalters« identifizieren kann. Kleinfunde mit kultischer Funktion aus diesem Gebäude sind in die althethitische Zeit zu datieren. Einblick in Kultpraktiken im »Haus des Bronzeschalenhalters« geben mehrere Texte, bei denen immer wieder sieben Gottheiten78 aus dem Kreis der Sonnengöttin genannt werden. KBo 25.51+ i 7’-17’ beschreibt dies wie folgt:79

      Der Aufseher der Köche (und) der Prinz, [voranlaufe]nd, [t]ragen die Götter(statue) [in das ZABAR.DAB-Haus f]ort. Der Prinz [verbeugt sich] (vor) der Gottheit [u]nd tritt (in das Gebäude ein). [Er verehrt sieben (Gottheiten) der Reihe nach: Son]nengottheit, Mezzulla, Telipinu], GAL.ZU, Taḫpillanu, [Kuzzanišu], Šušumaḫi. Der Prinz ver]neigt sich. Der Aufseher der Köche [gibt dem Prinzen ein …-Brot, und er (= der Prinz)] nimmt (es) für sich. [Er] kommt [aus dem ZABAR.DAB-Haus heraus und] geht […? in den Tempel der Sonnengottheit].

      Aufgrund der Beschreibung, dass der Prinz am Ende seiner Handlungen zum Tempel der Sonnengottheit, der zweifellos in der Nähe gelegen sein muss, geht, kann man den Schluss ziehen, dass mit diesem Tempel eben Tempel 1 gemeint ist. Somit gewinnt die vorhin genannte Annahme, dass in der östlichen der beiden Cellae in Tempel 1 die Sonnengöttin verehrt wurde, fast an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit.

      Andere Texte der althethitischen Zeit nennen noch weitere Tempel für verschiedene Gottheiten in Ḫattuša. So erwähnt Ḫattušili I. in seinen Annalen solche für die Sonnengöttin von Arinna, den Wettergott und Mezzulla. Möglicherweise bezieht sich diese Aussage ebenfalls auf Tempel 1. Möglich ist aber auch, dass die Lage der von Ḫattušili genannten Tempel im Bereich des Burgberges (Büyükkale) zu lokalisieren ist, wobei in diesem Fall jedoch von architektonisch kleinen Schreinen oder bloßen Kulträumen innerhalb des Palastareals auszugehen ist. Neben diesen Gottheiten nennen weitere Texte auch Tempel für Inar und Ḫalki.80 Ferner werden das ḫešta-Haus für die Unterweltsgöttin Lelwani sowie ein »Haus des kurša-« genannt. Neben den »Tempeln« gab es auch Stelen, die verschiedenen Gottheiten geweiht waren bzw. diese in der Hauptstadt repräsentierten. Zusätzlich zu solchen Textzeugnissen sind drei Tempel in der Oberstadt von Ḫattuša archäologisch nachgewiesen, die als Tempel 2, Tempel 3 und Tempel 5 gezählten Bauwerke, die aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammen.81 Welche Gottheiten in diesen drei Tempeln verehrt wurden, ist unbekannt. Wie weit bei der Felsengruppe von Yazılıkaya außerhalb der Hauptstadt nordöstlich des Burgberges bereits in althethitischer Zeit religiöse Aktivitäten ausgeübt wurden, ist schwer zu sagen.82 Keramikscherben aus diesem Bereich stammen aus der althethitischen Phase, und das so genannte Bauwerk I wurde um ca. 1500 vor der Felskammer A errichtet, anscheinend als Abgrenzung dieser Felskammer gegenüber der Umgebung. Daher kann man vermuten, dass dadurch ein für kultische Zwecke nutzbarer Raum geschaffen wurde. Die Ausstattung mit Reliefs, die bis zur Gegenwart sichtbar sind, ist jedoch erst im 13. Jahrhundert geschehen, eventuell mit einer einzigen Ausnahme, nämlich des als Nr. 65–66 gezählten Reliefs, das ein einander gegenübersitzendes Götterpaar zeigt, was ein – jedoch unsicherer – Hinweis auf eine kultische Nutzung des Platzes bereits in der späten althethitischen Zeit sein könnte.

      Fasst man zusammen, so stehen in Ḫattuša hattische Gottheiten im Mittelpunkt des Kultes, wodurch der Kult der Hauptstadt (bzw. der Staatskult) mit den alten lokalen Traditionen verflochten wird. Am deutlichsten ist dies im KI.LAM-Fest zu sehen, wenn Vertreter anderer Orte an diesem Fest in Ḫattuša teilnehmen, allen voran die wichtigen Priester aus Ziplanta bzw. Arinna. Dass Vertreter aus der dritten Kultstadt Nerik nicht bei diesem Fest in Ḫattuša anwesend sind, könnte mit der großen geographischen Entfernung Neriks von der Hauptstadt zusammenhängen, d. h. die Teilnahme von »auswärtigen« Priestern an den großen »Staatsfesten« in der Hauptstadt ist zumindest in der althethitischen Zeit auf jene Orte beschränkt, die nur zwei oder drei Tagesreisen entfernt waren. Ideologisch wichtig an der Teilnahme dieser auswärtigen Priester ist dabei, dass dadurch Religion ein Verbindungsfaktor zwischen dem politischen Zentrum Ḫattuša und den traditionellen hattischen Kultstädten wird.

      2.3 Plätze der Kultausübung

      2.3.1 Aussehen und Ausstattung der Tempel

      Wahrscheinlich dürfte jeder Ort wenigstens einen Tempel gehabt haben, dessen Größe von der Bedeutung des Ortes abhing. Allerdings sind bislang nur wenige eindeutig als Tempel zu identifizierende Bauten durch Ausgrabungen erschlossen worden. Insofern stützen sich Aussagen über Tempel und ihr Aussehen sowie ihre Ausstattung in althethitischer Zeit auf wenige textliche Hinweise, deren Aussagekraft teilweise durch junghethitische Beschreibungen erhöht werden kann, da man davon ausgehen darf, dass die Vorstellungen über Tempel eine starke Kontinuität aufweisen.83 Der wichtigste Terminus, den die Texte nennen, ist É.DINGIR bzw. in hethitischer Lautung šiunaš parna- bzw. šiunaš per, das »Haus Gottes/der Götter«, wobei anstelle des allgemeinen Begriffes »Gott« auch der Name einer Gottheit genannt werden kann, um den Tempel, der einer spezifischen Gottheit geweiht war, zu bezeichnen.84

      Hinsichtlich des Aussehens85 ist festzuhalten, dass die Ausrichtung der hethitischen Tempel nicht verbindlich ist, sondern teilweise den topographischen Gegebenheiten Rechnung tragen musste. Genauso ist als charakteristisch zu erwähnen, dass eine besonders erhöhte Lage innerhalb einer Stadt für den Tempel nicht verbindlich war. Ein Torbau ist der Zugang zum Tempel und führt in einen geschlossenen Hof. Der Hof (ḫila-) wird meist von einer oder zwei Säulenhallen (ḫilammar) an der Seite begrenzt und noch von anderen Bauten, deren genaue Funktion sich nur selten erschließt, umgeben. Auch auf dem Dach der Tempel konnten Kulthandlungen stattfinden, wie etwa eine Abbildung auf der İnandık-Vase zeigt. Wahrscheinlich ist damit zu rechnen, dass der Tempelhof nicht unbeschränkt für alle zugänglich war. Die Cella als zentraler Kultraum lag an einer Schmalseite des Bauensembles, entweder im Anschluss an den Hof, jedoch meist nicht direkt axial zum Torbau oder seitlich des Hofes, so dass man sich um 90 Grad wenden musste. Nachdem man vom Torbau in den Hof getreten war, musste man somit die Blickrichtung bewusst auf die Cella orientieren. Möglicherweise ist damit eine Konzeption ausgedrückt, die dem Tempelbesucher die Differenz zwischen dem »alltäglichen« und dem »sakralen« Raum bewusst machen sollte und so dazu diente, »Unerwünschtes« vom zentralen heiligen Ort innerhalb des Tempels fernzuhalten. Dazu trägt auch bei, dass die Cella nicht direkt zugänglich war, sondern einige vorgelagerte Räume den Weg »erschwerten«, der wohl nur für Priester offen war. Gelegentlich finden sich in einem Tempel auch zwei Cellae, wie dies in Tempel 5 und in Tempel 1 in Ḫattuša der Fall ist. Hervorzuheben ist, dass hethitische Tempel bzw. der Hauptkultraum Fenster haben konnten, so dass man die Statue der Gottheit sehen konnte. Dass dies nicht immer völlig problemlos war, zeigt ein allerdings erst junghethitisches Orakelprotokoll aus Alalaḫ:86

      Weil die Gottheit durch ein Orakel im Zorn über ein Sakrileg bestimmt wurde, befragten wir die Tempelleute. Folgendermaßen (sprach) Tila: »Nicht schaut man auf den Wettergott, aber eine Frau hat durch ein Fenster hineingeschaut. Und ein Kind ging in das Innere(?) des Tempels. Ich war zerlumpt(?) und wir gingen in das Innere des Tempels hinein.«

      Trotz der kurzen Ausdrucksweise ist klar, dass hier Fälle erörtert werden, die die Grenzen zwischen »außen« und »innen« in Bezug auf den Tempel missachteten, so dass der Wettergott erzürnte. Der unerlaubte Blick durch das Fenster in die Cella wie auch das unbefugte bzw. unangemessene Betreten der Cella erzürnen die Gottheit. Daraus kann man ableiten, dass der Tempel – bzw. die Cella – als ideell abgegrenzter Raum nicht für jedermann, sondern nur für qualifizierte Personen zugänglich war.

      Auch