Название | Zwischen Gras und Wolken |
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Автор произведения | Wolfgang Krinninger |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783869179056 |
Meistens wusste ich nicht einmal, wie sie heißen. Sieglinde, Linda, Selma, Satina – völlig egal. Ich hasste sie. Da konnten andere noch so sehr von ihrer Form, ihrer Haut, ihren inneren Werten schwärmen. Ich bekam eine Gänsehaut, wenn ich mir vorstellte, ich müsste sie anfassen. Tat ich es dann doch, weil ich musste, trug ich Handschuhe und wusch mir alle halbe Stunde angeekelt die Hände. Selbst als sie am Ende im Keller lagen, hatte ich kein Mitleid. Sollten sie in diesem Loch ruhig verschrumpeln und Wurzeln schlagen, ich fasste sie nicht mehr an. Meine Mutter war da anders. Sie mochte sie alle. Sie holte aus Sieglinde und ihren Freundinnen alles heraus. Seitdem weiß ich: Nur eine gare Kartoffel ist eine gute Kartoffel.
Vergangenheitsschwärmer werden jetzt mahnend mit dem Zeigefinger fuchteln. Es war doch so schön: Der Zusammenhalt unter den Nachbarn beim Erdäpfel setzen und ernten, der Ratsch auf dem Acker, die Zufriedenheit nach vollendetem Tagwerk, die Freude, wenn sich die Kisten auf dem Anhänger mit riesigen Knollen füllten. Verklärung, nichts als Verklärung! In Wirklichkeit trippelte man, verfolgt von Mäusen, mit schreienden Bandscheiben und Dreck unter den Nägeln durch nimmer enden wollende Ackerfurchen. Vom händischen Massenmord an den Kartoffelkäfern will ich gar nicht erst reden. Nicht mit mir: Es lebe der Fortschritt, ein Hoch auf Vollernter, Insektizid und Tiefkühl-Pommes. Meine Hände gehören mir – und sie bleiben sauber. Alles klar?
Und dann passierte es. Keine Ahnung, was in mich gefahren war. Auf jeden Fall stehe ich eines schönen Nachmittags barfuß in unserem zwei Quadratmeter großen Kartoffelbeet. Selbst unsere Hühner können den Anblick nicht fassen und recken aufmerksam die Hälse. Ob sie es erkennen? Ich stehe in diesem Augenblick wie der Landlord persönlich inmitten von zwei Quadratmetern erdiger Glückseligkeit. Mit Sonne im Gesicht, Schweiß auf der Haut und krummem Rücken. Es ist nichts mehr da von der alten Feindschaft. Ich weiß immer noch nicht, ob sie nun Sieglinde heißen oder Agria, Aula oder Sante. Aber ich kann sie anfassen, ganz ohne Groll und Grausen. Als nächstes würde ich die Erdäpfel im Granitbrunnen auswaschen. Und dann sofort ein paar von ihnen in hauchdünne Scheiben schneiden und in einem feinen Öl braten. Eine ganz einfache Sache. Ein Fest. Und im Winter nehm’ ich mir den Pflug vor. Der Rost muss runter. Kein Beet, ein Acker muss es künftig sein.
Goldgräberstimmung
Traumtage für Gartenfreunde, Selbstversorger, Landliebende, Schöpfungsgenießer, Einkocher, Marmeladenschlecker, Vorratsspeicherstapler, Krautstampfer, Lebensmittelveredler – einfach für alle, die mit Freude und Leidenschaft säen, beim Wachsen zuschauen, gießen, Unkraut jäten, Schädlingen hinterherjagen. Seit einigen Wochen ernten sie endlich die Früchte dessen, wofür sie in ihrer Freizeit den Buckel krumm gemacht haben. Und die heimischen Speisekammern füllen sich mit Köstlichkeiten, die jeder einzelnen Zelle auf der Zunge den Verstand rauben. Nie und nimmer könnte man dieses Geschmackserlebnis kaufen. Es verlangt Geduld, Liebe, Hingabe. Oder – wie in meinem Fall – einen lieben Menschen an der Seite, der all das aufbringt.
In unserer Speisekammer dominiert heuer die Farbe Gold. Das liegt am Honig. Eimerweise steht das süße Gold der Blüten in den Regalen. Es ist der großartige Abschluss unserer Imker-Premiere. Die beiden Bienenvölker haben uns offensichtlich sämtliche Anfängerfehler verziehen. Unglaubliche 100 Kilo feinsten Honig haben die Arbeiterinnen im Sommer hergestellt. Nicht einmal im Traum hätten wir gedacht, dass es so viel werden könnte. Und doch ist die Menge nicht das Entscheidende. Selbst wenn er nur für fünf Brote gereicht hätte: Wir fühlten uns wie die Goldgräber am Klondike, die auf eine dicke Ader gestoßen sind, als der erste eigene Honig aus der Schleuder unserer Lehrmeister heraus lief und wir den ersten Löffel kosten durften.
Das erste Bienenjahr – es war ein Abenteuer für die Sinne. Keine Woche verging ohne eine neue Entdeckung. Die Nase lernte, dass Lindenblüten dem Honig eine ganz andere Note geben als beispielsweise die Bäume des Waldes. Die Augen konnten sich nicht satt sehen am geschäftigen Treiben im Stock. Und auf Zunge und Gaumen verschmolzen die süßen Essenzen des Sommers zu einem kulinarischen Gedicht. Ich weiß jetzt, dass die Begriffe Beuten, Absperrgitter und Weiselfänger nichts mit kriminellen Machenschaften zu tun haben und denke bei den Worten Besen und Schleier nicht zwangsläufig an eine muslimische Hausfrau. Und beim Herumstöbern zwischen all den Gerätschaften beim Bayerischen Imkertag in Straubing hatten meine Frau und ich sogar schon das Gefühl, wir würden da jetzt tatsächlich irgendwie dazugehören.
Jetzt beginnt das neue Bienenjahr. Nach der Bekämpfung der Varroamilbe mit Ameisensäure kommt es jetzt vor allem darauf an, dass das Volk genügend Waben besetzt hat, damit es gut durch den Winter kommt. Wie die Bienen die kalte Jahreszeit überstehen, ist schon wieder der Wahnsinn: Sie spielen mit ihren Flugmuskeln und heizen so mit ihrer eigenen Körperenergie. Dabei kuscheln sie sich in einer Kugel zusammen. Ganz unten sitzen Bienen an den Futterwaben. Die verteilen das Futter an die anderen Bienen. Und damit keine erfriert, wechseln sie ständig ihre Plätze. So kann ein Volk bis zu 50 Minusgrade überstehen.
Nur wie die Bienen mit ihren Männern umgehen, damit werd‘ ich mich nie anfreunden können. Die haben nur einen Lebenszweck: die Begattung der Königin im Frühjahr. Das war‘s dann. Sobald im Hochsommer die Nahrung knapper wird, ist es aus und vorbei mit ihnen. Sie bekommen erst nix mehr zu fressen und werden schließlich aus dem Stock gezerrt, wo sie elend zugrunde gehen. Stellen Sie sich vor, die Biene Maja hätte das mit ihrem Willi gemacht …
Sagt mir, wo die Hühner sind –
der Vogelgrippeblues
Ich wollte einen Presssack. Ich bekam einen Aufruhr. So vergaß ich alles. Und ging mit einer Salami. So war das an jenem Samstag in der Metzgerei.
Es ging zu wie auf dem Petersplatz, wenn’s zum Segen auch noch Freibier gibt. Wie es sich gehört für eine gute Dorfmetzgerei am Samstag Vormittag. Ans Senfregal gedrückt, fand ich einen Platz zum Ruhen. Da spürte ich es, das Knistern in der Luft, ein Zittern: Aufruhr! Die Menge war eins in ihrem leisen Schrei nach Freiheit, und eine ältere Bäuerin gab die Losung aus: „Die Hühner einsperren, niemals! Vorher bringe ich alle um.“ Alle nickten. Ich auch. Einmal. Dann blieb mein Blick beschämt am Boden. Unsere Hühner waren schon drin, schon einen Tag nach dem Erlass von Oben. Schlimm: Es riecht nach Freiheit und Anarchie und man steht selber mittendrin als obrigkeitshöriger, ängstlicher Anpassungsspießer. Deshalb Salami und schneller Abgang.
Aber was blieb nach einer Woche vom Kampf um die Freiheit des Federviehs? Wo sind die Hühner geblieben? Alle eingesperrt oder tiefgefroren, auf jeden Fall abgeschottet von ihren vogelwilden Verwandten, die Tod und Verderben einfliegen könnten. Verraten von Denunzianten und mit Strafe bedroht, gaben auch die mutigsten Freiland-Hühnerfreunde auf.
Und jetzt? Kein Laut, nirgends. Kein Hahnschrei, der den Tag vom Joch der Nacht befreit. Verschwunden sind die gackernden Farbtupfer im Herbstlaub. Und die fetten Flugenten, die unkontrolliert wie besoffene Pershings durch den Luftraum fetzten, sitzen fest im Geflügel-Hangar oder hängen im Kühlraum. Auch den Chicken-Run gibt’s nirgends mehr: Die Mutprobe der wildesten Hühner, die im Graben auf Autos warten und im letzten Moment auf die Straße stürzen. Die Besten überquerten die Straße und kehrten exakt in dem Moment wieder um, wenn der Autofahrer glaubte, sie seien außer Gefahr. Alles vorbei. In diese freudlose Welt kann jetzt genau so gut der Nebel kommen, der Winter und die Lohnsteuererklärung.
Doch die Unterdrückung unserer gefiederten Freunde wird nicht ohne Folgen bleiben. Prophezeiten nicht schon die Indianer: Erst wenn das letzte Huhn gerupft ist, werdet ihr merken, dass Kaiserschmarrn ohne Eier eine trostlose Pampe ist. Aber ihr wolltet es ja so haben. Und es wird nirgends mehr ein selbstloses Huhn geben, das diesen Bampf aufpickt.
Deutschland ohne Dackel
Alle reden vom Artensterben. Kaum wird’s auf unserem Heimatplaneten ein paar Grad wärmer und es fließt ein Jahrhundert lang ein bisschen mehr Beton, machen so putzige Tierchen wie der australische Magenbrüterfrosch, der asiatische Kahlkopfgeier oder der chinesische Flussdelfin den Schuh. Hauen einfach komplett ab in die ewigen Jagdgründe. Ohne sich umzudrehen, ohne ein Wort des Grußes. Das ist bitter.
Aber bei aller Trauer: Das sind doch Randgruppen.