Название | Mord im Spital |
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Автор произведения | Herbert Lipsky |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783701179121 |
Ich ging wieder zu dem Toten. Marion würde ihn sehen wollen. Ich zog den Tubus heraus und schloss ihm, so gut es ging, den Mund. An einem Ständer hingen eine größere Infusionsflasche, die offenbar die Anästhesie angehängt hatte, und eine kleinere, wohl das Antibiotikum. Ich nahm beide ab und stöpselte die venöse Leitung zu. Dann kehrte ich mit beiden Infusionen in mein Zimmer zurück und schloss sie in einem Kasten ein.
Es dauerte nicht lange, bis Marion Lederer, geführt von ihrem Sohn, den Gang entlangkam. Ich umarmte sie und begrüßte auch den Sohn, der mich abweisend anstarrte. Ich führte beide in mein Büro. Marion sah bemitleidenswert aus, diese hübsche, stolze Frau schien in kürzester Zeit gealtert und gebrochen zu sein. Ich erzählte den unglücklichen Hergang und betonte, dass zwar rasch Hilfe zu Stelle gewesen sei, aber keine Reanimation mehr möglich gewesen war.
„Ich denke, es war eine Lungenembolie. Aber das wird die Obduktion zeigen.“
„Vielleicht haben Sie ihn auch schlecht operiert“, sagte der Sohn feindselig.
„Bitte, Sebastian, hör auf“, sagte Marion.
„Auch das wird die Obduktion zeigen, die von einem unabhängigen Gerichtsmediziner durchgeführt werden wird.“
„Ihr Ärzte haltet alle zusammen, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“
„Wie Sie meinen, Sie können jetzt zu Ihrem Vater.“
Ich führte sie ins Krankenzimmer und ließ sie mit dem Leichnam allein, dann ging ich ins Schwesternzimmer und setzte mich zu der armen Diensthabenden, für die bereits eine Ablöse gekommen war. Ich versicherte ihr nochmals, dass sie alles einwandfrei gemacht habe. Dann fragte ich sie, wer die Infusion vorbereitet habe. Das habe der Turnusarzt getan. Wo seien die Stechfläschchen des Antibiotikums? Sie müssten noch im Müll liegen. Gemeinsam durchsuchten wir den Müllsack und wurden fündig. Wir fanden auch die Durchstichflaschen des Natriumchlorids, mit dem das Antibiotikum aufgelöst worden war. Ich nahm alles an mich, auch die Packung, in der sich das Antibiotikum befunden hatte und in der sich noch einige ungeöffnete Chargen befanden.
„Schreiben Sie mir bitte auf, wie alles abgelaufen ist, das wird Sie völlig entlasten.“
Sie versprach mir, es zu tun.
Nach einer Viertelstunde kamen Mutter und Sohn aus dem Krankenzimmer. Marion sah mich im Schwesternzimmer sitzen und kam herein.
„Paul, entschuldige meinen Sohn, er ist jung und impulsiv, hat keine Ahnung, wie die Dinge im Spital ablaufen. Ich danke dir, dass du gekommen bist, obwohl du heute Geburtstag hast. Du sagst mir dann, was bei der Obduktion herausgekommen ist.“
Wir verabschiedeten uns mit einer Umarmung, und ich ging in mein Büro. Die Ampullen und die Schachtel legte ich zu den Infusionsflaschen und verschloss den Schrank wieder. Telefonisch teilte ich dem Oberarzt mit, dass der Leichnam einer forensischen Obduktion zugeführt werden solle. Dann fielen mir meine Gäste ein. Ich blickte auf die Uhr, ich war nun bereits seit drei Stunden im Spital.
Daheim war die Party in vollem Gang. Ich nahm mir ein Glas Wein und schmuggelte mich unter meine Gäste. Nicht alle hatten meine Abwesenheit bemerkt, andere riefen mir zu, wo ich denn gewesen sei. Julia allein wusste, worum es gegangen war. Und obwohl ich mich bemühte, gelang es mir nicht, Fröhlichkeit und Ausgelassenheit vorzutäuschen. Rede hielt ich keine mehr. Der Tod meines Patienten war mir zu nahegegangen. Als alle Gäste weg waren, blieben Julia und ich im Garten sitzen und ich erzählte ihr von den dramatischen Vorgängen.
„Waren es Folgen der Operation?“
„Nein, das glaube ich nicht, die Operation ist gut verlaufen, der Heilungsverlauf war normal. Leider kommt es immer wieder vor, dass Patienten nach einem Eingriff eine Embolie erleiden, obwohl das Blut der Patienten routinemäßig ungerinnbar gemacht wird, um gerade das zu vermeiden. Diese Embolien lassen Chirurgen seit jeher verzweifeln, sie zeigen uns die Grenzen des Machbaren auf. Die Obduktion wird ohnehin zeigen, ob ein medizinisches Verschulden vorliegt.“
An diesem Abend benötigte ich ein Schlafmittel, das mich in einen tiefen und schweren Schlaf versenkte. Die Nachwirkungen des Medikaments waren nicht unerheblich, am nächsten Morgen fühlte ich mich zerschlagen und depressiv. Ich saß vor den Geschenken, mit denen mich meine Freunde und meine Familie bedacht hatten, aber anstatt mich darüber zu freuen, packte ich sie lustlos aus.
„Cheer up, Paul, das Leben geht weiter“, ermunterte mich Julia. „Es ist nicht deine Schuld, dass Lederer gestorben ist.“
„Abgesehen davon, dass man als Chirurg immer ein schlechtes Gewissen hat, tut mir Marion furchtbar leid. Die beiden waren so glücklich, alles haben sie gemeinsam gemacht. Sie hat nun den Boden unter den Füßen verloren.“
Julia wusste, dass Marion und ich in der Studienzeit eine Zeitlang zusammen gewesen waren. Marion war zwei Jahre älter als ich, und ich war ihr damals sehr zugetan gewesen. Sie hatte ein Jahr im Ausland studiert, das hatte unsere Beziehung beendet. Als sie zurückkam, hatten wir uns ausgesprochen und beschlossen, Freunde zu bleiben. Wenn Marion Probleme hatte, hatte sie mich früher immer angerufen. Sogar noch, als sie ihren Mann schon kennengelernt hatte. Ein klein wenig war Julia deswegen immer eifersüchtig gewesen. Wir hatten aber nie darüber gesprochen. Marion hatte mir auch ihren Mann zur Behandlung anvertraut. Wie würde es für sie nun weitergehen? Sie besaßen einen gut gehenden pharmazeutischen Betrieb in Graz und einen zweiten in Ungarn. Lederer war Doktor der Chemie gewesen, sein Hauptgeschäft machte er mit der Herstellung von Generika. Marion hatte eine kleine, aber feine medizinische Allgemeinpraxis mit einer wohlhabenden Klientel. Ihr Sohn, der uns der Schuld am Tode seines Vaters bezichtigt hatte, studierte noch. Ihre Tochter war bereits verheiratet, ihr Mann war ebenfalls im Familienunternehmen tätig. Ich wusste aber nicht, inwiefern Marion über die Geschäfte Bescheid wusste und welche Rechte sie in der Firma besaß.
In Graz, der zweitgrößten Stadt Österreichs, haben sich den letzten Jahrzehnten mehrere mittelständische Firmen entwickelt, die – wie die Lederer Pharmazeutik – 80 Prozent ihrer Produktion exportieren. Die Palette dieser Betriebe reicht vom Hochtechnologiesektor bis zur Holz verarbeitenden Industrie, und auch der steirische Autocluster zählt zahlreiche Unternehmen. Kein Wunder, dass die Stadt einen ständigen Zuwachs an Einwohnern verzeichnet. Die Lebensqualität ist sehr hoch, es gibt Schulen, mehrere Universitäten, ein Theater, eine Oper, zahlreiche Museen und Galerien und zwei symphonische Orchester. Auch naturbewusste und sportliche Menschen finden in nächster Nähe alles, was sie begehren. Trotzdem ist Graz eine überschaubare Stadt geblieben, man kennt sich, und es gibt, wie überall, einige Familien, die wirtschaftlich und politisch gut vernetzt sind und das gesellschaftliche Leben bestimmen. Die Lederers waren eine solche Familie, daher war der Tod von Fritz Lederer ein Ereignis, das sich wie ein Lauffeuer verbreitete.
Die Obduktion
Das Wochenende war irgendwie an mir vorübergegangen. Am Montag ging ich mit einem angespannten Gefühl zur Arbeit. Von meiner Sekretärin erfuhr ich, dass die Obduktion am Nachmittag im Institut für Gerichtsmedizin stattfinden würde. Geistesabwesend absolvierte ich mein Operationsprogramm und diktierte einige Briefe, bis der Anruf von der Gerichtsmedizin kam. Ich nahm die Schachtel mit den leeren Ampullen und die beiden Infusionsflaschen, in denen sich noch Flüssigkeitsreste befanden, steckte sie in einen Plastiksack und fuhr zum Institut. Als ich den Saal betrat, war der Gerichtsmediziner bereits am Werk. Den Leib hatte er geöffnet und Herz und Lunge untersucht.
Prof. Neumeister wandte sich zu mir: „Kein Anhaltspunkt für einen Herzinfarkt oder eine Lungenembolie. Absolut nichts.“
Ich war erstaunt, denn ich war der festen Meinung, dass es nur eine Lungenembolie gewesen sein konnte. Er setzte seine Untersuchung mit der Exploration der Bauchhöhle fort. Ich hatte Lederer wegen eines Dickdarmtumors operiert und eine Resektion eines Darmstücks durchgeführt, bei der das erkrankte Darmstück entfernt und die gesunden Darmenden wieder miteinander vereinigt werden. Die Nähte waren dicht, die Anastomose war nicht aufgegangen, kein Zeichen einer Entzündung oder sonstiger Wundkomplikation war zu sehen, alles war so, wie es sein