Название | Mordgelüste in der Schlossklinik Buchenhain |
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Автор произведения | Herbert Seibold |
Жанр | Юриспруденция, право |
Серия | |
Издательство | Юриспруденция, право |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783957448330 |
Von Risseck mochte nicht an das Grauenvolle denken, wenn der Geschäftsführer stürbe. Man würde ihm sicher Vorwürfe machen. Niemand würde sagen, dass er ihn einfach zu spät gefunden habe, sondern dass er vielleicht einen Fehler bei der Reanimation gemacht habe. Doch schlecht standen die Karten nicht. Das Notfallteam war in zwei Minuten da, sodass Beatmung und Herzmassage professionell im Team weiterlaufen konnten. Risseck hatte die Vitalfunktionsparameter im Blick. Alles war kompakt in einem Equipment zusammengefasst auf einem sogenannten Reanimationswagen – früher war das schwieriger.
Das Geschäftsführerbüro war geräumig, sodass man sich nicht gegenseitig behinderte. Das übliche Gepiepse der akustischen Signale, Fauchen der Beatmungspumpen und Schnaufen der Mitarbeiter ergab ein chaotisches, ja fast infernales Konzert. Das Reanimationsteam aus sieben Personen arbeitete zuerst ohne viele Worte, schweigend und konzentriert. Das EKG von Muniel zeigte Kammerflimmern – damit konnte man fertigwerden, mit Adrenalin intravenös, dem Defibrillatorschock, Antarrhythmika und Magnesium intravenös verabreicht. Die erste Ampulle Adrenalin zeigte noch keine Wirkung, die Sauerstoffsättigung war aber dank der Beatmung über den Tubus, dem Schlauch in der Luftröhre und einer Kreislaufrestfunktion auf neunzig Prozent angestiegen, was als positiv quittiert wurde. In Sekundenschnelle hatte der OA den Trachealschlauch zur Beatmung gelegt – gelernt ist gelernt!
Nach der zweiten Ampulle Adrenalin und der Defibrillation betrugen die Herzaktionen zirka dreißig Schläge pro Minute. „Besser als nix oder Nulllinie“, kommentierte Doktor Gscheidle aus Ulm. Dem externen Schrittmacherimpuls folgte noch keine elektrische Aktion. Vorerst war die Herzdruckmassage die einzige Maßnahme, um einen Minimalkreislauf aufrechtzuerhalten. Dieses neue Gerät, der Defibrillator mit externer Schrittmacherfunktion, war erst vor einigen Wochen angeschafft worden und gehörte zum festen Reanimationsequipment. Welche Ironie, dachte von Risseck, dass das Ding jetzt erstmals beim Geschäftsführer eingesetzt wurde, der aus Kostengründen anfänglich stur gegen die Anschaffung gewesen war, aber nach einer vorgetäuschten Prüfung und strikten Forderung des technischen Überwachungsdienstes schließlich überzeugt werden konnte.
Das momentane Problem beim Patienten war eine elektromechanische Entkoppelung seines Herzens. Dem elektrischen Impuls folgte noch keine adäquate Pumpaktion des Herzens, was nicht so gut war, weil es gewöhnlich eine sehr schlechte Herzmuskelfunktion bedeutete.
„Hoffentlich ist die Ursache nicht ein Riesenvorderwandinfarkt. Dann hätten wir schlechtere Karten“, äußerte sich von Risseck besorgt.
„Oder …“
Von Risseck hob die Augenbrauen.
„… das Kalium im Blut ist zu hoch, weil ihm jemand das Zeug in die Vene gespritzt hat“, warf der Naseweis aus Ulm ein. Als alle mit Kopfschütteln reagierten, setzte er noch eins drauf: „Ich habe zufällig in meiner Dissertation – allerdings im Tierversuch bei Schweinen – die Auswirkungen von Kaliumchlorid in unterschiedlichen Dosierungen und die Blutspiegel nach Injektion unter den Bedingungen des Herzstillstands untersucht. Ohne vorherige Kaliuminjektion waren auch bei längerer Reanimation und saurem PH die Kaliumchloridwerte im Blut nie über dreißig Prozent erhöht. Werte darüber stammten immer von externer Zufuhr“, dozierte er stolz.
Er wurde vom OA zurechtgewiesen: „Wie soll das gehen? Muniel wird sich ja wohl nicht selbst das Kalium injiziert haben!“
Jetzt führte ein kräftiger Assistent die Druckmassage weiter und fühlte sich zu einer Äußerung berufen: „Außerdem, wenn schon durch Pharmakawirkung tot, dann doch Selbstmord oder Tötung mit Insulin – unter Medizinern, besonders unter Anästhesisten, die beliebteste Art. Richtig, Herr Doktor Muniel ist ja auch Arzt, auch wenn er den Beruf nie ausgeübt hat.“
Alle schwiegen betroffen ob dieser absurden Gespräche! Aber solche Gespräche wirkten wohl auch erleichternd wie als Ventil der angespannten Stresssituation.
„Wenn ich das so sagen darf“, warf noch ein Altassistent ein, „ein Doktor Muniel mit seinem riesigen Selbstbewusstsein würde sich selbst nie umbringen.“
Glücklicherweise kamen jetzt auch nach jedem elektrischen Impuls am EKG Pulse an der Leiste durch. Das gab Hoffnung und deshalb redeten die Beteiligten weiter darauflos. Die initial bedrückende Atmosphäre war wie von Zauberhand verschwunden.
„Vielleicht gibt es ja einen Mörder, einen Arzt oder Pfleger – bei der Beliebtheit des Geschäftsführers? Warten wir doch die Laborwerte ab. Ich glaube, die Wahrheit liegt in greifbarer Nähe“, gab der naseweise Jungspund Doktor Gscheidle aus Ulm, der „Kaliumforscher“, von vorhin nicht nach. Schwaben können sehr stur sein.
„Du schaust wohl zu viele Krimis“, wies ihn der OA zurecht. Seine Gereiztheit tat ihm im gleichen Moment leid, weil der Kollege eigentlich wirklich gut war.
Der junge Assistent, der gerade aus der Uni kam, blickte ernst und nachdenklich den reanimierten Geschäftsführer an, dessen Gesichtsfarbe nicht mehr graudunkelblau war. Alle freuten sich über die zunehmende Rötung, besonders an den Ohren sichtbar.
Doktor Gscheidle beugte sich über die linke Armbeuge des Liegenden und deutete mit einem versteckten Lächeln auf eine winzige verwischte Blutspur und eine Stelle an der Vene, die klein wie ein Mückenstich aussah. Die umstehenden älteren Assistenten schüttelten zwar den Kopf, das aber veranlasste den Ulmer Jungspund nur zu der Bemerkung: „Mal säha!“, was wohl „Schauen wir mal“ bedeuten sollte. Sein Vater war Chefarzt und hatte ihm neben einem finanziellen Polster ein gnadenlos unbeirrbares Selbstbewusstsein eingeimpft.
Nach fünf Minuten reichte eine Schwester dem Oberarzt einen Zettel – es war das Ergebnis der Blutgasanalysebestimmung, die neben der Messung des Blutfarbstoffs Hämoglobin und der Sauerstoffsättigung auch die Elektrolyte, die Mineralien im Blut, beinhaltete. Der Kaliumwert war tatsächlich über sechzig Prozent erhöht, was die Zufuhr von außen bewies und nicht durch den Herzstillstand an sich zu erklären war. Der OA war jetzt doch sehr überrascht und sagte zu Gscheidle: „Gratuliere, Kollege! Wie Figura zeigt, sind die Schwaben zwar langsam, aber gescheit – manche wohl schon vor dem vierzigsten Geburtstag. Jetzt keimt Hoffnung auf! Kein Rieseninfarkt, sondern Kaliumvergiftung! Weitermachen mit der Herzdruckmassage und Transport auf die Intensivstation unter Reanimationsbedingungen“, entschied Doktor von Risseck mit schon leichterem Herzen.
Nach zwanzig Minuten Reanimation und einer weiteren Ampulle Adrenalin war jetzt ein regelmäßiger Rhythmus von fünfzig Schlägen pro Minute auf dem Monitor sichtbar – zudem war der Puls kräftiger tastbar.
„Die Vorhöfe sind noch nicht eingesprungen, also Knotenrhythmus von fünfzig pro Minute, nur der Blutdruck muss noch medikamentös gestützt werden“, verkündete von Risseck erleichtert. Er beugte sich zu Muniel und sprach ihn laut an: „Nicken bitte, wenn Sie mich hören!“ Muniel nickte und der Oberarzt zeigte lächelnd mit dem Daumen nach oben. Der Patient schien also nicht mehr tief bewusstlos zu sein.
Nach fünf weiteren Minuten konnte er auf einfache Fragen nicken oder verneinend den Kopf schütteln. Der Geschäftsführer lag jetzt seit zwanzig Minuten auf der Intensivstation, nicht mehr auf dem Teppich – aber noch beatmet –, langsam wacher werdend.
Eine besorgte Frau von Hess, die die Chefsekretärin der Anästhesieabteilung schon früh telefonisch benachrichtigt hatte, stand jetzt mit am Bett und zeigte Muniel den Terminkalender. Sie redete beschwörend und zugleich hilflos auf ihn ein: „Herr Doktor, wissen Sie nicht mehr, Sie hatten doch einen Termin mit dem Oberarzt Doktor von Risseck, der Sie fast tot vorgefunden hat. Was war zuvor? Gab es noch einen anderen Besucher, nachdem ich heimgefahren war?“ Sie lächelte ihn an und sprach zu ihm, als hätte sie ein Kind vor sich: „Also wirklich, man kann Sie ja nicht eine Stunde allein lassen.“
Alle schauten verstört ob des grotesken Schauspiels, aber Muniel bekam die ironische und komische Einlage natürlich nicht mit, sondern starrte nur vor sich hin. Die Atemfrequenz betrug jetzt fünfundzwanzig Züge pro Minute und die Sauerstoffsättigung neunundneunzig Prozent unter vierzig Prozent Sauerstoffzufuhr. Justus von Risseck entfernte deshalb den Beatmungsschlauch, nachdem die Intensivschwester Gertrud den Ballon an ihm mit einer Spritze entleert hatte.
Muniel