Heißes Geld. Jan Eik

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Название Heißes Geld
Автор произведения Jan Eik
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783955520212



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ich meinen Namen morgen in allen Zeitungen wiederfinde? Was versprichst du dir davon?»

      Das war für Hünicke ein Argument. «Aber Ratze wird sich mit seiner Heldentat brüsten», vermutete er.

      Die S-Bahn fuhr ein. «Tu mir den Gefallen und rede ihm das aus!», bat sie beim Einstiegen.

      «Ich werd sehen, was sich machen lässt …», meinte er und griente schon wieder dreist, wobei er sich ein bisschen an sie drängte. «Jetzt bringe ich dich erst mal nach Hause zu Mutti.»

      Unglücklicherweise sagte Hildegund: «Die ist schon ein paar Jahre tot.»

      Hünicke grinste noch breiter. «Umso besser!», sagte er.

      LUFTDRUCK GEGEN STALIN

      ALS HERMANN KAPPE an diesem kühlen Maiabend nach Hause kam, erwartete ihn statt eines schmackhaften Abendessens in einem friedlichen Heim seine aufgebrachte Frau Klara, die sich erst nach dringender Mahnung dazu herbeiließ, ein paar Spiegeleier in die Pfanne zu schlagen. Auch wenn er im Präsidium einen relativ ruhigen Tag verbracht hatte, hasste Kappe es, zum Feierabend mit nichtigen, oder schlimmer noch, unabänderlichen Angelegenheiten behelligt zu werden. Genau das hatte Klara jedoch vor.

      «Was sagst du dazu, dass wir künftig für die Zone einen Passierschein benötigen?», erkundigte sie sich erregt. «Der soll auch noch Geld kosten! In unserer Währung!»

      «Umsonst ist der Tod», äußerte Kappe unbedacht. Es war natürlich die falsche Antwort. Seit er vor vierzehn Tagen ohne Klaras angebliche Lieblingseinkaufstasche samt Thermosflasche aus Uraltbesitz und erst vor zwei Jahren angeschafftem Regencape aus der Waldbühne zurückgekehrt war, hing der Haussegen in der Wartburgstraße schief. Da kam es auf eine unbedachte Bemerkung mehr nicht an.

      «Dich scheint das ja nicht zu erschüttern!», keifte Klara. «Verstehst du nicht, was das bedeutet? Die Kommunisten wollen dich daran hindern, deine eigene Verwandtschaft in Wendisch Rietz zu besuchen! Willst du dir das gefallen lassen?»

      Allein ihr Ton reizte zum Widerspruch. Kappe knurrte: «Erwartest du, dass ich mir ein Luftdruckgewehr kaufe und gegen Stalin und Ulbricht in den Krieg ziehe?»

      Ihn regten die Zonenmaßnahmen genauso auf wie seine Frau. Nur nützte das absolut nichts. Und was seinen Geburtsort Wendisch Rietz anging, so war ihm die Fahrt dorthin offiziell schon länger verwehrt. Als Polizist und Beamter hatte er im Osten, wo die Gefahr einer Verhaftung lauerte, nichts zu suchen. Er war kein ängstlicher Mensch, verspürte aber wenig Neigung, der dortigen Polizei, möglicherweise ehemaligen Kollegen, oder gar den Russen in die Hände zu fallen. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, nach dem Krieg in der zerstörten und gespaltenen Hauptstadt auszuharren, statt sich irgendwo in Süd- oder Westdeutschland ein sicheres Plätzchen zu suchen, wie es etliche von den oberen Rängen bei der Polizei längst getan hatten. Ein Gedanke, der so schnell verging, wie er gekommen war. Kappe hing nun mal mit Haut und Haaren an seiner Arbeit, und die konnte er sich an keinem anderen Ort vorstellen als in Berlin, wenigstens in den übriggebliebenen drei Fünfteln. Leben wollte er erst recht nirgendwo anders. Und Klara sicher auch nicht.

      «Das Schönste kommt erst noch!», sagte Klara, ohne seine rhetorische Frage zu beachten. «Man kann nicht einmal mehr in den Osten telefonieren! Sie haben die Leitungen unterbrochen. Das kam am Vormittag in den Nachrichten.»

      Auch das wusste Kappe bereits und fand es empörend. Die Stadt wurde immer weiter auseinandergerissen. Dennoch erkundigte er sich mit ruhiger Stimme: «Wen willst du denn im Osten anrufen?» Dabei kannte er die Antwort. Immerhin wohnte ihr Kronprinz, der älteste Sohn Hartmut, in Ost-Berlin. Der hatte sich ausbedungen, weder zu Hause noch etwa über seinen Dienstapparat angerufen zu werden. Kappe hielt sich daran, so schwer es ihm auch fiel. Klara hingegen und Hartmuts Frau Inge hatten längst einen Dreh gefunden, das Verbot zu umgehen. Der Tankstellenbesitzer, der unter Hartmuts Familie im gleichen Aufgang wohnte, besaß einen der in Ost-Berlin seltenen privaten Telefonanschlüsse. Über den ließ sich Inge erreichen, und von dort konnte diese wiederum ihre Schwiegermutter anrufen, wenn etwas Dringendes anlag. Bis gestern jedenfalls.

      Kappe hatte zu den Telefonaten geschwiegen, wie zu so vielem. Innerlich seufzte er tief, wenn er an die beiden Söhne dachte: Karl-Heinz, der mit seinen undurchsichtigen Geschäften früher oder später auffliegen musste, und Hartmut, den roten Kommissar, der demnächst zum Major aufsteigen sollte. Nicht mal die Nationalsozialisten hatten es fertiggebracht, bei der Kripo militärische Dienstränge einzuführen!

      Der Gedanke an Hartmut versetzte Kappe jedes Mal einen Stich. Einerseits war es anerkennenswert, dass der Sohn Karriere machte. Nur um welchen politischen Preis! Ergebnislose Debatten lagen hinter ihnen, gebracht hatten sie nichts. Offiziell durften sie keinerlei Kontakt mehr miteinander haben – doch wer wollte das kontrollieren in einer Stadt, in der man für ein paar Groschen der jeweiligen Währung unbeschadet in die andere Hälfte gelangen konnte! Wie es nun weitergehen sollte, vermochte Kappe sich nicht vorzustellen. Jedenfalls würde er den Jungen auf absehbare Zeit nicht zu Gesicht bekommen, geschweige denn seine Stimme hören.

      Blieb als einzige Verbindung die unverbesserliche Klara, die es sich nicht nehmen ließ, die bedürftige junge Familie im Osten einmal in der Woche mit Bananen oder einem halben Pfund guter Margarine zu beglücken und sich an der heranwachsenden Enkeltochter zu erfreuen. Dass die zur Erinnerung an Lenins Frau Nadja hieß, gefiel den Großeltern weniger.

      «Sie haben sogar Leitungen nach Westdeutschland gekappt!», wusste Klara zu berichten. «Wahrscheinlich wollen die uns aushungern.»

      Kappe sah sie von der Seite an. In den letzten Jahren hatte sie zugelegt. Ein bisschen am Essen zu sparen würde ihrer Figur kaum schaden. Dass Klara anderer Meinung war, ahnte er. Anscheinend erwartete sie sogar sein Lob, als sie erklärte: «Vorsichtshalber habe ich ein paar Konserven eingekauft: Mehl, Nudeln und Zucker und so was. Das Nötigste eben. Den ganzen Tag war ich unterwegs und habe geschleppt.»

      Entgeistert starrte Kappe sie an. «Du fällst auch auf jede blöde Tatarenmeldung rein!», schnaubte er. «Hast du vergessen, was damals bei der Blockade passiert ist? Glaubst du, die Amerikaner geben uns ohne weiteres auf und lassen uns am langen Arm verhungern?»

      «Bei denen weiß man nie!», verteidigte sich Klara pikiert. «Wenn die sich nun plötzlich mit den Russen einigen und uns an den Osten verkaufen?»

      Kappe schüttelte den Kopf. So weit war es in der eigenen Familie gekommen! «Klara», sagte er mit Bestimmtheit, obwohl ihm derlei Phrasen nicht lagen, «hier in Berlin wird die freie Welt verteidigt. Wir sind ein Brückenkopf, eine Insel im roten Meer. So etwas gibt man unter keinen Umständen auf! Verstehst du das?»

      Klara blieb bei ihren Zweifeln, das sah er ihr an. «Du müsstest mal hören, was die Leute reden», sagte sie. «Sogar vor der Wechselstube haben sie heute angestanden!»

      Das Wort Wechselstube machte Kappe hellhörig. Misstrauisch erkundigte er sich: «Was hast du denn in einer Wechselstube verloren?» Dort wurde die wertbeständige West- gegen die schlappe Ostmark getauscht. Gegenwärtig stand der täglich wechselnde Kurs bei mehr als 1:4.

      Klara errötete, was Kappes bösen Verdacht hinreichend verstärkte. Das Plakat an den Litfaßsäulen stand ihm lebhaft vor Augen: Herr Schimpf und Frau Schande kaufen im Osten ein.

      Kappe war es gewohnt, Menschen zu vernehmen und auf geringfügige Reaktionen zu achten. Bei der eigenen Ehefrau widerstrebte ihm das, zumal sich Klara widerborstig gebärdete. Es verging einige Zeit, bis er kleckerweise erfuhr, dass Klara die Besuche bei Hartmuts Familie nutzte, um sich im Osten frisieren zu lassen. Sie pflegte ein paar Westmark zum günstigen Wechselkurs umzutauschen und in den östlichen HO-Läden «ein bisschen was» einzukaufen, um den ehrbaren Oberkommissar Hermann Kappe mit zusätzlichen Fleisch- und Wurstrationen zu überraschen.

      «Bist du denn des Teufels!», donnerte der. «Du unterstützt dieses Zonenregime mit seinen Wucherpreisen, die für die eigene Bevölkerung zu hoch sind, und bringst mich in eine Situation, die mich die Stellung kosten kann! Möchtest du morgen in der Abendzeitung lesen: Altgedienter Kripokommissar versorgt sich im Osten