Aufgeklärtes Heidentum. Andreas Mang

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Название Aufgeklärtes Heidentum
Автор произведения Andreas Mang
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783944180564



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      Das heidnische römische Reich pflegte angesichts der vielen praktizierten Religionen also im Gegensatz zu dem späteren christlichen, in dem tatsächlich jede andere Religion mit Ausnahme des Christentums – und mit Einschränkungen noch des Judentums – aufgrund angeblich falschen oder fehlenden Glaubens verboten wurde, eine gewisse Religionsfreiheit, die allerdings nicht so freizügig wie unsere heutige war. Verbots- oder Verfolgungsgründe waren entweder politisch motiviert oder entstammten dem Mißtrauen gegenüber im Geheimen vollzogenen Kulten. Der Dionysos- und der Isis-Kult sind mehrfach vom Senat verboten worden [Klo06], ersterer wurde sogar im Jahre 186 v. Chr. nach dem sogenannten „Bacchanten-Skandal“ äußerst brutal mit schätzungsweise 7.000 Todesopfern verfolgt.

      Ein politischer Grund für die Verfolgung einer Religion war die Ablehnung des Staatskultes und später des Kaiserkultes, da die Ausübung dieser beiden Kulte als staatstreue Handlung galt, die die politische Verbundenheit mit dem römischen Reich ausdrückte. Christen lehnten beides aus Glaubensgründen ab, was sie in Rom politisch verdächtig machte. Inwieweit noch Gerüchte über seltsame, womöglich im Geheimen ausgeführte Riten da mitspielten, ist schwer zu sagen, ich halte es aber für möglich und wahrscheinlich, daß so mancher Römer Berichte über die christliche Eucharistiefeier, bei der das Fleisch eines Meisters gegessen und sein Blut getrunken wird, falsch und daher als ethisch anstößig aufgenommen hat, was zu vielen Verdächtigungen geführt haben mag.

      Aufgrund der fehlenden Empirie bei Gottesvorstellungen ist es meines Erachtens ohnehin sinnlos, von einer allgemeinen oder gar absoluten Wahrheit in der Religion zu sprechen, wie es die abrahamitischen Monotheismen üblicherweise tun.

      Eine sehr passende Aussage zu Glauben und Wahrheit im Bereich der Religion, der ich vorbehaltlos zustimme, stammt von Siddhartha Gautama, dem Begründer des Buddhismus [Gau93]: „Glauben Sie an nichts, nur weil Sie es gehört haben. Glauben Sie nicht einfach an Traditionen, weil sie von Generationen akzeptiert wurden. Glauben Sie an nichts nur auf Grund der Verbreitung durch Gerüchte. Glauben Sie nie etwas, nur weil es in Heiligen Schriften steht. Glauben Sie an nichts nur wegen der Autorität der Lehrer oder älterer Menschen. Aber wenn Sie selber erkennen, daß etwas heilsam ist und daß es dem Einzelnen und Allen zugute kommt und förderlich ist, dann mögen Sie es annehmen und stets danach leben.“

      „Mythen sind Geschichten von Göttern“, schrieb der Philologe Jan de Vries [Vri61]. Das ist zwar korrekt, trifft aber keineswegs den vollen Umfang der Mythologie, wie auch der Germanist und Skandinavist Rudolf Simek in seinem Lexikon der germanischen Mythologie anmerkt [Sim06b]. In Mythen tauchen auch oft „nur“ Halbgötter, andere mythologische Wesen wie solche der sogenannten „niederen Mythologie“, Helden und gewöhnliche Menschen auf.

      Heutzutage werden Mythen gewöhnlich mit Märchen gleichgesetzt, eine Einschätzung, die bezogen auf (hauptsächlich primäre) Religionen, die eine reiche Auswahl an Mythen besitzen und bei denen diese in der religiösen Praxis äußerst wichtig sind, grundfalsch ist und meiner Meinung nach aus den christlichen Glaubensansichten stammt.

      Christen, die die gesamte Bibel wörtlich nehmen, sehen sie komplett als historischen Tatsachenbericht an. Viele Christen nehmen natürlich nicht alle Bibelstellen wörtlich sondern erkennen in vielen durchaus einen Mythos, besonders im Alten Testament wie z. B. der Schöpfungsgeschichte oder der weltumspannenden Sintflut. Beim Neuen Testament, speziell den Evangelien, sieht das dann wieder anders aus, die Lebensgeschichte Jesu und vor allem seine Auferstehung werden meistens als Historie angesehen. Von dieser Gegenüberstellung einer Historizität der religiösen Texte gegenüber von Menschen erdichteten Mythen rührt die Ansicht her, Mythen seien wie Märchen und damit keine Grundlage für ein religiöses System oder für die Lebensführung förderliche Lehren.

      Das Alte Testament enthält allerdings tatsächlich recht wenig reale Historie. Der Ägyptologe Jan Assmann hält den Exodus, also den Auszug der Israeliten aus Ägypten für komplett unhistorisch und betrachtet ihn als kulturhistorischen Mythos, der die Wandlung des Judentums vom Polytheismus zum Monotheismus beschreibt [Ass03]. Gleiches gilt für die Landnahme Kanaans, laut Assmann beschreibt auch diese die genannte Wandlung, während die Israeliten bereits in Kanaan lebten. Dies wird von aktuellen Forschungen israelischer und US-amerikanischer Archäologen unterstützt, die keinerlei archäologische Befunde für Exodus und Landnahme sowie andere alttestamentarische Ereignisse finden konnten [Fin04]. Darüber hinaus zeigt allein die vierzigjährige Wanderung des Volkes Israel für eine Strecke, die professionelle Karawanen in wenigen Wochen, ein ganzes Volk vielleicht in einigen Monaten schafft, daß es sich hier um einen Mythos handelt, ist doch die Zahl 40 in der Bibel ein Kode für längere Zeiträume, deren tatsächliche Länge man nicht kennt oder deren Geschichte selbst komplett mythologisch ist. Man vergleiche damit die Versuchung Jesu durch den Satan in der Wüste, die genau 40 Tage andauerte (Mt 4,1 - 11).

      Auch die Evangelien sind meines Erachtens reine Mythen, die Apostelgeschichte eine Gründungslegende mit vielen mythologischen Elementen. Es ist nicht auszuschließen, daß Jesus ein historisches Vorbild gehabt haben mag; was jedoch in den Evangelien über sein Leben erzählt wird, hat allenfalls marginal mit diesem Vorbild zu tun. Ich halte es auch für möglich, daß es die Person Jesus historisch überhaupt nicht gegeben hat.

      Der erste Hinweis darauf ist die Tatsache, daß es keinerlei außerbiblische Erwähnung Jesu gibt. Tacitus schrieb zwar, ein „Chrestus“ (ein griechischer Sklavenname), dem die „Chrestianer“ mit einem „verderblichen Aberglauben“ anhingen, wäre von Pontius Pilatus gekreuzigt worden, aber dies stellt eher eine Beschreibung des christlichen Glaubens als eine historische Niederschrift dar [Tac92]. Zudem hat Tacitus nicht einmal den Namen von Jesus und seinen Anhängern korrekt geschrieben, vermutlich kannte er keinen von letzteren persönlich, sondern lediglich vom Hörensagen. Die einzige außerbiblische Erwähnung Jesu, die auf eine tatsächliche Historizität hindeutet, stammt von dem jüdischen Historiker Flavius Josephus und ist dermaßen christlich angehaucht, daß man sie gewöhnlich als spätere christliche Hinzufügung zum originalen Text ansieht [Jos11].

      Ein weiterer Punkt sind die offensichtlich mythologischen Aspekte in der Lebensgeschichte Jesu. Neben den ganzen übernatürlichen Ereignissen wie dem Gehen über Wasser, Verwandlungen von Lebensmitteln und anderen Wundern folgt der Lebenslauf Jesu einem typischen mythologischen Muster. Das fängt schon bei der Geburt in einer Höhle an. Ställe im damaligen Palästina wurden in Höhlen angelegt, und die Geburtskirche Jesu in Bethlehem ist im 2. Jahrhundert über einer errichtet worden. Die Geburt in Höhlen ist nun typisch für Götter, auch Hermes wurde in einer geboren [Ros90], ebenso Mithras, dessen Geburt auch „Felsgeburt“ genannt wird [Klo06], und nicht zuletzt Zeus.

      FitzRoy Richard Somerset veröffentlichte unter seinem Adelstitel Lord Raglan eine Auflistung von allgemein verbreiteten Lebensumständen mythologischer Helden [Rag03]. Diese sogenannte „Lord Raglan Skala“ umfaßt 22 Punkte, darunter die Geburt durch eine königliche Jungfrau, die Abkunft als Sohn eines Gottes, den Versuch, ihn direkt nach der Geburt zu töten, und mysteriöse Todesumstände. Erreicht ein Lebenslauf mehr als sechs Punkte auf der Skala, gilt er als mythologisch, der Held als mythologischer Archetyp. Lord Raglan hat sich zwar nicht getraut, in seinem Buch Jesus dahingehend zu analysieren, aber je nach Interpretation mancher Punkte kommt der Jesus der Evangelien auf 15 bis 19 Punkte.

      So interessant seine Skala ist, Lord Raglans Buch enthält auch manchen Fehler. So hielt er die Entdeckung Amerikas durch die Wikinger für einen Mythos, da man zur Zeit der Erstveröffentlichung 1936 noch keinen archäologischen Nachweis dafür hatte. Mittlerweile hat man sogar genetische Hinweise im isländischen Erbgut gefunden, die auf einige indianische Vorfahren hindeuten, die von Amerika nach Island gebracht worden sind [Sig10].

      Der Versuch des Herodes, Jesus nach der Geburt durch den Mord an allen Neugeborenen zu töten, wird außerbiblisch nirgends erwähnt, und es ist äußerst unwahrscheinlich, daß die herrschenden Römer so etwas einem Vasallenkönig erlaubt und dann obendrein nicht notiert hätten. Diese Episode dient nur dazu, Jesus nach Ägypten fliehen zu lassen, um eine Bestätigung einer alttestamentarischen Prophezeiung über den zukünftigen jüdischen Messias zu konstruieren, nämlich bezogen auf den Ausspruch,