Lena Halberg: Der Cellist. Ernest Nyborg

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Название Lena Halberg: Der Cellist
Автор произведения Ernest Nyborg
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783868412277



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über einen Brocken und schlug sich den Knöchel blutig. Er schrie kurz auf, unterdrückte dann aber den Schmerz und humpelte weiter.

      In der ganzen Verwirrung versuchte Carlos zu erkennen, was hier geschehen sein konnte. War es ein normales Grubenunglück? Das schien ihm unwahrscheinlich, denn wenn ein Stollen einbrach, senkte sich zwar ein Teil des Bodens darüber, aber es gab keinen solchen Krater, wie er ihn draußen gesehen hatte.

      Wieder kam ihm dieser seltsame Geruch entgegen, den er schon zuvor bemerkt hatte, diesmal noch intensiver, sodass er sogar die Richtung feststellen konnte. Er blieb stehen, suchte in seinen Taschen nach Streichhölzern, zündete eines an und hielt es hoch. An der Stelle war eine Ausbuchtung wie ein kurzer Seitenarm. Im Dunkel erkannte Carlos undeutlich die Umrisse von etwas. Es sah wie eine Blechkiste aus und hatte eine Aufschrift, die er im Flackern nicht entziffern konnte.

      »Scheiße!« zischte er und warf das Streichholz zu Boden. Die Flamme hatte ihm die Finger verbrannt.

      Die anderen waren stehengeblieben und zerrten einen Verletzten, den sie im Schein der Taschenlampe entdeckt hatten, unter einigen Trümmern hervor. Er hatte das Gesicht abgeschürft und aus dem aufgerissenen Ärmel seiner groben Leinenjacke ragte der blutige Rest eines Unterarmes hervor, aber er war bei Bewusstsein und drückte den Arm mit der zweiten Hand an seinen Körper, um ihn einigermaßen zu fixieren.

      Carlos zog seinen Gürtel aus der Hose und versuchte damit den Arm abzubinden.

      »Rápido, rápido!« drängte der Vorarbeiter. »Es muss so gehen, wir haben keine Zeit mehr, die ganze Scheißmine bricht zusammen!«

      Er schob die Gruppe energisch weiter. Carlos blickte zurück, er hätte zu gerne gewusst, was das dort auf der Kiste stand, aber er konnte nicht mehr umkehren. Von unten war wieder dieses eigenartige Dröhnen zu hören und hinter Ihnen rieselte es von der Decke – besser, nicht alleine zurückzubleiben.

      So schnell es ging hasteten sie zu dem Seitengang, der zur Haupttreppe führte. Hinter der Biegung konnte man endlich einen fahlen Schein des Tageslichts erkennen. Sie trafen auf weitere Flüchtende, die wie sie den Weg aus dem Labyrinth gefunden hatten. Sie mussten sich äußerst konzentrieren, um nicht über die hohen Stufen zu stolpern, weil die Nachkommenden in ihrer Angst wie wild nachdrängten.

      Als sie endlich draußen waren, die ersten Notdienstwagen trafen jetzt bereits ein, setzte sich Carlos etwas abseits auf eine Anhöhe und atmete gierig die frische Luft ein. Inzwischen war es früher Abend geworden und begann zu dämmern.

      Eigentlich war der junge Offizier der bolivianischen Armee nur zufällig in der Nähe gewesen. Er wohnte nur wenige Kilometer entfernt und verbrachte einige freie Tage zu Hause. Da seine Frau schwanger war, benützte er jede Gelegenheit bei ihr zu sein. Sie wollten an diesem strahlend schönen Tag zu dem kleinen See im Süden von Potosí, an dem sie so gerne spazieren ging. Da spürten sie dieses Grollen, wie von einem Erdbeben, vermischt mit zwei dumpfen Schlägen. Es fühlte sich an als würde ein riesiger Hammer auf die Felsen schlagen. Und es war aus dem Bergwerk neben dem See gekommen.

      Er hatte ihr die Autoschlüssel gegeben, damit sie sich aus der Gefahrenzone bringen und im nächsten Ort die Notdienste verständigen konnte. Jetzt nahm er geschafft sein Handy und schrieb ihr eine SMS, dass mit ihm alles in Ordnung sei.

      Am weiten Gelände vor den Eingängen der Mine war die Hölle los – überall war Rauch, er quoll förmlich aus der Erde. Einsatzfahrzeuge mit durchdringenden Sirenen rasten über die zwei schmalen Bergstraßen in die Senke hinunter, immer noch taumelten Verletzte orientierungslos aus dem Hauptstollen und bei denen, die sich wieder in Sicherheit fühlten, entlud sich der Schock in heftigen Gefühlsausbrüchen. Einer der Grubenleiter brüllte unablässig in ein Megaphon und versuchte Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Ein Mann kam den Weg zur Anhöhe hinauf, presste seine Hand auf eine klaffende Kopfwunde, von der das Blut heraus und über sein Gesicht rann. Er ging mit ausdrucksloser Mine vorbei.

      Als Carlos seinen Blick über den Tumult gleiten ließ, bemerkte er seitlich neben dem Krater, etwas abseits des wirren Geschehens, ein Fahrzeug. Da stand ein Jeep mit laufendem Motor, der einige Blechkisten geladen hatte. Davor im Licht der abgeblendeten Scheinwerfer standen drei Männer in Drillichanzügen und schauten zum Krater hinüber. Sie trugen Armeekleidung, das erkannte Carlos sofort. Es war hier auch nicht ungewöhnlich, dass die Armee in den Bergen unterwegs war, sie wurde oft von größeren Betrieben zur Sicherheit angefordert. Nur die Männer trugen keine Rangabzeichen und ihr Aussehen machte ihn stutzig – es waren eindeutig keine Landsleute.

      Er stand auf und ging vorsichtig den Hügel hinunter, immer darauf bedacht, möglichst unauffällig zu bleiben. Unweit des Fahrzeugs war ein Holzstapel, hinter dem fand er Deckung. Jetzt konnte er sich das Fahrzeug und die Typen genauer ansehen.

      Sie sprechen kein Spanisch, dachte Carlos, ein weiteres Indiz dafür, dass sie nicht von hier sind. Dann fiel sein Blick auf die Kisten und er stockte. Sie sahen genau so aus wie die in dem Nebengang im Bergwerk. Die Aufschrift, die er jetzt deutlich lesen konnte, war eine Markierung, eine Schablonennummer, wie sie Militärs verwenden. Aus dem Dienst kannte er die typische Zahlenfolge und obwohl die Landeskürzel auf den Behältnissen übermalt waren, verstand Carlos die internationale Codierung – sie war amerikanisch.

      Schlagartig wusste er auch, wonach es in den Stollen gerochen hatte – nach Marzipan. Und er erinnerte sich wieder an die Übung, die er vor zwei Jahren mit seiner Einheit absolvieren musste. PE-808 hieß das Zeug, ein Plastiksprengstoff, den man an seiner süßlichen Ausdünstung erkannte. Und von den Kisten kam der gleiche Geruch zu ihm herüber.

      Carlos zuckte instinktiv zusammen, als er plötzlich die Zusammenhänge begriff. Ein furchtbarer Verdacht kam in ihm hoch: Die beiden Schläge, die er und seine Frau zuerst gespürt hatten, waren unterirdische Explosionen gewesen. Die Amis selbst inszenierten das, sie sprengten ihre eigene Mine, gleichgültig wie viele der Arbeiter dabei draufgingen – ausgebucht als Kollateralschaden.

      Aber weshalb? Hatte man sich verspekuliert, war die Grube doch nicht so ertragreich wie man vermutete oder wollte man etwas ganz anderes verbergen?

      Immer wieder die Amerikaner, dachte er bitter. Nicht genug, dass unweit von hier in La Higuera die CIA damals den Revolutionär Che Guevara erschossen hatte. Oder den ehemaligen Präsidenten half, den Volksaufstand gegen die US-Konzerne mit Waffengewalt niederzuschlagen und viele der Arbeiter zu töten, was später als Schwarzer Oktober in die Geschichte einging. Unaufhörlich fügten sie seinem Land Schaden zu und kamen doch ungestraft davon. Denn was machte die Armee und die Politik Boliviens? Sie machte einen Kniefall vor den Gringos!

      Es war einer der Gründe, warum er gerade seinen Abschied vom Militär genommen hatte, um sich politisch zu engagieren. Nach vielen Jahren der Korruption gab es mit Evo Morales endlich einen Kandidaten für das Präsidentenamt, der eine Änderung im Land versprach. In solchen Momenten war sich Carlos sicher, dass sein Schritt, das Militär zu verlassen und Morales zu unterstützen, der einzig richtige gewesen war.

      In dem Zorn, der spontan in ihm hochstieg, richtete er sich hinter dem Holzstapel auf und vergaß jegliche Vorsicht. Diese Leute würden zwar keine Sekunde zögern, ihn auszuschalten, wenn er ihnen in die Quere kam, trotzdem wollte er hinüber zu dem Jeep und sie zur Rede stellen. Doch da stiegen die Uniformierten in das Fahrzeug und fuhren davon.

      Wütend schrie Carlos noch etwas hinter ihnen her, dann drehte er sich um und lief den Hügel hinunter zum Stolleneingang. Er brauchte einen Beweis für das, was hier geschehen war, sonst würde man wieder alles vertuschen. Also musste er nochmals in die Grube hinein. Der Platz, wo die Blechkiste lag, war nicht weit von der Treppe, das sollte zu schaffen sein, so lange musste der Berg eben noch halten.

      Er kümmerte sich nicht um die doppelte Absperrung, die von den Sicherheitskräften mittlerweile errichtet worden waren, schlüpfte unter dem schwarz-gelben Plastikband durch und stieß einen der selbsternannten Wärter, der versuchte ihn aufzuhalten, kurzerhand zur Seite.

      »Wichtigtuer«, zerdrückte er zwischen den Zähnen, ohne sich um dessen lautstarken Protest zu kümmern und hetzte weiter.

      Er war in der Mitte des Platzes vor dem Hauptstollen, als direkt unter ihm neuerlich