Zur Zukunft des Abendlandes. Otto Kallscheuer

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Название Zur Zukunft des Abendlandes
Автор произведения Otto Kallscheuer
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783866742109



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codiert waren. Um vier davon geht es in den folgenden Essays. Um zwei west-östliche Brechungen: Griechen versus Barbaren, ein Selbstbild, welches später auch das römische Imperium übernommen hatte (das ja kulturell mindestens ebenso griechisch wie römisch war); oströmische orthodoxe Christenheit versus weströmischen Katholizismus – und um zwei nord-südliche Bruchlinien: Islam versus Christenheit; Katholizismus versus Protestantismus und reformierte Kirchen.

      An jeder dieser Fronten fanden im letzten Millennium wiederholt Kriege statt. Zahlreiche Entscheidungsschlachten wurden geschlagen, aber kein Konflikt ist entschieden, keiner dieser Gegensätze ist ›erledigt‹. Keine dieser Fronten wurde jemals begradigt – im Gegenteil: Heute sind sie durch Migration und globalisierte Kommunikationsnetze allgegenwärtig. Keine dieser Grenzziehungen wird durch Staatsgrenzen garantiert – gerade in der Diaspora werden sie heute am stärksten erlebt.

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      Wie steht es also künftig um das Verhältnis zwischen dem politischen Code des Westens und dem historischen, kulturellen oder theologisch-politischen Gedächtnis des Abendlands? – Der Westen ist abendländisch entstanden; das europäische Abendland bildet die kulturelle Matrix des politischen Westens, der sich inzwischen normativ universalisiert und geographisch den Atlantik überquert hat. Die politischen Institutionen und Ideale des Westens sind ohne die europäische Geschichte nicht verständlich, aber nicht an sie gebunden. Die USA sind jener Teil des Westens, welcher das Abendland verlassen hat – ohne dessen Eingriff in den Zweiten Weltkrieg das Abendland jedoch vermutlich nicht überlebt hätte.

      Die institutionelle Tradition des Abendlands ist zwar eine pluralistische (regnum versus sacerdotium, forum internum versus ius publicum, Marktfreiheit versus Landesherrschaft, usw.) – ein Pluralismus, der häufig übrigens wider den integristischen Willen der Beteiligten zustandekam. Aber sein kulturelles Gedächtnis bleibt bis ins XX. Jahrhundert hinein antidemokratisch verfaßt. Der spezifisch abendländische Pluralismus wird jedoch künftig ohne die institutionellen Minimalbedingungen politischer Freiheit, wie sie in den liberalen Demokratien westlicher Machart institutionalisiert sind, kaum überlebensfähig sein.

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      Und nun die kompliziertere Frage: Gilt das auch umgekehrt? Ist auch der Westen auf eine politische Verkörperung des Abendlandes angewiesen? Und was wäre denn Europa, wenn es kein christlicher Club sein will? Welche Art von Staatswesen? Über ein souveränes Machtzentrum verfügen ja die in der EU vereinigten europäischen Staaten bis heute nicht. Und das ist kein Wunder: Die Reiche und Nationen, aus denen das heutige Europa hervorging, waren ja in ihrer Geschichte meist gegeneinander aufgestellt.

      Wenn wir jedoch die Europäische Union als legitime Tocher des Abendlandes ansehen (und im letzten Kapitel versuche ich, diese Sicht zu begründen), dann spricht vieles dafür, daß der freie Westen auch das Gedeihen des politischen Europa braucht. Man kann dafür Gründe der internationalen Machtbalance anführen: Die alteuropäischen Nationalstaaten brauchen einen Entscheidungs-Pool, um sich nicht allein gegenüber der verbündeten Großmacht USA, sondern in der multipolaren Welt überhaupt behaupten zu können. Und es gibt ordnungspolitische Motive, welche die politische Kommunikation zwischen den Kulturen oder Zivilisationen betreffen: Denn die alteuropäische Staatenwelt unterhält schon als Erbe ihrer Kolonialgeschichte differenziertere, sensiblere und darum zuweilen auch störanfälligere Beziehungen zu ihrer geographischen und kulturellen Umwelt im Süden und Osten als die westliche Vormacht Amerika.

      Der Westen liegt nämlich im Norden. Es gibt zwar südliche Ausnahmen: Australien liegt im Pazifik, Südafrika am Kap der Guten Hoffnung und Israel im Nahen (oder von London aus gesehen: Mittleren) Osten. Warum zählen wir diese Länder dennoch zum Westen? – Nun, es sind Demokratien, werden Sie sagen. Also gehört Indien, die größte Demokratie der Welt, auch zum Westen? – Und wenn nicht, warum nicht?

      Die drei genannten Ausnahmen haben nicht viel miteinander gemein, aber alle drei Staaten sind entstanden als (weiße) Siedlergesellschaften in einem nichtwestlichen Umfeld – so wie die »nordamerikanischen Freistaaten«. Eine offene, bis heute politisch und kulturell ungelöste Frage hingegen bleibt das Verhältnis des Westens zu den ehemaligen Kolonien der abendländischen Imperien – sowie zum ›globalen Süden‹ überhaupt. Aber sie ist nicht Thema dieses Buches.

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      Die politische Zukunft des Abendlandes liegt also vermutlich im komplexen (und nur in Grenzen rationalisierbaren) ›Monstrum‹ der Europäischen Union von Staaten und Bürgern. Anderfalls hätte das Abendland nur eine Zukunft: seine (erinnerte) Geschichte.

      Europas alte Unübersichtlichkeit muß freilich kein Standortnachteil sein. Pluralismus und Multilateralismus – also: Routinen kultureller Vielfalt und Mechanismen politischer Konzertation unter zahlreichen Beteiligten – sind schließlich Tugenden, die wir im neuen Jahrtausend noch brauchen werden. Nicht nur in Europa.

      Die Kapitel dieses auf Anregung von Anne Hamilton hin entstandenen Buches knüpfen an verschiedene Essays und Vorträge an, die von mir in den vergangenen Jahren verfaßt wurden. Im Anhang finden neugierige Leser einige Lektüretips.

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