Wenn ich das geahnt hätte. Anne Christina Mess

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Название Wenn ich das geahnt hätte
Автор произведения Anne Christina Mess
Жанр Здоровье
Серия
Издательство Здоровье
Год выпуска 0
isbn 9783865066602



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der Schweiz mit ihren ca. 7,3 Mio. Einwohnern suizidierten sich 1999 1296 Menschen. In Deutschland mit einer mehr als zehnmal so hohen Bevölkerungszahl waren es 1991 insgesamt über 14 000 Menschen. Allein in Hamburg, einer Großstadt mit ca. 1,7 Mio. Einwohnern, brachten sich im Jahr 1998 von insgesamt 333 Personen 220 Männer und 113 Frauen um. Diese Relation gibt das übliche Geschlechterverhältnis von etwa 2 : 1 (Männer zu Frauen) wieder. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts verübten im Jahr 2004 in Deutschland 10 733 Menschen Suizid – 907 davon mit Schusswaffen. (Rein statistisch gesehen bringen sich in Deutschland somit jede Stunde ca. 1,2 Menschen um.)

      Bei Selbstmordversuchen sind es etwa zwei bis drei Mal so viele Frauen wie Männer. Männer wählen eher harte Methoden (z. B. Erhängen, Erschießen, Sprung vor den Zug), Frauen eher weiche Methoden (z. B. Alkohol und Tabletten). Etwa ein Drittel aller Selbstmorde wird von Personen über 65 Jahren verübt. Ältere und alte Menschen sind also überproportional vertreten in der Selbstmordstatistik.

      Um auch den Statistikfans meiner Leserschaft entgegenzukommen, möge die folgende Tabelle der Weltgesundheitsorganisation Auskunft darüber geben, wie viele Suizide in ausgewählten europäischen Ländern auf 100 000 Einwohner treffen.

       Tabelle 1: Selbstmordraten in ausgewählten europäischen Ländern pro 100 000 Einwohner

Land Jahr Männer Frauen Durchschnitt
Litauen 1999 73,8 13,6 43,7
Estland 1999 56 12,1 34
Lettland 1999 52,6 13,1 32,8
Belgien 1995 31,3 11,7 21,5
Schweiz 1996 29,2 11,6 21,5
Frankreich 1997 28,4 10,1 19,25
Dänemark 1996 24,3 9,8 17
Deutschland 1998 21,5 7,3 14,4
Spanien 1997 13,1 4,3 8,7
Italien 1997 12,7 3,9 8,3
Portugal 1998 8,7 2,7 5,7
Griechenland 1998 6,1 1,7 3,9

      Quelle: www.who.int (Weltgesundheitsorganisation, letzte Änderung: 28. 09. 2002)

      Millionen von Einzelschicksalen verbergen sich hinter diesen Zahlen: Da ist der erfolgreiche Manager, der sich das Leben nahm, der Familienvater, der sich nach der Scheidung erschoss, die Mutter von zwei erwachsenen Kindern, die sich mit einem Föhn in der Badewanne umbrachte. Diese Menschen haben gemeinsam mit allen anderen, die vorsätzlich aus dem Leben scheiden, dass sie sich höchstwahrscheinlich in einer Lebenskrise befanden, in einer Zeit des Umbruchs und Einbruchs, die sie zu überfordern schien. Der Begriff »Krise« leitet sich vom griechischen Wort »Krisis« ab und bedeutet Entscheidung, Sichtung und Klemme.

      Letzteres weist darauf hin, dass der sich selbst tötende Mensch keinen anderen Ausweg aus seiner Klemme sieht, in der er sich erlebt. Sein Blickwinkel verengt sich auf die vermeintliche Unlösbarkeit seiner Probleme, die Geschehnisse überschlagen sich und lösen Ängste, Panik und/​oder Depressionen aus. Dabei schwinden Lebensmut, Willensstärke, Kraft und Handlungsmöglichkeiten zusehends.

      Philosophen von der Antike bis zur Gegenwart sowie Forscher aus den Bereichen der Medizin, Soziologie, Biologie, Psychologie usw. haben sich immer wieder diesem existenziellen Thema zugewandt. Als Außenstehender ist es manchmal gar nicht nachvollziehbar, warum jemand nicht mehr leben möchte. Vielleicht denkt man dann: »Merkwürdig, er hat doch alles, ist gesund und kennt so viele nette Leute.« Schauen wir uns daher das Zusammenspiel verschiedener Faktoren beim Suizid näher an.

      Man kann vier Entstehungstheorien von suizidalem Verhalten voneinander abgrenzen:

       Biologische Theorien

       Soziale oder soziologische Theorien

       Psychologische Theorien

       Religiöse Theorien

      J.E.D. Esquirol, der Pionier der biologischen Suizidforschung, legte die Wurzeln für die wichtigste biologische Theorie von Selbstmorden und Selbstmordversuchen, nämlich die Theorie der Vererbung.

      Der französische Psychiater Esquirol hatte beobachtet, dass es Familien gab, in denen sich Suizide häuften. Aufgrund familiärer Häufungen von Suiziden kamen die Forscher zu verschiedenen Hypothesen: Man überlegte, ob es eine Erbanlage für Suizid oder die vererbbare Disposition für Depressionen geben könnte. Es würde zu weit führen, einzelne Untersuchungsmethoden mit ihren Ergebnissen darzustellen. Als gesichert gilt inzwischen, dass nicht der Suizid als solcher vererbt wird, sondern wohl eine gewisse Unfähigkeit zur Impulskontrolle. In verschiedenen Studien zeigte sich außerdem, dass bestimmte psychische Krankheiten, die das Suizidrisiko erhöhen, auch eine erbliche Disposition haben. Weltweit befassten sich einige Forschergruppen mit der Frage, ob die Suizidalität mit Stoffwechselstörungen im Gehirn einhergehen könnte. Man vermutete bei Schizophrenen und manisch-depressiv sowie depressiv Kranken, die zu den Hochrisikogruppen für Suizid zählen, Veränderungen in den Nervenbotenstoffen des Gehirns. Wenngleich sich verschiedentlich tatsächlich biochemische Abweichungen finden ließen, müssen die Ergebnisse dennoch sehr vorsichtig interpretiert werden und sollen hier nicht näher vorgestellt werden.

      Auch innerhalb der soziologischen Theorien war es ein Franzose, den man als Vorreiter in der Ursachenforschung