Название | Menschen im Krieg – Gone to Soldiers |
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Автор произведения | Marge Piercy |
Жанр | Книги о войне |
Серия | |
Издательство | Книги о войне |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867548724 |
»Hat sie Kinder?«
»Nein, vereinbarungsgemäß nicht. Er ist ein ganzes Stück älter und hat Kinder aus einer früheren Ehe, die erbberechtigt sind.«
»Wenn er reich und adelig ist, muss er doch in der Lage sein, sie zu schützen, meinen Sie nicht?«
»Das hoffe ich. Es ist hart, nichts zu hören. Wir haben immer alle miteinander in Verbindung gestanden. Ich werde im September für die Hohen Feiertage nach Pittsburgh fahren, zu meiner Mutter. Gloria ist immer alle zwei Jahre herübergekommen, und ich habe sie in Paris besucht.« Er neigte den Kopf und schenkte von dem herben Rotwein nach. »Wie ist Ihre Familie? Stehen Sie sich nahe?«
Im Laufe der Mahlzeit bekam sie das Gefühl, dass Oscar schon andere Frauen hierher gebracht hatte und dass ein Teil des persönlicheren Tons dieses Abends nicht Berechnung oder Absicht von seiner Seite war, sondern einfach die Beibehaltung eines bereits bestehenden und angenehmen Musters. Sie musste innerlich schmunzeln. Genau wie sie war er es wahrscheinlich gewohnt, am Tisch irgendwelchen Liebsten gegenüberzusitzen, so dass beide die gewohnte Innigkeit auch an diesen Tisch mitbrachten. Dennoch wurde ihr die Zeit nicht lang wie so oft, wenn Männer über sich selbst redeten, denn ihre Neugier war von den Monaten unpersönlicher, aber tatkräftiger Zusammenarbeit gewetzt worden.
Sie erzählte ihm gerne von Ready, von Roger, von ihrem Hintergrund, der für ihn so exotisch war wie der seine für sie. Er kam aus einer Familie, die offenbar mit wenig Geld hatte auskommen müssen, in der aber seine Ausbildung an erster Stelle gestanden hatte. Vielleicht waren die mittleren Kinder ein wenig geopfert worden, oder vielleicht hatte ihnen einfach seine Begabung oder sein Ehrgeiz gefehlt. Dann, bei Gloria, waren die Zeiten einfacher gewesen und die anderen untergebracht, so dass alles nur Mögliche für sie erübrigt wurde und sie, die Schönheit, sich aufmachte, um die Welt zu erobern.
Doch die Verbindung aller untereinander, Zahnarztfrau, Reinigungsbesitzer, Akademiker und Dame von Welt, schien zu halten, unter lebhafter gegenseitiger Anteilnahme. Sie fing aus dieser Familie den würzigen Duft heftiger Gefühle auf, von verwickelten Hasslieben und Gebrüll und tränenreichen nächtlichen Telefonaten. Dennoch schien sich Oscar seiner Rangstellung ganz sicher zu sein, der Älteste, der Liebste, der ferne Mittelpunkt. Seine Mutter lebte noch und spielte eine Rolle in seinem Leben. Sein Vater war vor drei Jahren an einem Herzanfall gestorben. Seine Mutter, die offenbar die Familienschönheit besaß, erwog, wieder zu heiraten, und alle Geschwister bis auf die abgeschnittene Gloria intrigierten leidenschaftlich, um die Heirat mit einem Witwer zu fördern oder zu verhindern.
Er sprach gerade von seiner geschiedenen Frau, aber anders, als es Männer gewöhnlich taten. »Louise ist sehr stark, sehr intelligent, sehr begabt. Man sollte sie nicht nach diesen abstrusen Geschichten beurteilen, die sie am laufenden Band produziert. Sie hat einen blitzgescheiten Kopf und keinerlei Hemmungen, ihn zu benutzen. Sie ist sehr politisch und denkt sehr progressiv.«
Wenn sie weniger Wein getrunken und sich ihm gegenüber nicht immer noch im Ungleichgewicht gefühlt hätte, wenn sie weniger unter der immer noch wirksamen und daher unbedingt zu bekämpfenden Professor-und-Studentin-, Chef-und-Assistentin-Dynamik gestanden hätte, vielleicht wäre sie dann weniger spitz in ihren Fragen gewesen. »Wenn Sie Ihre geschiedene Frau so bewundern, wie Sie sagen, warum sind Sie dann nicht mehr verheiratet?«
»Schwer zu sagen. Die Scheidung war nicht meine Idee.« Oscar rieb sich wieder die Nase. »Ja, ich habe eine Zeitlang mit einer anderen gelebt, aber das war nichts, um deswegen solch einen Aufstand zu machen.«
Abra lachte. »Ich bezweifle, dass das die Sichtweise Ihrer Frau war.«
»War es auch nicht.« Oscar seufzte. »Ich verstehe nicht, warum Frauen unbedeutende Abenteuer so furchtbar schwer nehmen. Ich hatte die feste Absicht zurückzukehren.«
Abra hätte jetzt gern beteuert, dass sie keine Treue erwartete, doch schließlich war noch gar nichts zwischen ihnen vorgefallen. So behalf sie sich damit zu sagen: »Ich glaube, die Ehe und das Heim sind für viele Frauen wesentlich wichtiger als für mich zum Beispiel. Viele jüngere Frauen haben eine unabhängigere Haltung und weniger starre Erwartungen.«
»Ich hätte erkennen müssen, wie wichtig Louise das war. Sie ist ohne solche Sicherheit aufgewachsen, und als die bedroht war, wollte sie mich einfach abtrennen.« Oscar schüttelte den Kopf. »Ich muss meine Tochter Kay öfter sehen. Ich habe mich völlig von Arbeit zudecken lassen. Falls wir bald nach Washington gehen, besteht umso mehr Grund, mir Zeit für sie zu nehmen.«
Während sie ihren Kuchen aßen und einen spanischen Weinbrand tranken, behielt Abra deutlich das Gefühl, dass sie auf dem Wege waren, persönlicher zu werden. Liebende oder Freunde? Abra vermochte nicht einmal einzuschätzen, ob auf dem wimmelnden Feld seines Lebens Raum für eine Affäre mit ihr war. Sie wäre bequem einzufügen, zumindest das sprach dafür. Sie überlegte, ob sie es war, die den ersten Schritt tun musste.
Immer stärker beschlich sie das Gefühl, sich in ein Geschwader, einen Pulk, einen Schwarm von Beziehungen zu zwängen. Anders als die meisten Männer ihrer Bekanntschaft, bei denen Familien nur als Hintergrund oder als Quelle möglicher Einmischung vorkamen, schien Oscar eine ganze Heerschar von Menschen im Schlepptau zu haben, mit denen er immer noch ständige Beziehungen unterhielt; und sie hatte das beklemmende Gefühl, noch nicht einmal die Hälfte seines Lebens zu überblicken. Ihn zum Liebhaber zu nehmen mutete an, als ließe sie sich nicht auf ihr übliches diskretes zweisames Treiben ein, sondern auf eine ganze Sippe. Seine Arbeit mochte geheim sein, aber seine Beziehungen schienen ganz offen dazuliegen, im vollen Sonnenlicht gegenseitiger Beachtung und allgemeinen Gerangels. Seine Frau, seine Tochter, seine Mutter, seine Schwestern und sein Bruder, seine früheren Geliebten, seine Freunde, alle schienen Abra anzuschauen und auf die nächsten Entwicklungen zu lauern. Vielleicht war sie betrunken, aber sie spürte fast körperlich den heißen Blick vieler dunkler Augen auf dem Gespräch ruhen.
Naomi 3
Der Rachen schließt sich
Leib ging Naomi nicht aus dem Sinn, und sie hatte deswegen ein nicht ganz reines Gewissen. Da sie ihn viel toller fand als Murray, konnte sie sich nicht vorstellen, warum Ruthie Murray vorzog. In ihrer Phantasie kam Trudi ganz plötzlich um, ohne Schmerzen, und Leib ging mit ihr auf und davon. Naomi war nicht an den Jungen in ihrer Klasse interessiert, die manchmal auf ihr herumhackten und sie hänselten und Lieder sangen, dass französische Mädchen Schlüpfer aus Seidenpapier trugen und anderen unanständigen Quatsch. Sie war jetzt das drittgrößte Mädchen in der Klasse, das größte weiße Mädchen.
Den Schulweg ging sie mit Sandy Rosenthal, aber ihre eigentliche, geheime Freundin war Clotilde. Schwarze und weiße Mädchen durften nicht befreundet sein, deshalb verbargen sie ihr Geheimnis vor Lehrern und Kindern gleichermaßen. Beide achteten darauf, Momente zu erwischen, wo sie miteinander Französisch sprechen konnten, wo sie teilen konnten, wie fremdartig sie das Leben hier fanden, die Schule, die Stadt, das Essen, das Wetter. In ihren Augen war Clotilde schön, mit der Haut wie Holz und Asche zugleich, den großen, strahlenden graubraunen Augen, den gleichmäßigen, leuchtend weißen Zähnen, dem krauslockigen Haar, das wie Rot und Schwarz zusammen war. Clotilde war zu sanftmütig für Detroit, für die gleichgültigen Grobheiten der Schule mit den Rüpeleien, den Herausforderungen, den Prügeleien auf dem Schulhof, der Subkultur aus schweinischen Witzen und Bandenkriegen und Horrorcomics. Ihr Vater war in einem U-Boot im Pazifik, was sich für beide ziemlich furchterregend anhörte. Da musste er eine Art Diener abgeben, aber nachts auf dem Turm Wache stehen, weil, erklärte Clotilde verächtlich, die Marine meinte, Neger könnten im Dunkeln besser sehen als Weiße.
Manchmal hatte Naomi das Gefühl, in Detroit in einen heftigen, seit Generationen andauernden Familienkrach zwischen den Farbigen und den Weißen geraten zu sein, nur dass die streitenden Parteien einander nicht einmal deutlich wahrnahmen und dass die Weißen alle Macht hatten, wie die Nazis in Frankreich. Sie hatten die Polizei, die Verwaltung, die Schulen, die Krankenhäuser, einfach alles. Naomi konnte sich ausrechnen, wer den Kürzeren zog, ohne ihre Beobachtungsgabe anzustrengen.
Als