Название | Menschen im Krieg – Gone to Soldiers |
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Автор произведения | Marge Piercy |
Жанр | Книги о войне |
Серия | |
Издательство | Книги о войне |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867548724 |
Nachdem Ruthie sich bis auf den Rock angezogen hatte, verhallten ihre Rufe nach Mame durch den Spalt ihrer Zimmertür ohne Ergebnis. Sie warf einen wütenden Blick auf den Nachttischwecker. Sie musste Mame den Rock entreißen, egal, wie er aussah, ihn anziehen und gehen. Sie wollte nicht riskieren, zu spät zu kommen – das sah leicht nach wohl berechneter Missachtung aus oder danach, dass ihr die Heirat unerträglich war. »Naomi, hör auf, an deinen Haaren herumzufummeln, sie sind gut so. Steck dir nur noch die Spangen hinein. Die roten, eine auf jeder Seite.« Es war ihr peinlich, aber sie musste im Schlüpfer hinausgehen, ohne Rock, ansonsten vollständig angezogen bis hinauf zu dem kleinen Frühlingsfilzhut.
»Mame, ich muss ihn jetzt anziehen.«
»Ruthele, nur noch eine winzige Minute, und ich habe den Saum fertig.«
Sie nahm den Rock mit festem Griff. »Mame, es sind keine Minuten mehr übrig. Ich darf nicht zu spät kommen, und ich muss jetzt zur Tür raus. Jetzt sofort. Lass los, Mame! Das ist mein Ernst.«
Die sanften, milchig braunen Augen ihrer Mutter hefteten sich fragend auf sie. Normalerweise gab Ruthie nach. Aber Mame wusste, wenn ihre Tochter einen bestimmten forschen Ton anschlug, dann machte sie keinen Spaß oder schacherte, dann meinte sie, was sie sagte. »Liebling, du kannst doch nicht mit Stecknadeln rumlaufen –«
»Es wird niemandem auffallen.« Ruthie entwand ihrer Mutter den Saum und zog den Rock an. Zu drei Vierteln war der Saum angenäht, ein Stück an der Seite war nur abgesteckt. »Komm, Naomi. Hol deinen Mantel.«
Es war ein kalter, klarer Tag mit ein wenig Feuchtigkeit im Wind, aber wolkenlosem Himmel. Als sie zur Synagoge eilten, kamen sie an einer katholischen Kirche vorbei, aus der gerade Leute herausströmten, alle feingemacht in Kostümen und Hüten und Anzügen und hier und da einer Uniform. »Heute ist ihr Ostern«, sagte sie zu Naomi. »Hoffentlich ist das kein schlechtes Zeichen für Trudi und Leib. Bobe hat immer Geschichten über Polen zu Ostern erzählt, von den Pogromen alle paar Jahre. In den anderen Jahren kamen die gojim einfach nur und schlugen ein oder zwei tot, zum Vergnügen.«
»In der Schule mussten wir jetzt Osterlieder singen. Ich fand es besser, nichts zu sagen, außerdem habe ich den Text kaum verstanden. Wenn sie singen, ist es noch viel schwerer.«
»Sie dürften so was nicht von dir verlangen, aber du hast recht. Dies ist keine gute Zeit, um uns abzusondern und zu beschweren.«
»Ich habe Sharon und Mame reden hören. Sie haben gesagt, Leib hätte dich heiraten sollen.«
»Kezele, wer hat mich gefragt? Will ich Leib heiraten?«
»Willst du?«
»Nein.« Da war sie sich sicher, aber während sie durch die Straßen eilten, das letzte Eis verschwunden, im Rasen vor dem Beth-Schalom-Tempel die ersten grünen Triebe und Krokusse und Osterglocken, erkannte sie, dass Leib nicht heiraten zu wollen nicht unbedingt bedeutete, sich riesig zu freuen, dass er eine andere heiratete. Diesen guten Willen musste sie in ihrem Herzen finden.
Beth Schalom war ein gedrungenes, gelbes Backsteingebäude mit einem Magen David aus kleinen bunten Glasscheiben an der Stirnseite über den beiden schweren Eingangspforten. Sie eilten zur Rückseite und durch die kleine Gattertür. Als sie Naomi an der Hand im Laufschritt mitzerrte, hoffte sie, noch nicht zu spät dran zu sein. Ihr fiel plötzlich auf, dass Naomi nicht mehr wesentlich kleiner war. »Du bist gewachsen«, sagte sie erstaunt.
»Ich bin letzten Monat fast zwei Zentimeter gewachsen.«
»Wie viel ist das in Zoll?«
Naomi zuckte die Achseln. »Ich weiß manche Sachen in dem einen System und manche in dem andern, aber ich kann nicht dazwischen hin und her.«
Die Hochzeitsgesellschaft war schon drinnen versammelt, aber der Rabbi fehlte noch, nur seine Frau war da und umflatterte Trudi und kümmerte sich um alle, bis der Rabbi so weit war. Leib trug noch nicht Uniform. Sein schwarzer Anzug, den er sich vor zwei Jahren zur Beerdigung seines Vaters gekauft hatte, war jetzt ein wenig kurz, ein wenig knapp, kleidete ihn aber immer noch: seine hohe Stirn unter dem zerzausten schwarzen Haar, seine weit auseinanderliegenden Augen, die aus dem kantigen Gesicht mit den Vorsprüngen und Höhlungen gebieterisch blickten, sein ganzes hochgewachsenes, wohl gepolstertes Knochengerüst, das von der Enge des Anzugs nicht in Verlegenheit gebracht wurde, sondern sie ausnutzte, um die Muskelpakete herzuzeigen. Leibs Vater hatte den Spitznamen Mischa der Bär gehabt. Er hatte mit einem Pferdekarren Umzüge gemacht und fast sein ganzes Leben lang Möbel von einer Seite des jüdischen Ghettos auf die andere gewuchtet, und das Pferd hatte im Hinterhof seinen Stall gehabt. Leib besaß seine Kraft und seinen Jähzorn.
Ach, sein Anblick rührte sie, wie schon immer. Aber nicht genug, dachte Ruthie, meine Augen haben keine Tugend und wenig Verstand. Er wird jede Frau eine kurze Zeit glücklich machen und eine lange Zeit unglücklich.
Trudi trug ein blassrosa Kleid. Weder Trudi noch ihre Mutter noch Ruthie hatten ein kurzes weißes, der Gelegenheit angemessenes Kleid auftreiben können, in ganz Detroit nicht. Es war zu früh im Jahr für ein weißes Sommerkleid, und ein Hochzeitskleid war innerhalb so kurzer Frist ausgeschlossen – und zu teuer. Trudi hatte geweint, aber das Blassrosa ließ sich auch später noch tragen und brachte ihr dunkelbraunes Haar und ihren kräftigen Teint zur Geltung. Der Rabbi kam herein und rieb sich die Hände, sofort sprang Trudis Vater auf, ihn zu begrüßen. Trudis Mutter hob den Schleier ihres alten schwarzen Hutes mit den Kirschen obendrauf, um sich die Augen zu wischen.
Ruthie dachte, wir müssen Naomi einen Hut kaufen, es wird Zeit, sie wird langsam groß. Naomi trug ein gestreiftes Kopftuch. Armes Lämmchen, was für eine Zeit, um erwachsen zu werden, was für eine Zeit.
Dann fing sie Leibs Blick auf, der sie anschaute wie früher, mit brennenden, hungrigen Augen. Sie senkte den Blick und wandte sich Naomi zu, zupfte an ihr herum. Naomis Augen waren riesig und sahen alles, auch Leibs Blicke. Als Ruthie wieder hinsah, schaute er immer noch. Hoffentlich bemerkte es niemand sonst, zum Glück waren alle um Rabbi Honig versammelt. Leibs Mutter war mit Trudis Kleid beschäftigt, ein Zupfen hier, ein Zurechtziehen da, ein Stäubchen dort, das wegmusste. Dann trat sie zurück, um Trudi mit scharfen, fast hasserfüllten Blicken zu mustern. Sie schien zu fragen: Was sieht er eigentlich in ihr?
Ruthie hatte das ungute Gefühl in der Magengrube, Leib hätte sie am liebsten immer noch gepackt wie früher und hätte lieber sie vor den Rabbi gezerrt und lieber sie genommen. Nicht aus Liebe, nein, sondern weil er sie immer noch begehrte, auf jene hungrige, heftige Art, die sie sehr viel weniger erregt hatte als Murrays stille und behutsame Liebkosungen. Sie nahm sich vor, ihn nicht wieder anzuschauen.
Ruthie stand an einer Ecke der chuppa. Immer wieder verfingen sich die Stecknadeln an ihrem Schenkel. Der Strumpf war bestimmt völlig ruiniert, und wo sollte sie Ersatz finden? Sie hielt ihren Blick auf Trudi geheftet und sah Leib nicht wieder an, bis die Zeremonie zu Ende ging und er das Glas in der Serviette unter seinem Fuß zertrat und aufstampfte, wie er an jenem Abend aus dem Zimmer gestampft war, als er endgültig mit ihr gebrochen hatte. Während er das Glas in Scherben trat, warf er ihr einen letzten Blick voll der gleichen wütenden Heftigkeit zu, und dann wandte er sich ab und küsste Trudi, ein großer Kinonahkampfkuss. Dann begannen alle masel tow zu rufen und mit geweihtem Wein auf das Paar anzustoßen.
Ruthie stand ein wenig abseits und verzieh Leib die hungrigen Blicke, denn jetzt war er richtig verheiratet, mit Trudi, und die Dinge mussten sich finden. Sie erinnerte sich an Murrays letzte Woche, bevor er in den Zug gestiegen war. Sie hatte so viel Zeit wie möglich mit ihm verbracht, und für